Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Ionian · 09. Jul 2011 · Musik

Mit viel Wetterglück zum Auftakt zeigte sich das "Origano-Festival" zum zehnjährigen Jubiläum vorwiegend als gesellschaftliches Stelldichein

Zum zehnten Jubiläum kehrt das "Origano-Festival", das jährlich bei freiem Eintritt auf dem Dornbirner Marktplatz abgehalten wird, nach Italien zurück, wo es 2002 programmtechnisch begonnen hatte. Das Festival will atmosphärisch auf den Sommer Bezug nehmen und die heiße Jahreszeit einläuten. In den vergangenen Jahren wurden Musikgruppen aus aller Herren Länder gebucht und präsentiert. Treu dem Motto "Musik und Geschmack aus dem mediterranen Raum" steuert man rund ums Mittelmeer Südeuropa, Nordafrika und Vorderasien an und fand Repräsentanten aus Spanien, Frankreich, den Staaten des ehemaligen Jugoslawien, Griechenland, Israel, Algerien und vielen mehr. Vor sechs Jahren nannte man diese Länder im Dornbirner Kulturleitbild noch "gegenwärtige und sicher auch noch in absehbarer Zukunft beliebte Urlaubsdestinationen". Die gegenwärtig große mediale Präsenz dieser Regionen zeichnet jedoch ein anderes Bild. Und so machte die Band "Municipale Balcanica" das einzig richtige: Sie starten mit einem politischen Statement. Das Marktplatz-Publikum seinerseits startete das verdiente Wochenende mit einem Gläschen und einem ausgelassenen Tratsch in der Klangwolke einer leidenschaftlichen musikalischen Performance.

Die Würze der mediterranen Kultur

"Origano" ist der italienische Begriff für die beliebte Gewürzpflanze. Es bedeutet wörtlich "Schmuck der Berge", war ursprünglich im Mittelmeerraum beheimatet und wird inzwischen weltweit angebaut und gebraucht. Es symbolisiert die Würze der Mittelmeerregion und steht sinnbildlich für den mediterranen Geschmack. Obwohl man beim auffälligen Logo mit dem Kreis auch an eine japanische Faltkunst denken könnte. Das diesjährige "Origano-Festival" eröffnete am vergangenen Freitag, 8. Juli 2011, mit "Municipale Balcanica", einer achtköpfigen Band aus dem süditalienischen Bari.
Der Konzertbeginn war auf 21 Uhr angesetzt. Kurz zuvor weinte der Himmel und spülte den Marktplatz mit einem kräftigen Regenschauer sauber. Doch wie bestellt riss die Wolkendecke rechtzeitig auf und so waren die mitgebrachten Regenschirme glücklicherweise überflüssig. Und obwohl es erst so aussah, als hätte das Wetter die Besucher abgeschreckt, füllte sich der Platz stetig. Wie ein moderner Altar thronte die Bühne vor der Kirche St. Martin. Organisator Roland Jörg, der im Amt der Stadt Dornbirn die Kultur und interkulturelle Angelegenheiten leitet, eröffnete mit einem kurzen Rückblick und einer pointierten, humorvollen Rede.

Die Band selbst bestand aus acht Instrumentalisten. Neben dem beinahe obligatorischen Fundament mit Schlagzeug, Bass und Gitarre, reisten die Süditaliener mit einem kompletten Bläsersatz, bestehend aus Oboe, Trompete, Posaune und Saxophon, sowie reichlich Percussion an. Und die Instrumente wurden auch ordentlich genutzt. Sie präsentierten treu der Ankündigung eine Synthese von Gypsy Musik, jüdischem Klezmer, osteuropäischen Sounds und der warmherzigen Musiktradition ihrer eigenen Heimat Apulien. Von Anfang an ließen sie den typischen, schwungvollen Tonfolgen freien Lauf. Rollende Soli zirkulierten im Achteck. Wenn mal ruhig angestimmt wurde, folgte schnell eine Steigerung bis zu wahnsinniger Geschwindigkeit. Sie wechselten spielerisch Takt und Tempo, brachten überraschende Übergänge und gaben sich humorvoll in ihren Ansagen und der Show. Off-Beat-Sequenzen bewegten zum Tanzen und manchmal mischten sich sogar abgefahrene, angezerrte Gitarren ins Lied.
Sie versuchten leider vergeblich das Eis zu brechen und versagten mit ihren Vorschlägen für Mitsing-Chöre und Rumgehüpfe. Das Publikum nutzte das Event für ein Treffen am Marktplatz, wusste aber großteils scheinbar nicht so recht, was es mit den virtuosen Klängen anfangen sollte. Es wurde sanft im Takt gewippt und ein paar Wenige freuten sich über ausreichend Tanzfläche vor der Bühne. Vor allem die Kinder standen nicht nur herum und empfingen diese fremden Töne mit typisch kindlicher Unvoreingenommenheit. Mit einer Interpretation von "Hava Nagila" lieferten "Municipale Balcanica" noch einen Hit, den sogar Uneingeweihte erkennen mussten. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde schon das letzte Lied angestimmt und nach ein paar Zugaben wurde kurz vor Elf der Ausschank zur Bühne. Aber nun nochmals vom Schluss zum Beginn und dem erwähnten politischen Statement.

