Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Silvia Thurner · 27. Apr 2019 · Musik

„Die lange Nacht des Träumens“ bei „Musik in der Pforte" war im wahrsten Sinne des Wortes eine lange Nacht

Klaus Christa hat eine Vorliebe für spezifische Konzertprogramme mit Überlänge, die ein bewusstes Eintauchen in ein bestimmtes Thema ermöglichen. Unterschiedliche Facetten des Träumens standen im Rahmen einer „Langen Nacht des Träumens“ im Fokus. Positive, aufwühlende und angstvolle Träume sowie Visionen öffneten kreative Räume zwischen Utopie und Realität. Das Programm war vielfältig zusammengestellt und beinhaltete neben bahnbrechenden historischen Kompositionen von Beethoven, Brahms und Gesualdo sowie Liedern von Clara Schumann und Maria Bach auch fünf Auftragswerke von David Soyza, Vivian Domenjoz, David Helbock, Raphaela Fröwis und Darius Grimmel. Viel Anregendes gab es dabei zu bestaunen, doch als Ganzes blieb bei mir das eigentümliche Gefühl zurück, dass die Fülle der Darbietungen im Zusammenspiel mit der Dramaturgie des Abends zuviel des Guten war.

Zahlreiche Kammermusikfreunde fanden sich im Feldkircher Pförtnerhaus ein, um in die musikalischen Welten der Träume im eher lockeren Rahmen von „Pforte um Sieben“ einzutauchen. Nach einem verzögerten und ziemlich chaotischen Beginn stellte sich schließlich eine Atmosphäre der Ruhe ein und die Konzentration konnte auf die Musik und die Werkdeutungen gerichtet werden.
Beethovens Streichquartett Op. 127 sowie Brahms Klavierquartett op. 25 bildeten bedeutende Hauptpfeiler der Werkauswahl. Fabiola Tedesco und Francesca Temporin (Violine) sowie Klaus Christa (Viola) und Mathias Johansen (Violoncello) interpretierten das visionäre Beethovenquartett stringent und mit energischem Zugriff. Im Adagio stellte sich der gemeinsame Atem ein und die melodischen Linien konnten fließen.

Im Flow

Den Höhepunkt des Abends stellte die Werkdeutung des Klavierquartetts von Johannes Brahms dar. Hier spielten sich Fabiola Tedesco, Klaus Christa, Mathias Johansen sowie die herausragende Anna Magdalena Kokits am Klavier in den viel gerühmten, stets angestrebten, doch selten erreichbaren „Flow“. Dieses gegenseitige Geben und Nehmen sowie das bereichernde musikalische Einverständnis der Musikerinnen und Musiker ließ auch den Funken auf die Zuhörenden überspringen, die jubelnd applaudierten.
Genau nach diesem Höhepunkt zeigte sich die Schwäche der Dramaturgie dieser „Langen Nacht“ besonders deutlich, denn dieses mitreißende Erlebnis markierte erst die Mitte des gut vierstündigen Konzertabends. So war es für die nachfolgenden Musikerinnen und Musiker nicht einfach, die Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer nochmals zu bündeln.
Zu den mannigfaltigen Musikdarbietungen lud Klaus Christa auch die Frauen und Männer aus dem Begegnungscafe „Minze“ in Klaus zum Zusammenwirken ein. Nach einer Idee von Bianca Jäger-Schnetzer fertigten sie eine poesievolle und ansprechende Fotoserie mit bewegten Bildern, die von Musikern und vom Vokalensemble Ottava Rima untermalt wurden. Doch in all der Menge des Gebotenen, erhielten die Fotos allzu wenig Raum und Zeit zur Entfaltung.

Visionäre Frauen

Lea Müller und Anna Magdalena Kokits lenkten den Blick auch auf komponierende Frauen, die Visionäres geschaffen haben. Zuerst sang die Mezzosopranistin Clara Schumanns Lieder „Ich stand in dunklen Träumen“ und „Der Mond kommt still gegangen“ sowie „Helle Nacht“ von Maria Bach. Sie formte die Melodielinien textdeutlich, etwas zu forciert in den hohen Lagen, aber fein nuanciert und mit warmem Timbre in den tieferen Registern. Lea Müllers Gestaltungskraft kam vor allem im archaisch gesetzten „Schlummerlied“ von Maria Bach zur Geltung.
Das Vokalensemble Ottava Rima widmete sich der Vokalpolyphonie der Renaissance und sang aus den fünfstimmigen Madrigalen des Carlo Gesualdo drei Lieder. Doch nachdem der Einsatz in „Sospirava il mio core“ etwas missglückte, schien es, als fassten sich die Sängerinnen und Sänger auch in den folgenden Liedern „Moro, lasso, al mio duolo“ und T’amo mia vita“ nicht so recht. Bedacht auf einen ausgeglichenen Gesamtklang verflochten sie die polyphonen melodischen Linien, dabei hatten insbesondere die Sopranistinnen schwierige Einsätze in hohen Lagen zu bewältigen.

