"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Silvia Thurner · 31. Mär 2022 · Musik

Kraftvolle Orchesterwerke mit intensiver Aussage – Julia Fischer, das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und Vladimir Jurowski setzten starke Zeichen

Die Programmgestaltung der Bregenzer Meisterkonzerte hat es in sich, denn auch das fünfte Abonnementkonzert trug höchst aktuelle politische Züge. Die drei russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch, Sergej Prokofjew und Sergei Rachmaninov waren auf unterschiedliche Weise der politischen Wirrnis ihrer Zeit ausgesetzt und haben diese in ihren, teilweise auch autobiografischen, Werken zum Ausdruck gebracht. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Vladimir Jurowski stellte hervorragende Interpretationen in den Raum und gewährte musikalische Erlebnisse, die wohl niemanden kalt ließen. Im Mittelpunkt des energiegeladenen Abends stand die Violinistin Julia Fischer mit einer fantastischen Werkdeutung von Schostakowitschs erstem Violinkonzert.

Kunst und Kultur stehen immer auch in einem (gesellschafts)politischen Kontext und entfalten ihre enorme Wirkkraft oft genau dann, wenn Zeitläufe der Vergangenheit gegenwärtig werden, so geschehen beim fünften Bregenzer Meisterkonzert. Dmitri Schostakowitsch war zu seinen Lebzeiten in der damaligen Sowjetunion ärgsten Repressalien ausgesetzt. Sie waren ein lebensbestimmendes Thema, das ihren Ausdruck auch in seiner individuellen Kompositionsart fand. Das „Violinkonzert Nr. 1“ ist ein gutes Bespiel dafür.

Natürlich und authentisch

Julia Fischer präsentierte das komplexe Konzert mit höchster Intensität, die vom ersten bis zum letzten Ton anhielt. Beeindruckend und mit aller Ruhe präsentierte sie das einleitende Thema, das wie ein einsamer Gesang begann und emotional bis zum Äußersten gesteigert wurde. In einem stetigen Kontakt sowie in Auseinandersetzung mit dem riesigen Orchester entwickelte sich der musikalische Fluss fulminant. Eine große immanent schwelende Energie ging von Julia Fischer aus, die das allgegenwärtige Tonmotiv D-Es-C-H stets im Klangvordergrund behielt. Verbunden mit der vielfarbigen Instrumentierung sowie der hervorragenden Pianokultur des Orchesters entwickelte sich in den Ecksätzen eine ambivalente Stimmung zwischen Sarkasmus und Wehmut. Die Rollenwechsel zwischen der Solovioline und den Holzbläser:innen waren im virtuos dargebotenen Scherzo spannend nachvollziehbar. Eine dunkle Atmosphäre verbreitete die Passacaglia, in der die Gegensätze zwischen plakativen Paukenschlägen und den tiefen Stimmregistern sowie den choralartigen Holzbläserpassagen gut ausgelotet erklangen. Gleichzeitig öffnete sich ein riesiger Tonraum, aus dem Julia Fischer zur Kadenz anhob. Das Publikum ging konzentriert und aufmerksam mit.

Ausdrucksvolle Körperspannung und Symbolkraft

Sergej Prokofjews Andante bot dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und Vladimir Jurowski die Gelegenheit, seine Klanghomogenität sowie die ausgewogene Balance zwischen den Stimmgruppen eindrücklich in Szene zu setzen. Vladimir Jurowski leitete das Orchester mit sparsamen Gesten und dynamisch kontrastreich. Besonders wirkten die punktgenau positionierten Einsätze der melodieführenden Stimmen. Mit einer großen Körperspannung leitete der Dirigent die Musiker:innen auch in den „Symphonischen Tänzen“ von Rachmaninov. So kamen die Orchesterfarben, zahlreiche Zitate und programmatische Szenen, wie beispielsweise archaisch hymnische Passagen, der Walzer und die „Dies irae“ Sequenzen emotional ausformuliert zur Geltung.
Symbolkraft hatte die gelb-blaue Haarschleife von Julia Fischer. Darüber hinaus setzten Vladimir Jurowski und das RSB mit der Abschiedsserenade des ukrainischen Komponisten Valentyn Sylvestrov ein Zeichen. Nach düsteren, chromatisch absteigenden Linien wendete sich der Duktus des Streichorchesterwerkes und lichtete sich hin zu einem versöhnlichen Schluss.