Den Sommer nicht von Problemen überschatten lassen

Die Musiker entschuldigten sich vorweg, dass sie nicht viel Deutsch sprechen. Doch gleich zu Beginn wollten sie klar stellen: "Wir haben Berlusconi nicht gewählt!". Italien wurde zu einem Krisenherd, nicht nur aufgrund der ausufernden Machenschaften des Staatsoberhauptes, sondern auch weil das Land wie ein Anlegesteg ins Mittelmeer ragt. Tausende Flüchtlinge aus den Krisenregionen am gegenüberliegenden Ufer flüchten ins gelobte Europa, wo sie ein böses Erwachen in so genannten Auffanglagern erwartet. Diese Menschen sind zur Flucht gezwungen, denn in ihrer Heimat herrscht Krieg. Libyen droht gar, den Krieg nach Europa zu bringen.
Eine ganze Welle der Veränderung und leider gar nicht so friedlichen Revolution wurde durch eine Reihe von Selbstmorden durch Selbstverbrennung ausgelöst, das mächtigste und zugleich schrecklichste Zeichen, das diesen Menschen in ihrer Hilf- und Machtlosigkeit noch übrig zu bleiben schien. Tunesien machte den Anfang und von dort schwappte die Revolte über nach Marokko, Mauretanien, Ägypten und Saudi-Arabien. Noch fallen Bomben und es hagelt Kugeln, doch die Hoffnung der Völker besteht, ein neues und gerechteres Kapitel für ihre Nachkommen zu eröffnen. Nach wie vor unlösbar erscheint der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Griechenland würde ohne die Hilfe der Europäischen Union vor einem Staatsbankrott stehen, hat sich zum Top-Thema in den europäischen Nachrichten entwickelt und wird wohl noch längere Zeit für Zündstoff sorgen. Spanien wurde nicht nur durch den deutschen Gurkenfauxpas wirtschaftlich geschwächt, es war schon zuvor in der Kneifzange amerikanischer Rating-Agenturen. Und nun sind wir wieder in Italien, das auch schon bessere Zeiten erleben durfte. Was wird also gefeiert? Der Mittelmeerraum steckt rundherum in einer Phase des Bruchs, hoffentlich eines Um- und nicht Zusammenbruchs. Solidarität erwächst scheinbar nur aus der Angst vor eigenem Schaden. Die einzigen, die zusammenrücken, sind die Flüchtlinge in den überfüllten Lagern. Doch all das muss man ja nicht am Dornbirner Marktplatz diskutieren. Das Festival feierte nämlich südliche Lebensfreude und Leidenschaft und nicht die Probleme, die derzeit alles überschatten. Verknüpfungspunkte zwischen MigrantInnen und eingesessener Bevölkerung muss man sich sowieso selbst schaffen. Der Sommer wurde nun auch in Dornbirn begonnen und darum ging es hier eher um kurzweiliges Genießen anstatt tiefergreifender Kulturvermittlung und -integration.

Heute Abend um 21 Uhr geht es weiter. Diesmal mit Roy Paci & Aretuska die unter dem vielversprechenden Titel "Revolutionaretour" beim "Origano-Festival" gastieren werden.