Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Füssl · 13. Nov 2022 · Musik

Extravagant und stimmgewaltig – Lady Blackbird begeistert beim Trans4JAZZ-Festival in Ravensburg

Als Marley Munroe, die unter ihrem Künstlernamen Lady Blackbird um die Jahreswende mit dem fabelhaften Debütalbum „Black Acid Soul“ über alle musikalischen Genregrenzen hinweg für großes Aufsehen gesorgt hatte, die Bühne betrat, wähnte man kurzfristig auf wundersame Weise als Statist im neuen Wakanda-Film gelandet zu sein. Eine riesige Goldscheibe ragte über der Stirn der Sängerin in die Höhe und eine gleich große legte sich vom Hals abwärts über ihre Brust, ihre halblangen weißen Haare standen afrolook-mäßig vom Kopf ab, ihr Körper war in ein enganliegendes, transparentes Kleid gehüllt. Die bunten Neorokoko-Zuckerguss-Stuckaturen des Saales boten in Kombination mit den als Bühnendekoration dienenden, senkrechten, vielfarbigen Lichtstäben eine ideale, weil irgendwie surreale Kulisse für Lady Blackbirds extravagantes, afrofuturistisches Styling. Ihre Stimme hingegen ist jenseits jeglicher Fashion-Überlegungen schlicht und einfach eine Naturgewalt.

Exzellente Covers ...

Nach einem mit noiseartigen Elementen versetzten Intro vom Band im abgedunkelten Saal bewies Lady Blackbird gleich schon mit dem Opener ihr fabelhaftes Händchen für exzellentes Cover-Material. Robert Johnsons genialer und von zahllosen Musiker:innen und Sänger:innen adaptierter Blues-Klassiker „Hellhound on My Trail“ bot ihr von null auf hundert die Gelegenheit, ihre raue, zutiefst emotionsgeladene Stimme auf eindrucksvolle Weise in Szene zu setzen. So begann das Konzert gefühlsmäßig gleich schon auf einem Level, den andere Künstler:innen meist erst gegen Ende des Abends erreichen. Nicht weniger unter die Haut ging Reuben Bells 1960-er Jahre Southern Soul-Klassiker „It’s Not That Easy“, von Lady Blackbird als tieftrauriger Herzschmerz-Lovesong à la Amy Whinehouse angelegt. „Collage“ vom 1969-er Debüt-Album der James Gang verfügt noch über den hypnotischen Charme des Rock-Orignals, wurde aber mit zahlreichen modalen Elementen angereichert. Um die düsteren Zukunftsaussichten für durch Geschlecht, Rasse und Klassenzugehörigkeit gleich mehrfach benachteiligten schwarzen Frauen geht es in „Blackbird“ von Nina Simone, die ebenfalls regelmäßig als Referenzgröße herangezogen wird, wenn es darum geht, das Phänomen Lady Blackbird zu ergründen. Ihre dramatischen Fähigkeiten konnte sie aber auch bei „Did Somebody Make a Fool Out of You“ aus der Feder des Swamp-Rockers Tony Joe White voll ausschöpfen. Hier durfte sich auch Gitarrist Chris Seefried, der schon Blackbirds Debütalbum „Black Acid Soul“ produziert hatte, mit dem einzigen längeren, durchaus griffig-rockig angelegten Gitarrensolo überzeugend in Szene setzen. Diesen einen großartigen Moment im Rampenlicht erhielt auch Pianist/Keyboarder Kenneth Crouch mit einer langen Improvisation zu Bill Evans‘ wundervoller Ballade „Peace Piece“, die von Munroe/Seefried mit einem Text versehen und unter dem Titel „Fix It“ veröffentlicht wurde. Schnell wurde klar, dass der vielseitige Tastenzauberer, der unter anderem schon für so unterschiedliche Größen wie Mariah Carey, Eric Clapton, George Clinton, Bob Dylan, Whitney Houston, Michael Jackson, B.B. King, Lenny Kravitz, Tom Petty, Lionel Richie oder Lauryn Hill in die Tasten gegriffen hat, auch alleine einen großartigen Abend bestreiten könnte. Aber wie Seefried, und das gleichermaßen einfühlsam wie erdend agierende Rhythmus-Team mit Bassist Johnny Flaugher und Dummer Rich Pagano stellte auch Crouch sein Können hundertprozentig in den Dienst von Lady Blackbird. Ihre Stimme bestmöglich in Szene zu setzen, das hatte stets oberste Priorität.

... und überzeugende Originals

Klarerweise auch in den eigenen Stücken, für die zumeist Seefried und Munroe im Doppelpack verantwortlich zeichnen. Etwa die herzzerreißende Ballade „Five Feet Tall“ oder „Woman“, das mit seinem stampfenden Rhythmus und dem forcierten Tempo zu den flottesten Stücken im Repertoire zählt. Dasselbe gilt für „Feel It Comin‘“, das beim Konzert mit ins Publikum gerichteten Blindern wohl so etwas wie Dancefloor-Tauglichkeit suggerieren sollte. Aber gleich darauf durften sich die dadurch möglicherweise etwas aufgescheuchten Gemüter mit einer nachtclubschweren Version von Tim Hardins verzweifeltem, balladenhaften Love-Song „It’ll Never Happen Again“ wieder ins gewohnte Lady Blackbird-Revier entführen lassen. Ein wundervoller Abschluss des regulären Konzertprogrammes, aber Lady Blackbird ließ sich vom tobenden Applaus gerne auch noch für zwei Zugaben zurück auf die Bühne bitten. Darunter „I Am What I Am“, das Gerald „Jerry“ Herman für das Broadway-Musical „La Cage aux Folles“ geschrieben hatte und das später von Gloria Gaynor in die internationalen Charts gebracht wurde. In Lady Blackbirds Version wird der berühmte Selbstermächtigungs- und Coming-out-Song zu einer Art Glaubensbekenntnis.

Vielleicht lässt sich die ultimative Inbrunst des Gesanges der aus New Mexico stammenden und mittlerweile längst in Los Angeles lebenden Marley Munroe ja auf ihre ersten musikalischen Schritte in der christlichen Gospel-Szene zurückführen. Jedenfalls hat man das Gefühl, sie müsse nur ihre Lippen öffnen und schon ströme eine Flut an tiefgehenden Emotionen hervor. Ein zwischen Jazz, Soul, Blues, Rock und Pop angesiedeltes Phänomen, das sich nur schwer greifen und auch durch Vergleiche mit Simone, Winehouse, Billie Holiday, Grace Jones, Mahalia Jackson, Gladys Knight oder Tina Turner – um nur die gängigsten zu nennen – nicht wirklich beschreiben lässt. Munroe nennt das musikalische Genre schlicht „blackacidsoul“ nach dem Titel ihres Albums. Und man muss Lady Blackbird am besten einmal live erlebt haben, um zu erfahren, dass ihr Hohepriesterinnen-Outfit durchaus zur Tiefgründigkeit ihres expressiven Gesanges passt.

Ein grandioser Abend, zu dem man den rührigen Ravensburger Jazztime-Aktivist:innen nur gratulieren kann!