Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Silvia Thurner · 11. Mai 2009 · Musik

Musik über Leben und Tod

Im Rahmen der Bregenzer Meisterkonzerte gastierte das „Beijing Symphony Orchestra“ in Bregenz. Das Orchester aus China präsentierte unter anderem das neueste Werk von Guo Wenjing. Die aussagekräftige Komposition „The Rite of Mountains“, ein Konzert für Perkussion und Orchester, wurde dem Perkussionisten Li Biao auf den Leib geschrieben. Dieser faszinierte das Publikum mit seiner Werkdeutung, der überragenden Meisterschaft an der Marimba und den Perkussionsinstrumenten sowie seinem sympathischen Auftreten. Das Konzert war vor allem auch deshalb ein beeindruckendes Erlebnis, weil das erst vor wenigen Monaten entstandene Auftragswerk von Guo Wenjing als Höhepunkt des Abends gefeiert wurde - und dies neben berühmten Werken von P.I. Tschaikowsky und M. Mussorgsky.

Die Erde hat gebebt

Genau vor einem Jahr bebte in Wenchuan die Erde, tausende Menschen haben dabei ihr Leben verloren. In Erinnerung an diese Katastrophe entstand das eindringliche Werk "The Rite of the Mountains", in dem Guo Wenjing über das Leben und den Tod reflektiert. Der Komponist lebt und arbeitet in Peking, seine Werke sind jedoch weltweit bekannt. Der Eröffnungssatz, eine Toccata für Marimba, war geprägt von zwei kontrastierenden Gedanken: einesteils erklangen im Orchester gewaltige Schübe, andernteils wurden lyrische Klanginseln entfaltet, die wie Ruhepole wirkten. Ausgehend von diesen konträren Gedanken entwickelte sich eine spannungsgeladene Musik. Als der Solist im Mittelteil auf einem Gong sehr konzentriert musikalisch sinnierte, war die Intensität im Saal spürbar. Gut nachvollziehbar griff Li Biao im anschließenden Spiel mit Gongs eine Vierton- und eine Sechstonmelodie aus dem Eröffnungssatz auf und entwickelte kammermusikalische Dialoge mit den Orchestermusikern. Lediglich die darauf folgende rhythmische Passage wirkte aufgesetzt und störte beinnahe die zu Beginn so beeindruckend verdichtete Stimmung. Im Finalsatz leistete der überragende Solist ganze Arbeit, denn er schlug die große Trommel mit Elan, bediente das Drumset mit höchster Intensität und entwickelte eine mitreißende Kraft. Gleißende Klänge, aufbäumende und vibrierende Klangfelder im Orchester verkörperten ein unterschwelliges Raunen und Rumoren. Bilder der bebenden Erde, aber auch der überbordenden Gewalt und Angst wurden evoziert. Das Publikum nahm das vielschichtige Werk begeistert auf.

Der Gesang der Marimba

Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ der Perkussionist Li Biao mit seiner Zugabe. In Erinnerung an seinen verstorbenen Freund und Lehrer improvisierte er auf der Marimba. Dabei brachte er das Perkussionsinstrument zum Singen, denn die Röhren an der Unterseite der Holzstäbe wurden derart in Schwingung versetzt, dass sie quasi als Blasinstrumente oder Orgelpfeifen zu hören waren. Ein derart transzendentes musikalisches Klangereignis habe ich selten gehört.

Referenz an die russische Musik

Flankiert wurde „The Rite of the Mountains“ von Peter I. Tschaikowskys Phantasieouvertüre „Romeo und Julia“. Das Werk erklang zwar exakt musiziert, wirkte jedoch unnahbar und in sich leblos. Der Grund lag wohl darin, dass das Orchester unter der Leitung von Tan Lihua die beiden charakteristischen Themen nicht prägnant genug personifizierte. So erhielten jene Passagen, die das Ambiente der Geschichte schildern sollten und die beiden Hauptthemen nur wenig Profil und wirkten in sich eher flach. Mit den „Bildern einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky lieferte das „Beijing Symphony Orchestra“ eine Visitenkarte seines hohen Niveaus. Die musikalische Beschreibung der Bilder und das Erleben des Protagonisten schilderten die MusikerInnen mit beeindruckenden Soli und massiv geballter Kraft in den letzten Bildern. Monumental dargeboten wurde „Die Hütte der Baba Jaga" und „Das große Tor von Kiew“. Tan Lihua dirigierte genau und mit wohltuend zurückhaltendem Körpereinsatz, die Gestik seiner Hände wirkte deshalb umso intensiver.