Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Silvia Thurner · 29. Sep 2019 · Musik

Mit einer faszinierenden Klangkultur zu musikalischen Höhenflügen – die Violinistin Ye-Eun Choi und das Estonian National Symphony Orchestra mit Neeme Järvi am Pult

Die Bregenzer Meisterkonzerte eröffneten ihre Saison mit Künstlerinnen und Künstlern, die dem Wortsinn „Meisterkonzerte“ alle Ehre erwiesen. Mit Werkdeutungen von Heino Eller, Jean Sibelius und Anton Bruckner verströmten die Geigerin Ye-Eun Choi sowie das Estonian National Symphony Orchester unter der Leitung von Neeme Järvi eine mitreißende musikalische Aussagekraft und zogen vom ersten Ton an die Zuhörenden in ihren Bann.

Ein herausragender Ruf eilt der 30-jährigen Geigerin Ye-Eun Choi voraus. Alle schwärmen von ihrer einzigarten Spielart und individuellen Ausdruckskraft am Instrument. Dementsprechend hoch waren die Vorfreude und Erwartungen vor dem ersten Bregenzer Meisterkonzert mit der aus Korea stammenden Musikerin.

Attraktiv und höchst emotional

Und tatsächlich: Das berühmte Violinkonzert op. 47 von Jean Sibelius musizierte Ye-Eun Choi mit einem atmenden Duktus und einer betörend schönen und vielgestaltigen Tongebung, die ich in dieser Klarheit noch sehr selten erlebt habe. Praktisch ohne Spielgeräusche führte sie den Bogen und formte ebenso emotionale wie virtuose Phrasierungen und Doppelgriffe mit einer spielerischen Leichtigkeit. Damit erreichte Ye-Eun Choi eine große musikalische Weite und einen Tiefgang. Damit verlieh sie jedem noch so kleinen Ton seinen Stellenwert im Ganzen. Die kompliziertesten Klänge und Arpeggi wirkten brillant und mit obertonreicher Strahlkraft. Auf individuelle Weise stellte die Solistin auch den markigen Finalsatz in den Raum, den Sibelius selbst als „dance macabre“ bezeichnet hat. Ye-Eun Choi verzichtete auf die perkussiven Anteile und begeisterte durch die dunkle und satte Tongebung des Hauptthemas.

Das Estonian National Symphony Orchestra gestaltete den groß besetzten Orchesterpart mit bewundernswerter Präsenz. An keiner einzigen Stelle bedrängten die Musikerinnen und Musiker die Solistin, viel mehr unterstützten sie die Solostimme und formten kommunikative Dialoge aus.

In gegenseitigem Einverständnis

Neeme Järvi ist eine vielbeachtete und geehrte Autorität unter den Dirigenten unserer Zeit. Mit dem Estonian National Symphony Orchestra ist er seit Jahrzehnten verbunden. Diese Einigkeit und das gegenseitige Vertrauen waren beim Meisterkonzert spürbar. Der 82-jährige Dirigent strahlte eine große suggestiver Kraft aus und es bedurfte keiner großen Gesten, um zu mitreißenden Werkdeutungen zu gelangen.

In Bruckners vierter Symphonie legte das hervorragend disponierte Orchester ein großes Augenmerk auf organische Entwicklungsprozesse. Transparent und mit einem dynamischen Ausdrucksgehalt wurden die Themen modelliert. Gut herauskristallisiert erklangen überdies die für Bruckner so typischen Überlagerungen sowie melodische und rhythmische Symbole.

Mit der sinfonischen Dichtung „Koit“ stellten Neeme Järvi und das Estonian National Symphony Orchestra den hierzulande unbekannten estnischen Komponisten Heino Eller vor. Entfaltet wurde eine farbenreiche und klangschwelgerische Musik, die die Morgenröte huldigte.