Traumweg, Traumgesellen und Traumfänger

Mein Hauptinteresse richtete sich auf die fünf neuen Kompositionen, die an diesem Abend vorgestellt wurden. Nach dem Motto „Pforte von morgen“ vergibt Klaus Christa Aufträge an Komponisten, die noch am Anfang ihres Werdegangs stehen. Die neuen Werke werden dann in die Obhut der Studierenden des Vorarlberger Landeskonservatorium gelegt, wo Klaus Christa auch eine Kammermusikklasse betreut.
Der Vibraphonist David Soyza betitelte sein Werk mit „Traumweg“ und setzte seine lyrisch balladenhafte Musik für Streichquartett, Kontrabass sowie zwei Flöten und zwei Klarinetten. Karen Gómez Ruiz und Vassiliki Anagnostopoulou (Violine), Zuko Samela (Viola), Juan Camilo Gomez Lizarazu (Violoncello), Fernando Hidalgo Gutierrez (Kontrabass), Natalia Tellez Ramirez und Okan Sizanli (Flöte) sowie Kenichi Kawabata und Paul Moosbrugger (Klarinette) spielten die episodenartig angelegte Musik in einem aufmerksamen Austausch miteinander, so dass die Klangfarbenspiele gut zur Geltung kamen. Feinsinnig breiteten sie am Beginn einen sich aufwölbenden Klangteppich aus, aus dem sie das Hauptthema kristallisierten und ein mitteilsames Frage- und Antwortspiel formten, bis die melodischen Linien schließlich in einen romantischen Song mündeten.
„Traumfänger“ nannte David Helbock sein erstes Klaviertrio für Klavier, Violine und Violoncello. Darin spielte er zuerst mit realen und manipulierten Klaviertönen und führte mit dem musikalischen Hauptgedanken eine spannende Metamorphose durch, denn das Thema wurde allmählich zur Begleitformel und driftete sodann ab in kreisende Floskeln. Zudem lenkte die Variation in einem ganz anderen Klangcharakter die Aufmerksamkeit auf sich.
Raphaela Fröwis komponierte für die lange Nacht des Träumens“ das aussagekräftige Lied „Traumgesellen“ für Mezzosopran (Lea Müller), Violoncello (Iris Christa), Klavier (Anna Magdalena Kokits), Violine (Rahel Neyer, Clara Mayerhofer) und Viola (Fridolin Schöbi). Vor allem der erste Abschnitt mit der ambivalent ausdeutenden Melodielinie und den reizvollen Dialogen zwischen der Singstimme und dem Instrumentalpart zogen die Aufmerksamkeit auf sich.

Von der verlorenen Zeit und Legenden

Eine große Herausforderung für die Studierenden stellte das Werk „… Du Temps Perdu“ für zwei Streichquartette und Kontrabass von Vivian Domenjoz dar. Dementsprechend vorsichtig gestalteten Katia Blejer, Vassiliki Anagnostopoulou, Karen Gómez Ruiz und Sarah Thurmann (Violine), Erin Torres und Zuko Samela (Viola), Juan Camilo Lizarazu und Johanna Augustin (Violoncello) sowie Fernando Hidalgo Gutierrez (Kontrabass) unter der Leitung von Darius Grimmel die differenziert ineinander geschachtelten Themen und Motive aus. Dennoch kamen die spannend gesetzte, abschnittweise auch „doppelchörig“ angelegte Musik, das Wechselspiel mit dem exponierten Kontrabass sowie die spektral ausgeformten Tonschichtungen gut zur Geltung.
Musikalisch dicht setzte Darius Grimmel die „Legende“ für Violine (Katia Blejer), Viola (Erin Torres), Violoncello (Hannah Eberle) und Kontrabass, den er selbst spielte. Der spätromantisch impressionistische musikalische Fluss bildete kraftvolle, von einem starken Fundament getragene Passagen aus, die den eher dunklen Klangcharakter unterstrichen. Gut proportioniert wirkten die Wechsel zwischen symphonisch angelegten und rhythmischen Abschnitten.