Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Peter Füssl · 25. Apr 2019 · Musik

"Komponieren am Computer ist wie in Zeitlupe improvisieren mit Korrektur-Option" - Das Jazzorchester Vorarlberg spielt Kompositionen von Vincent Pongracz

Zuletzt spielte das Jazzorchester Vorarlberg zwei Projekte mit Werken des Südtiroler Komponisten Gerd Hermann Ortler im Spannungsfeld von zeitgenössischer Musik und Jazz: einmal „And The Moon And The Stars And The World“ in Kooperation mit dem Symphonieorchester Vorarlberg, und letztes Jahr dann ohne SOV „Hermannology“. Nächstes Jahr wird beim Jazzorchester dann ein Projekt mit 5/8erl in Ehr’n auf dem Programm stehen, die für ihre exquisite Mischung aus Wienerlied, Soul und Jazz bekannt sind. Aktuell steht nun aber ein Abend mit Auftragswerken des jungen Wiener Komponisten Vincent Pongracz an, mit dem der Trompeter und JOV-Co-Leader Martin Eberle auch schon einige musikalische Erfahrungen gemacht hat: „Vincent ist für mich einer der interessantesten aufstrebenden jungen Komponisten aus Österreich, der es sehr gut versteht, die unterschiedlichsten Musikstile miteinander zu verbinden und vertrackte Grooves und skurrile Melodien bodenständig und gehörfällig klingen zu lassen. Vor allem in Kombination mit der RnB-Sängerin Sista Raie wird das ein richtig fetter Groove-Act werden!“

Aufwändige, aber sehr spannende Programmierung

Das Jazzorchester Vorarlberg hat ja von allem Anfang an auf speziell konzipierte Konzertprogramme mit an Komponisten/Musiker vergebenen Auftragswerken gesetzt, für die immer auch spezielle Orchesterzusammensetzungen notwendig waren. Eberle zeigt sich von den Ergebnissen begeistert: „Das ist eine sehr spannende Vorgehensweise und ermöglicht kreatives Arbeiten, um den etwas veralteteren Big Band-Apparat aufzubrechen, neue Klangfarben zu finden und sich musikalisch in alle Richtungen auszutoben.“ Der große organisatorische Aufwand lasse sich nur gemeinsam im Team mit Martin Franz und Klaus Peter bewältigen, so Eberle, der sich über die großzügige Unterstützung durch das Land Vorarlberg freut, die auch Aktivitäten über die Landesgrenzen hinaus ermöglichen.

Das JOV stellt für den in Dornbirn aufgewachsenen und in Wien lebenden Trompeter die ideale Verknüpfung seiner beiden musikalischen Lebenswelten dar. Martin Eberles Terminkalender ist für 2019 jedenfalls schon überquellend voll: „Derzeit spiele ich im Kunsthistorischen Museum in Wien eine Performance mit der Tänzerin Manaho Shimokawa im Rahmen der Produktion ‚Ganymed in Love‘. Das läuft bis Mitte Juni. Zeitgleich bin ich ab April bis in den Herbst hinein mit Soap&Skin auf Europa Tour und veröffentliche mit Kompost 3 im Mai das sechste Album. Damit sind wir dann unter anderem auch am 6. Juni im Vorarlberg Museum zu Gast. Im September erscheint das zweite Album von 5K HD, mit dem wir ab Sommer und vor allem im Herbst ausgiebig in Europa touren und am 25. Oktober auch am Spielboden halt machen. Abschließen werde ich das Jahr dann mit dem JOV und den 5/8erl in Ehr’n.“

Interview mit Vincent Pongracz

„Mit Vincent Pongracz gibt es endlich wieder mal einen jungen, ernst zu nehmenden Komponisten und Arrangeur, der erfreulicherweise auch noch selber spielt. Und das ganz hervorragend dazu!“ – dieses Lob aus berufenem Munde, nämlich jenem des Vienna Art Orchestra-Masterminds Mathias Rüegg, lässt für das aktuelle Projekt des Jazzorchester Vorarlberg natürlich große Erwartungen aufkommen. In der Tat hat der 1985 in Wien geborene Komponist/Klarinettist interessante Ansätze und Ansichten, wie das folgende Interview zeigt.

