Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Michael Löbl · 27. Sep 2022 · Musik

Kultur vor der Haustüre – Konzerte des Kammerorchesters Arpeggione und der Bigband Swingwerk

Mitte September in Vorarlberg. Das Kulturleben hat wieder volle Fahrt aufgenommen und kulturell interessierte Menschen haben die Qual der Wahl. Dieses Angebot gibt es zum Beispiel im Veranstaltungskalender der Zeitschrift „Kultur" zu bestaunen. Wie soll man da eine Auswahl und vor allem eine Entscheidung treffen?

Eine Möglichkeit wäre, sich nicht zu weit von der eigenen Haustüre wegzubewegen. Zehn Minuten Richtung Norden am Samstag, zehn Minuten Richtung Westen am Sonntag – die Auswahl ist getroffen!

Klavierspielen hält jung

Abonnementkonzert des Kammerorchesters Arpeggione mit dem vielsagenden Titel „Euphorie" am Samstagabend im Palast Hohenems: Eine hochinteressante Solistin, die mittlerweile 80-jährige Grande Dame der russischen Klavierschule, Eliso Virsaladze, war mit dem Klavierkonzert von Robert Schumann angekündigt. Tragischerweise fiel ihr Flugtermin aus Moskau zeitlich zusammen mit Vladimir Putins Teilmobilmachung, es bildete sich binnen kürzester Zeit ein undurchdringliches Verkehrschaos Richtung Flughafen, an ein Durchkommen war einfach nicht zu denken. Und wie es am nächsten Tag aussehen würde, konnte keiner sagen. Daher: Absage! Man hätte gerne wieder eine Bestätigung einer verblüffenden Tatsache bekommen: Klavierspielen hält jung! Man denke nur an Senioren wie Vladimir Horowitz oder Artur Rubinstein. Und am Wochenende davor hatte die große Martha Argerich, auch bereits 81 Jahre alt, genau dieses Schumann-Konzert fulminant wie immer mit den Wiener Philharmonikern gespielt.
Nun mussten die Verantwortlichen Irakli Gogibedaschwili und Josef Kloiber innerhalb von wenigen Stunden einen Pianisten aus dem Hut zaubern, der genau dieses Werk abrufen kann und – das ist immer das Hauptproblem bei Einspringern – ein verlängertes Wochenende Zeit hat für Reise, Proben und Konzerte.
Gefunden wurde der bekannte deutsche Pianist Bernd Glemser. In seiner Jugend war er Preisträger bei 17 internationalen Wettbewerben, ein vermutlich nie mehr einholbarer Rekord. 1989 wurde er jüngster Professor an einer deutschen Musikhochschule, zum Zeitpunkt seiner Berufung war er selbst noch Student.

Aus der Zeit gefallen

Der Palast in Hohenems ist unbestreitbar die schönste Konzertlocation des Landes. Der Innenhof, die mit Kerzen und einem roten Teppich ausgestattete Treppe, das Foyer und der Rittersaal – man fühlt sich bereits einen Meter hinter der Eingangstüre wie in einer anderen Welt. Der Rittersaal ist der perfekte Platz für alle Arten von Kammermusik, mit Orchesterkonzerten ist er eigentlich akustisch überfordert. Die Bühnengröße bedingt eine reduzierte Streicherbesetzung (mit nur einem Kontrabass) und klanglich bewegt man sich stets am oberen Limit.
Eigentlich ist alles an diesem Abend ein wenig „retro“. Zunächst gibt es einen hervorragenden Einführungsvortrag der sympathischen, in diesem Programm aber als Musikerin nicht beschäftigten Harfenistin Ulrike Neubacher. Sie nimmt sich viel Zeit, beleuchtet ausführlich das historische Umfeld der Kompositionen ebenso wie die Lebensumstände ihrer Schöpfer. Das Publikum ist nach dieser Einführung auf jeden Fall ein wenig gebildeter, als beim Betreten des Saales. Retro ist dann auch die Interpretation von Felix Mendelssohn-Bartholdys erster Symphonie, einem leider viel zu selten gespielten Meisterwerk. Das Kammerorchester Arpeggione unter der Leitung des aus Island stammenden Dirigenten Gudni Emilsson spielte wie in alten Zeiten, also lange bevor Leute wie Harnoncourt, Gardiner oder Norrington durch verfeinerte Artikulation, Phrasierung und Dynamik auch Musik der Romantik neue Impulse eingehaucht haben. Im Rittersaal hingegen wird spontan drauflos musiziert, die dynamische Untergrenze ist bestenfalls ein gesundes Mezzoforte, viele naheliegende Effekte werden leider verschenkt und so wirkt dieses unterschätzte Jugendwerk manchmal etwas eintönig.

