Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Fritz Jurmann · 24. Jun 2021 · Musik

Kultur schlägt Unkultur – Die Bregenzer Meisterkonzerte als Bollwerk gegen Auswüchse der Partymeile an der Pipeline

Gottseidank! Es gibt auch in Bregenz noch andere Themen als die in jeder Hinsicht ausufernde, überbordende Situation an der Pipeline, die längst zur gefragten Partymeile einer ganzen Region mutiert ist. Was man dort als Unkultur im höchstmöglichen Ausmaß anprangern kann, findet in der Arbeit der neuerdings stylisch „Kulturservice“ benannten Kulturabteilung der Stadt einen starken Gegenpol. Bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der neuen Saison der Bregenzer Meisterkonzerte 2021/22 am Donnerstag im Festspielhaus nahm der neue Bürgermeister Michael Ritsch, angetan mit schicken modischen Sneakers, diesen Gedanken bei seiner Begrüßung schmunzelnd auf: „Es gibt auch noch angenehmere Termine in dieser Zeit“.

In die Wüste geschickt

Immerhin hat Ritsch schon früh ein deutliches Zeichen zur Verbesserung der Kulturarbeit in Bregenz gesetzt. Die unbedarfte frühere Leiterin der Kulturabteilung wurde von ihm handstreichartig abserviert und durch die langjährig erfahrene frühere Kulturstadträtin Judith Reichart als toughe, durchsetzungskräftige und innovative Kulturmanagerin ersetzt. Das Ergebnis dieser Personalie ließ auch nicht lange auf sich warten.
Überraschend setzte Judith Reichart quasi als Ersatz für die durch Corona komplett entfallene Saison der Meisterkonzerte 2020/21 am 28. Mai ein Sonderkonzert mit dem russischen Weltpianisten Grigory Sokolov an, das auf breite Zustimmung beim Publikum stieß. Und auch das von ihr erstmals kuratierte Programm der kommenden Saison zeigt deutlich ihre Handschrift mit durchaus publikumsfreundlicher Annäherung, jedoch stets geadelt durch die Sichtweise internationaler Solisten, Dirigenten und Orchester, wie man sie in solcher Massierung in unserer Region außerhalb der Festspiele nicht erlebt.
Zudem ragt auch mutig ein Abend mit der österreichischen Erstaufführung eines Jahrhundert-Klavierwerks durch den Pianisten Igor Levit heraus. Es wird dort also nun wirklich Kultur auf dem Level unserer Zeit gemacht, mit Entscheidungen, die auch nicht vor unbequemen Programmen und Projekten zurückschrecken anstelle eines brav altvaterischen Lieschen-Müller-Miefs, wie er bisher über weite Strecken hier vorgeherrscht hat.

„Das Herzstück der Bregenzer Kultur“

„Die Bregenzer Meisterkonzerte sind neben dem Tanzfestival Bregenzer Frühling das Herzstück der Bregenzer Kultur“, postuliert Bürgermeister Ritsch gleich einleitend sein Wohlwollen für das Traditionsunternehmen. Immerhin lässt sich die Stadt diese Konzertreihe bei 510.000 Euro Aufwand eine Subvention von ca. 140.000 Euro kosten, bei Ticketeinnahmen von 350.000 Euro und einer beachtlichen Auslastung von 82 Prozent. Extrem hoch ist auch der Anteil von 1.300 Abonnementen, die zum Großteil aus dem österreichischen und deutschen Teil der Bodenseeregion kommen. Diese Zahlen, die auf der zuletzt unbehelligt von Corona durchgeführten Saison 2018/19 beruhen, gibt der politisch verantwortliche Kulturstadtrat Michael Rauth bekannt. Besonders dankbar ist man neben den bisherigen Unterstützern für den neu mit einem namhaften Betrag eingestiegenen Hauptsponsor Huber Uhren Schmuck am Leutbühel.
Judith Reichart stellt ihrer Programmpräsentation die Hoffnung voran, dass die mit viel Arbeitsaufwand und finanziellen Mitteln innerhalb weniger Monate auf die Beine gestellte Auswahl für die sechs Meisterkonzerte auch wirklich stattfinden können. Ein „leichtes Kribbeln“ räumt auch sie ein, wenn sie an die neuesten Entwicklungen an der Corona-Front denkt. Erstmals hat man bereits jetzt eine grafisch und inhaltlich sehr ansprechend gestaltete Broschüre vorgelegt, die allen Abonnenten zugesandt wird und in der die künftigen Besucher gustieren und sich anhand gut geschriebener Fachartikel in Ruhe zuhause auf die kommenden Werke und Interpreten vorbereiten können. Einen inhaltlich verbindenden „roten Faden“ sieht Reichart in musikalischen Bildern von Mythen und Sagen, der Liebe und der Natur.