Ideen so einfach und kompromisslos wie möglich präsentieren

Peter Füßl: Musikalisch scheint Deine Musik jenseits von Genregrenzen irgendwo im Spannungsfeld von Jazz, zeitgenössischer Klassik und Hip-Hop-Einflüssen angesiedelt zu sein. Wo würdest Du Dich selber sehen?

Vincent Pongracz: Ich denke, das trifft es ganz gut. Diese drei Stilbegriffe sind auf jeden Fall tragende Wände in meinem musikalischen Haus. Vielleicht noch ein bisschen Elektronik und Imaginäre Folklore.

Füßl: Was ich vom Synesthetic Quartet bzw. Octet gehört habe, klingt rhythmisch ziemlich vertrackt, bleibt aber doch immer irgendwie groove-orientiert – und verblüfft durch viele immer wieder überraschende Details und einen enormen Einfallsreichtum, der sich in sehr Gegensätzlichem und trotzdem zueinander Passendem entlädt. Wie leicht lässt sich das vom Oktett auf ein vierzehnköpfiges Jazzorchester-Format übertragen, oder gehst Du beim JOV andere Wege?

Pongracz: Bei dem JOV-Projekt versuche ich jede musikalische Idee so einfach und kompromisslos wie möglich zu präsentieren. Je größer das Ensemble, umso klarer muss die Musik sein. Es ist schön, für einen größeren Klangkörper zu schreiben, weil man wuchtigere Klänge erzeugen kann. Darauf setze ich. Mal sehen, ob es aufgeht. 

So tief wie möglich in die Materie eintauchen

Füßl: Verstehst Du Synästhesie im Sinne von Farben hören, Klänge fühlen? Wie gehst Du beim Komponieren grundsätzlich vor? Wodurch lässt Du Dich inspirieren?

Pongracz: Ich bin selbst kein Synästhetiker. Bei mir gibt es verschiedene Phasen vom Sich-inspirieren-Lassen. Eine ist das Aufsaugen von Material, das Sich-Einflüssen-aller-Art-Aussetzen, die Stimulation. Eine andere ist der Rückzug, die Stille. Das Aufgesaugte verdauen. So wie essen und aufs Klo gehen. Aber das macht man ja sowieso. Letztendlich ist das Wichtigste und Inspirierendste immer, so tief wie möglich in die Materie einzutauchen und sich Zeit zu nehmen, jede Frage, die im Schaffensprozess auftaucht, auf die wesentliche Frage „Was will ich sagen?“ zurückzuführen. Das ist dann auch schon die Antwort.

Eher Messiaen als Mingus und Gil Evans

Füßl: Man hat bei Dir zwar nicht das Gefühl, dass Du Dich musikalisch groß an irgendwelche Vorbilder klammerst, aber trotzdem die Frage: Wenn Du für ein Jazzorchester mit dem breiten Klangspektrum, das dort möglich ist, schreibst, hast Du da irgendwelche Klangideale oder Einflüsse im Kopf – Gil Evans, Charles Mingus, Don Ellis, Carla Bley, um nur mal ein paar Koordinaten zu liefern? 

Pongracz: Mingus war groß bei mir. Ist aber auch schon lange her. Da ging es für mich immer um die starke Expressivität, die kanalisierte Wut und die Energie. Gil Evans hör ich aber jetzt mehr. Am ehesten kommt beim Schreiben für so ein großes Ensemble dann aber doch Olivier Messiaen durch. Ich glaube, das ist am plakativsten und plumpsten übernommen. Dadurch, dass diese Elemente aber in so einem anderen Kontext klingen, macht das nichts, finde ich.

Sehr klare Vision für den Klang

Füßl: Denkst Du beim Schreiben auch an die Musiker, die ein Stück spielen werden. Zum Beispiel mit Gitarrist Peter Rom oder Bassist Manuel Mayr verbindet Dich ja eine lange Geschichte? Hattest Du zum Vorarlberger Teil des JOV auch schon musikalische Kontakte?