Seidiger Streicherklang

Dabei hat das Orchester einiges zu bieten: einen auffallend homogenen, seidigen Streicherklang sowie einige herausragende Bläsersolist:innen. Die Bühne besitzt so wenig Tiefe, dass der Dirigent beim folgenden a-moll Klavierkonzert von Robert Schumann nicht mehr vor den Streichern sondern direkt vor der (einzigen) Bläserreihe postiert ist. Das tut der Qualität aber keinen Abbruch und Solist, Dirigent und Orchester gelingt eine tadellose Wiedergabe dieses Konzertes. Bernd Glemser merkt man die kurze Vorbereitungszeit in keinem Moment an, er hat den Schumann „drauf", spielt virtuos und gestaltet sehr sensibel. Seltsamerweise vermittelt er das Gefühl, sich auf der Bühne nicht wirklich wohl zu fühlen, seine Körpersprache wirkt seltsam distanziert, er „emulgiert" nicht mit dem Orchester und dem Publikum. Dieses ist aber begeistert und erklatscht sich zwei Zugaben.

Kontrastprogramm in Koblach

Ganz etwas anderes am Sonntag im Rahmen von Kultur Koblach im Saal Dorfmitte mit dem Programm „Tribute to Roger Cicero" mit Swingwerk und Thomas Gertner.
Die Ursprünge der Bigband Swingwerk liegen in Götzis, genauer gesagt im BORG und der dort ansässigen legendären BORG-Werkstatt mit ihrem nicht minder legendären Leiter Josef Oberhauser. Im dortigen Umfeld haben sich in den goldenen Zeiten dieses Vereins mehrere Bands und Ensembles entwickelt. Traditioneller Swing, ungewöhnliche Jazz-Grooves und interessante Gäste sind seit 25 Jahren die Visitenkarte der Swingwerk Big Band. Special Guest im aktuellen Programm: Thomas Gertner, bekanntermaßen ein unglaubliches musikalisches Multitalent.

Ein Multitalent

Den ursprünglich aus München stammenden Thomas Gertner kann man sowohl als klassischen Posaunisten mit dem berühmtem Tuba-mirum-Solo in Mozarts Requiem als auch als Leiter verschiedener Bands erleben. Oder als Conférencier, Entertainer und natürlich auch als Dirigent zeitgenössischer Musik beim Ensemble Plus. Dazwischen unterrichtet er auch noch an der Musikschule Bregenz. Die Songs von Roger Cicero sind ihm wie auf den Leib geschrieben, er lebt dessen originelle Texte und kommt von der Stimmfärbung verdammt nahe an das Original heran. Dazu die witzige Moderation – großartig!
Das Markenzeichen des 2016 überraschend verstorbenen Jazzsängers Roger Cicero war der Swing der 50er Jahre, gespielt von einer elfköpfigen Bigband und aktualisiert mit neuen deutschen Texten. Seine sieben Alben genießen Kultstatus und sein unverwechselbarer Stil begeistert bis heute ein Millionenpublikum.
Geleitet von Werner Gorbach überzeugt Swingwerk als bestens eingespielte, kompakte Bigband mit tollem Sound und durchaus beachtlichen solistischen Leistungen. Ein absolut kurzweiliger, gelungener Abend in Koblach.

 

Vorschau: Kammerorchester Arpeggione: „Klangmalerei“, Trio Colores, Perc.; Robert Bokor, Ltg.; Werke von L. Weiner, E. v. Dohnànyi, G. P. Telemann und L. Anderson
Sa 22.10., 19.30 Uhr
Palast, Hohenems
www.arpeggione.at

www.swingwerk.at