Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Anita Grüneis · 14. Mai 2022 · Musik

Julia Fischer und das Hohelied der Streicher

Die Academy of St Martin in the Fields gastierte mit der Stargeigerin Julia Fischer im Vaduzersaal, wobei die Solistin gleichzeitig die Leitung des Orchesters innehatte. Auf dem Programm standen Werke von Franz Schubert, Benjamin Britten, Wolfgang Amadeus Mozart und Dmitrij Schostakowitsch. Das Konzert wurde zu einem Wohlfühlbad in Streicherklängen.

Schon der Auftakt mit Franz Schuberts „Rondo für Violine und Streichorchester in A-Dur“ war eine Einladung zum Schwelgen. Schubert schrieb das Rondo 1816 in Wien, er war damals gerade 18 Jahre alt. Seine Lieblingsinstrumente waren Geigen und Bratschen. Das machte Julia Fischer bei diesem Rondo mehr als deutlich. Immer wieder schien sie dem Orchester die Frage zuzuwerfen: „Wollen wir ein Tänzchen wagen?“ und die Musiker antworteten mit einem begeisterten: „Ja, gerne.“ Nach dem eher zarten Adagio folgte ein frisches Allegro Giusto, bei dem die Geigerin mit äußerster Genauigkeit und zugleich weitem melodischen Fluss zum heiteren Tanz lud. Die 38-jährige Julia Fischer zeigte sich vom Anfang an als „Prima inter pares ‒ als Erste unter Gleichen.

Persönlichkeit mit vielen Facetten

Beim Werk „Variationen über ein Thema von Frank Bridge op. 10“ von Benjamin Britten wurde sie dann von der Solistin zur Konzertmeisterin. Gemeinsam mit dem Orchester ließ sie die zehn kurzen und eigenwilligen Sätze zur Überraschung des Abends werden. Die geforderte hohe Präzision in der Rhythmik und der Intonation waren ein Leichtes für die Musikerinnen und Musiker. Ihr Spiel blieb immer virtuos, auch wenn die Geigen – und nicht nur jene von Julia Fischer – auf ihren Griffbrettern immer höher und höher rutschten. Sorgten die Celli und Kontrabässe beim Adagio noch für einen schwebenden Klang, geheimnisvoll, dumpf und bedrohlich, so hellten die Bratschen und Geigen die Räume auf, bis ein Lichtstrahl durchzubrechen schien. Bei der „Romanze“ durften die Violinen dann in höchsten Tönen schwärmen, beim „Wiener Walzer“ wurden Erinnerungen an den Opernball wach. Doch die Leichtigkeit blieb nicht lange, die Kontrabässe begannen drängend zu pochen. Bei den dramatischen Schluss-Sätzen perlten alle Töne dahin, bis sie brausend ineinander fielen. Benjamin Brittens „Variationen“ wurden an diesem Abend zu einem Hohelied der Streicher.

Rondo und Bedrohlichkeit

Nach der Pause gab es zur Einstimmung noch einmal ein „Rondo“, diesmal das für Violine und Orchester in C-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart. Und wieder zeigte Julia Fischer ihre unglaublich leicht anmutende Virtuosität und ihre empathische Spielweise mit dem Orchester, das für dieses Werk mit vier Bläsern verstärkt war. Alle gingen mit Leidenschaft ans Werk, was sich auch beim letzten Stück zeigte, Dmitrij Schostakowitschs „Kammersymphonie in C-Moll op 100a“. In gerade mal drei Tagen soll er das Werk geschrieben haben, es erzählt von Schmerz und Befreiung. Das Zuhören tat zu Beginn tatsächlich ein wenig weh, die dunklen, schweren Töne blieben ständig in der Schwebe, nichts schien sie zu erden, bis dann ein Sturm losbrauste, ein Kampf entbrannte. Wuchtig und schmerzhaft schaukelten sich die Klänge hoch, zum Kampf bereit, dann wieder sprach die Geige mit dem Cello, wispernd, flirrend. Den vierten Satz ließ Schostakowitsch zu einem Fanal für die Opfer werden. Perkussive Akkordschläge riefen das Bild einer Hinrichtung wach. Immer wieder schien sich der Klangteppich neu zu formieren bis hin zu einem Trauergesang auf die Zerstörung. Die wiederholt auftretenden Tutti-Schläge sollen angeblich die nächtlichen Faustschläge der stalinistischen Geheimpolizei an den Türen der zu deportierenden Bürger darstellen. Ob das so gedacht war oder nicht – unheimlich waren sie allemal. Als das Orchester geendet hatte, blieb es minutenlang still im Vaduzersaal, bis Julia Fischer aufstand und sich verneigte.
Als Zugabe spielten Orchester und Solistin die „Mélodie“ aus Tschaikowskys „Souvenir d’un lieu cher op. 42“. Damit führten sie das Publikum wieder in freundliche Sphären. Wo andere Orchester russische Musik derzeit meiden, feierten die Academy of St Martin in the fields und Julia Fischer ihre hohe Kunst. Das Publikum bedankte sich mit langem Applaus. 

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www.juliafischer.com