Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Silvia Thurner · 11. Nov 2022 · Musik

Konstanten in der Veränderung – Jubel für den Pianisten Marino Formenti und seine intensive Kunst am Klavier

Vor achtzehn Jahren bespielte der Pianist Marino Formenti bei einem Festspielkonzert alle Stockwerke des KUB und bot eine Performance, die sehr lange nachgewirkt hat. Nun gab der zurecht allseits gefeierte Pianist im Rahmen der Montforter Zwischentöne im Foyer des Kunsthauses Bregenz ein Recital und begeisterte die zahlreichen Zuhörenden auf allen Linien. Das Programm war bewundernswert kreativ und musikalisch stringent durchkomponiert. Die zugrundeliegende Idee und die tiefgründige Werkauswahl unter dem provokanten Titel „WoFür Elise?“ regten die Sinne an.

Das KUB-Foyer und die derzeitige Ausstellung von Anna Boghiguian mit dem aufgespannten Segel im Zentrum des Raumes bot ein anregendes Ambiente. „Period of Changes. Time of Change“ lautet der Titel der derzeitigen Werkschau und dieser mag den kunstsinnigen Marino Formenti bei der Werkauswahl angeregt haben.

Ins Zentrum seiner Performance setzte der Pianist die berühmte Bagatelle „Für Elise“ von Ludwig van Beethoven, die er zu Beginn mit großer poetischer Ausdruckskraft sehr individuell ausdeutete. In weiterer Folge stellte Marino Formenti Beethovens Musik in Beziehung und Verbindung zu Werken von Frescobaldi, Couperin, Bach, Chopin, Glass, Poppe, Kurtág und Evans sowie einer anonymen arabischen Melodie. Die Zusammenstellung der Kompositionen vom Mittelalter bis in die Gegenwart regte zum Weiterdenken an, denn bald kristallisierte sich ein sinniges musikalisches Wesensmerkmal heraus, das die Kompositionen miteinander verband.

Komponisten und Werktitel zu wenig präsent

Die Montforter Zwischentöne sind zwar bekannt für ihre musikvermittelnden Konzertformate, in denen die Zuhörenden auf vielfältige Art und Weise bei der Hand genommen werden. Doch bei der Exkursion des in Feldkirch stationierten Festivals ins Bregenzer Kunsthaus blieben die Vermittlung der Intentionen aus. Nur sehr dezent wurde am Eingang das Konzertprogramm auf einem Notenständer preisgegeben. So saßen wohl die meisten Konzertbesucher:innen „unbedarft“ im Konzert, nicht wissend, was gespielt wurde. Doch die Spielart von Marino Formenti zog die Zuhörenden sofort in seinen Bann. Vom ersten bis zum letzten Ton herrschte eine wunderbar ruhige und konzentrierte Konzertatmosphäre.

Inspirierend gesetzte Wegmarken

Das typische Hauptmotiv aus dem Klavierstück „Für Elise“ setzte Marino Formenti als Markierungen zwischen die einzelnen Werke. Doch nicht als platte Post-It in einer immer gleichen Abfolge, sondern geistreich verankert nach den einzelnen Kompositionen und meistens in der Stimmung verändert.

Sämtliche Werke, die Marino Formenti interpretierte, zeichneten sich durch ein gemeinsames Charakteristikum aus. Die spezifische Tonfolge und das Intervall des Anfangsmotivs aus „Für Elise“ war in unterschiedlichen Konstellationen als themenbildende Ereigniseinheit in allen nachfolgenden Kompositionen zu hören. Verbunden mit dem Ausstellungstitel „Period of Changes. Time of Change“ und dieser Fährte folgend, entwickelte sich bei mir ein erfrischendes und spannendes Spiel von Hörerwartungen, Überraschungen und Sprüngen durch Kompositionsstile und Zeiten.

Innermusikalische Zusammenhänge

Faszinierend waren die Querbezüge vor allem in den Kompositionen des 20. Jahrhunderts zu erleben. Die ausgebreitete Klangfläche und sodann die eruptiv aufwallenden Texturen mit dynamischen Schüben in Philipp Glass‘ „Mad Rush“ verströmten eine große Sogwirkung. Den Höhepunkt des Abends bildete das „Thema mit 840 Variationen“ von Enno Poppe. Der insistierende Charakter der dort erklingenden Intervalle wirkte zu Beginn humorvoll, doch zum Schluss hin nahmen die musikalischen Floskeln immer mehr körperhafte Züge an und wurden in Clustern und kristallin schrillen Ereigniseinheiten energisch in den Raum gestellt. Beruhigend entfaltete Marino Formenti sodann Bill Evans „Peace Piece“, das er lyrisch und in sich gekehrt zelebrierte und unmittelbar zu einer arabischen Melodie in Beziehung setzte. Insbesondere diese Passagen ließen sich mit den künstlerischen Aussagen von Anna Boghiguian in einen Zusammenhang stellen.
Als Ganzes erlebt wird Marino Formentis Konzert mit seiner authentischen musikalischen Ausdruckskraft wieder sehr lange in Erinnerung bleiben.

https://marinoformenti.net/
https://www.montforterzwischentoene.at/
https://www.kunsthaus-bregenz.at