Pongracz: Ja, auf jeden Fall. Ich versuche so gut wie möglich für die Musiker zu schreiben. Wie du sagst, Peter Rom und Manuel Mayr kenne ich mittlerweile schon gut. Da gibt es aber natürlich auch laufend Überraschungen. Mit Martin Eberle hatten wir mal ein super Trio, und mit Benny Omerzell habe ich ca. ein Jahr in einer WG verbracht. Ich kenne natürlich auch die Musik von Kompost3 gut.

Füßl: Wie ist bei Dir das Verhältnis von Durchkomponiertem zu frei Improvisiertem – generell und speziell jetzt auch beim Jazzorchesterprojekt?

Pongracz: Ich improvisiere gerne. Ich habe auch gerne beim Komponieren die Möglichkeit aufzunehmen. Ich schreibe viel am Computer, weil da alles sehr schnell geht. Komponieren ist so wie in Zeitlupe improvisieren mit Korrektur-Option. Wenn ich für ein Ensemble komponiere, habe ich gerne die Kontrolle, weil ich eine sehr klare Vision für den Klang hab. Manche Dinge kann man aber nur dann erreichen, wenn die Musiker Freiheiten haben. Es wird also schon improvisierte Teile geben.

Humor durch Absurdität, aber auch durch Ernsthaftigkeit

Füßl: Beim Hören der Aufnahmen hatte ich das Gefühl, dass für Dich auch der Humor in der Musik eine Rolle spielt – möglicherweise im dadaistischen Sinn, unter anderem auch als Rapper August Baron ausgelebt. 

Pongracz: Ja, das stimmt. Humor durch Absurdität. Aber auch Humor durch Ernsthaftigkeit. Guter Humor steht immer in Verbindung mit Wahrheiten oder Absurdem. Auch in der Musik, finde ich, müssen humorvolle Elemente mit vollster Ernsthaftigkeit präsentiert werden, damit sie wirken.

Füßl: Beim JOV-Projekt wird Renee Benson aka Sista Raie dabei sein. Wie bist Du auf sie gekommen und was sind ihre Vorzüge als Vokalistin?

Pongracz: ® Wir kennen uns schon sehr lange. Renee hat früher in Wien gelebt, bevor sie nach New Orleans gezogen ist. Wir haben lange zusammen in der Band No Home For Johnny gespielt. Sie ist eine unglaublich energetische Sängerin, ich mag ihre Texte, und es ist jedes Mal eine Freude, ihr auf der Bühne zuzusehen.

Die Klarinette hat auch humoristisches Potenzial

Füßl: Bislang haben wir „nur“ vom Komponisten Vincent Pongracz gesprochen, Du wirst aber auch selber als Klarinettist mitspielen. Manche Deiner Melodien können ja fast etwas klezmerhaft Orientalisches haben, in Summe dürften Dir aber wohl Eric Dolphy, Michel Portal oder Don Byron näherstehen. Wo siehst Du das Potential dieses Instruments im Jazz bzw. in Deiner Musik?

Pongracz: Ja, Eric Dolphy war ein großer Einfluss. Ich habe früher viel darüber nachgedacht, wie die Position der Klarinette im Jazz ist, und es gibt ja tatsächlich nicht so viele Klarinettisten in diesem Bereich. Ich bin froh, ein Instrument zu spielen, das man in dem Kontext nicht allzu oft solistisch hört. Ich mag den warmen Klang in der Tiefe und die lebendige Virtuosität in den höheren Registern. Da gibt es auch humoristisches Potenzial. Ich habe früher auch viel Klezmer gehört, im Gegensatz zum Jazz ist da die Klarinette viel präsenter.

Füßl: Danke für das Gespräch.

Jazzorchester Vorarlberg feat. Sista Raie
Komposition: Vincent Pongracz

Di, 30.4., 20.30 Uhr Kammgarn Hard
www.kammgarn.at

Mi, 1.5., 20.30 Uhr Porgy & Bess Wien
www.porgy.at

Fr. 26.7. Popfest Wien
www.popfest.at

(Dieser Artikel ist in der KULTUR-Zeitschrift vom April 2019 erschienen.)