Programmeinführungen durch Bettina Barnay

Und noch eine Neuerung gibt es. Anstelle der stets etwas unbeholfenen Lexikon-Weisheiten, die die frühere Kulturamtsleiterin bei ihren Einführungen verbreitete, wird nun die ausgewiesen fachkundige Musikredakteurin Bettina Barnay diese kurzen Vorträge gestalten. Damit verbunden ist auch ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit. Denn als Barnay diese Einführungen einige Male bei „Dornbirn Klassik“ hielt, hat ihr das der ORF-Landesdirektor als ihr Chef aus arbeitsrechtlichen Gründen verboten. Inzwischen hat sie ihren Arbeitgeber gewechselt und ist nun auch frei für diese Tätigkeit, die sie mit viel Liebe und Leidenschaft zur Musik ausfüllen wird.
Ein paar Besonderheiten an Werken und Namen sollen das ausgefeilte Gesamtkonzept von Judith Reichart unterstreichen. Nach einem eleganten Auftakt mit Fabio Biondis Originalklangorchester Europa Galante und Vivaldi gibt es darauf ein opulent besetztes Chor-Orchesterkonzert mit Mozarts populärer g-Moll-Sinfonie Nr. 40 als Auftakt und der unvollendeten Großen Messe in c-Moll mit vier namhaften Solisten, darunter die im Moment hoch gehandelte Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann, deren Schubertiade-Debüt heuer zum zweiten Mal wegen Corona entfallen ist. Erstmals in Bregenz wird Großmeister Philippe Herreweghe dieses Konzert leiten.

Wiedersehen mit den Symphonikern

Schon traditionell ist im Jänner das Gastkonzert der Wiener Symphoniker, die unter ihrem neuen Chef, Andrés Orozko-Estrada, aufkreuzen werden. Im Mittelpunkt steht eine Sinfonia Concertante von Haydn, bei der vier Solisten aus dem Orchester als Gruppe dem großen Orchester gegenübergestellt werden. Ein Publikumsliebling ist allemal Mussorgksys „Bilder einer Ausstellung“. Zur Nagelprobe für die Offenheit des Bregenzer Publikums wird wohl das Konzert mit dem russisch-deutschen Pianisten Igor Levit, derzeit der wohl aufregendste Pianist weltweit. Er wird mit der „Passacaglia on DSCH“ ein von dem schottischen Komponisten und Pianisten Ronald Stevenson in Verehrung für Dmitri Schostakowitsch geschriebenes, 85-minütiges Klavierwerk von immensen technischen Anforderungen zur österreichischen Erstaufführung bringen, sozusagen ein Jahrhundertwerk also.
Konventioneller danach der Auftritt des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin unter Vladimir Jurowski mit einem ganz und gar russischen Programm, das auch ein Violinkonzert von Schostakowitsch für die international gefeierte deutsche Geigerin Julia Fischer enthält. Den Abschluss der Saison gestalten die Nürnberger Symphoniker unter dem großen finnischen Dirigenten Ari Rasilainen mit Sibelius, den Rokoko-Variationen von Tschaikowsky für die Cellistin Raphaela Gromes und eine Symphonie des bei uns weitgehend unbekannten Schweden Kurt Atterberg.      

Bregenzer Meisterkonzerte 2021/22

Donnerstag, 14. Oktober 2021: Europa Galante, Violine und Leitung Fabio Biondi

Musik von Antonio Vivaldi

Donnerstag, 25. November 2021: Orchestre des Champs-Élysées und Collegium Vocale Gent, Leitung Philippe Herreweghe, Solisten u. a. Regula Mühlemann, Sopran
A. Mozart: Sinfonie Nr. 40 g-Moll, Große Messe in c-Moll

Freitag, 21. Jänner 2022: Wiener Symphoniker, Dirigent Andrés Orozco-Estrada, Solisten des Orchesters
Erich Wolfgang Korngold: „Märchenbilder“; Joseph Haydn: Sinfonia Concertante B-Dur; Modest Mussorgski: „Bilder einer Ausstellung“

Samstag, 19. März 2022: Igor Levit, Klavier
Ronald Stevenson: „Passacaglia on DSCH“

Dienstag, 29. März 2022: Radio Sinfonieorchester Berlin, Dirigent Vladimir Jurowski, Julia Fischer, Violine
Werke von Sergej Prokofjew, Dmitri Schostakowitsch und Sergej Rachmaninoff

Samstag, 30. April 2022: Nürnberger Symphoniker, Leitung Ari Rasilainen, Raphaela Gromes, Violoncello
Werke von Jean Sibelius, Peter I. Tschaikowsky und Kurt Atterberg