Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Fritz Jurmann · 28. Sep 2012 · Musik

Im Nostalgie-Look der Siebziger gegen Franz Schubert: „Pforte“-Konzert der spannenden Kontraste

Da steht nun eine junge Frau, die kurz vor Konzertbeginn im Saal noch ihr Baby gefüttert hat, auf der Bühne des Feldkircher Pförtnerhauses. Langes, oranges Kleid im Nostalgie-Look der Siebziger, langes, offenes Haar. Und sekundenlang wähnt man sich im falschen Film, erwartet statt des angekündigten „Pforte“-Konzertes eher stille Lieder von Joan Baez. Doch die 37-jährige Georgierin Russudan Meipariani ist zwar Sängerin, in erster Linie aber Komponistin im Bereich der neuen Musik und wird an diesem Abend die Uraufführung ihres Auftragswerkes präsentieren.

Auf einer Ebene mit Schubert

Zum dritten Mal nach Michael Amann und Gerold Amann haben die „Pforte“-Macher in den 12 Jahren ihrer Konzertreihe einen Kompositionsauftrag vergeben, um das klassisch-romantische, bzw. barocke Einerlei erfolgreich mit neuen Tönen aufzumischen. Das Wagnis des aktuellen Projektes, das bereits am Donnerstag im Pförtnerhaus „die etwas andere Generalprobe“ erlebte, lag nun daran, dass das neue Werk damit auch verbal auf eine Ebene mit Schuberts Streichquintett gehievt wurde. Und das hat sich weder Meipariani noch Schubert verdient.

„Nur wenn ihr vom Fluss der Stille trinkt …“ ist der Abend poesievoll überschrieben, und die Stille, die Verinnerlichung ist denn auch das einzige Element, das die beiden Werke verbindet. Ansonsten entfaltet die zierliche Komponistin und Sängerin aus Tbilisi, die in Deutschland bei Wolfgang Rihm studiert hat, in ihrem neuen Werk „Außen – Innen“ für Stimme und Streichquintett ihre ganz eigene, zerbrechliche Klangwelt, verarbeitet Begriffe die Zeit, Fliegen oder auch Konkretes aus der Geräuscheschublade. So zart und sinnlich wie ihre Erscheinung ist auch ihr Stimmchen, das akustisch verstärkt werden muss. Es ist nicht mehr als ein Instrument, das sich über dem gekonnt gestrickten Klangteppich der Streicher in lautmalerischen Experimenten entfaltet, in einen Dialog mit der ersten Geige tritt oder sich nahtlos ins Klangbild integriert.

Arvo Pärt lässt grüßen

In einem Interview mit Klaus Christa bekennt sich Meipariani denn auch zur Rockmusik der 70er und zu Techno in ihren Werken, die aus Improvisationen am Klavier entstehen. In der Hauptsache aber basiert ihre vorwiegend tonale Musik auf Folklore ihrer georgischen Heimat, aus Skandinavien und Indien, auf mittelalterlicher Musik, und das in kahler Reduktion. Arvo Pärt lässt grüßen. Das wäre alles recht und schön und fasziniert auch in den ersten Minuten durch eine Art neuer Einfachheit, durch eine Ausdruckspalette, die von kindlich bis jazzig reicht, mit immer wieder schön ausgeführten Schreitbewegungen in den Instrumenten.

Wenn – ja, wenn der sympathischen Künstlerin nicht doch allzu bald die Einfälle ausgegangen wären, sich ihre 20-minütige Komposition nicht allzu oft in Wiederholungen erschöpfte, die auch nichts mit Minimal music zu tun haben. Da vermisst man einfach logische formale Entwicklungen im Aufbau. Auch bei einer zweiten Aufführung des Werkes nach dem Interview – übrigens ein durchaus lobenswertes Unterfangen bei neuer Musik – entdeckt man nichts wirklich Ungehörtes, es bleibt ein Déjà-vu-Gefühl. Dem Publikum jedenfalls hat es gefallen, vor allem auch in dieser perfekt erarbeiteten Wiedergabe durch die Komponistin/Sängerin und das epos:ensemble.

Schubert – ein Griff nach den Sternen

Bei Franz Schuberts singulärem Streichquintett C-Dur im zweiten Teil des Abends verhält es sich dann genau umgekehrt. Seine Einfälle sind so gut wie unerschöpflich, er bezieht sie in diesem Alterswerk aus dem Fundus eines ebenso tragischen wie kurzen Lebens. Das Wagnis der Wiedergabe eines solchen Meilensteins der Kammermusik mutet freilich für eine Truppe wie das „Pforte“-eigene epos:ensemble, das nicht ständig zusammen musiziert, wie ein Griff nach den Sternen an.

Doch da erlebt man, als größte Überraschung dieses Abends, fassungslos fünf zur Einheit verschmolzene Musiker: Christine Busch und Verena Sommer, Violine, Klaus Christa, Viola, Brigitte Fatton und Conradin Brotbek, Violoncello, die mit größter Leidenschaft all das wettmachen, was ihnen vielleicht noch an gemeinsamer Erfahrung und Reife zum internationalen Spitzenensemble fehlt. Die bei diesem Stück auch all das wunderbar in Töne umsetzen, was Klaus Christa als sonst so gewandter Musikvermittler zuvor vergeblich in Worte zu fassen versucht hat.

Und einen mit ihrem Schubert in seiner ganzen Schönheit, Tristesse und Stille eine Stunde lang glatt in Bann schlagen. Sie spielen den berühmten zweiten Satz nicht so fahl, wie man das oft hört, sondern voll Wärme und innerer Spannung in den geheimnisvollen Bass-Pizzicati des zweiten Cellos, das Finale aber erfüllt von tänzerischer Leichtigkeit nach bestem Wiener Zuschnitt. Die Zuhörer sind hingerissen, und wir schicken ein dickes Kompliment an die Musiker hinterdrein!

Musikvortrag Samstag, 29. September, 20.00 Uhr, Kapelle St. Arbogast – Günter Funke meets Franz Schubert (epos:ensemble)

Wiederholung dieses „Pforte“-Konzertes: Sonntag, 30. September, 17.00 Uhr, Frauenmuseum Hittisau

Nächstes „Pforte“-Konzert: Freitag, 26. Oktober, 20.00 Uhr, Landeskonservatorium Feldkirch – „Schmücke dich, o liebe Seele“ (Bach-Kantaten mit Ensemble conSequenza)