„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Silvia Thurner · 11. Okt 2021 · Musik

Heldeninnen und Antihelden im Solo und im Tutti – Das Ensemble PulsArt unter der Leitung von Benjamin Lack begeisterte mit Musik unserer Zeit

Nach der letztjährigen Corona-Zwangspause setzte das Ensemble PulsArt am Vorarlberger Landeskonservatorium ein markantes Zeichen mit einem gut zusammen gestellten Programm und Energie geladenen Werkdeutungen. Mit Spannung wurde die Uraufführung des Flötenkonzertes von Martin Skamletz erwartet. Gemäß dem Leitgedanken Lehrer-Schüler-Verhältnisse abzubilden, erklang auch das Werk „Für 16“ von Herbert Willi. Darüber hinaus bildete das Ensemblestück „Path of Uneven Stones“ von Linda Catlin Smith sowie „The Viola in My Life“ ihres Lehrers Morton Feldman spannende inhaltliche Klammern. Gefeiert wurden die Solistinnen Héléna Macherel an der Flöte und die Bratschistin Imgesu Tekereler. Benjamin Lack leitete engagiert, motivierend, souverän moderierend und musikalisch höchst inspiriert durch das Programm und dirigierte die Studierenden.

Was wäre das Vorarlberger Landeskonservatorium ohne das Wirken des bewundernswert dynamischen und virtuosen Ensembleleiters und Dirigenten Benjamin Lack? Nicht nur bei der Matinee des Ensembles PulsArt im Festsaal des Landeskonservatoriums war er die zentrale Persönlichkeit, die die Studierenden zu musikalischen Höchstleistungen führte. In guter Laune, sympathisch und versiert führte Benjamin Lack die Zuhörenden in die musikalischen Welten der vier ganz unterschiedlich angelegten Kompositionen von Martin Skamletz, Herbert Willi, Linda Catlin Smith und Morton Feldman ein. Überdies berichtete er von der hervorragenden und wertvollen Zusammenarbeit mit anwesenden Komponisten, die den Studierenden bei den Proben Einblicke in die Werkanlage und kompositorischen Feinheiten ihrer Werke gaben.
Martin Skamletz schließt demnächst sein Kompositionsstudium bei Herbert Willi ab. Vielen Konzertbesucher:innen ist der Flötist als Spezialist für die historische Aufführungspraxis in den Reihen des Barockorchesters „Concerto Stella Matutina“ bekannt. Er unterrichtet unter anderem am Vorarlberger Landeskonservatorium und nutzte die Gelegenheit bei Herbert Willi ein Kompositionsstudium zu absolvieren. Dass er seit seiner Jugend auch komponiert, war bislang nur wenigen bekannt.
Das zweiteilig angelegte Flötenkonzert ist für die Schweizer Flötistin Héléna Macherel entstanden, die das Werk auch als Solistin zur Uraufführung brachte. Expressiv legte Martin Skamletz die Musik an, die in einem spannungsgeladenen Wechselspiel zwischen der Soloflöte und dem Ensemble in vielerlei Beziehungen Nahe- und Distanzverhältnisse abbildete. Körperhaft wirkten die Rollen der Instrumente. Immer wieder wölbte sich der Ensemblepart von unteren Registern ausgehend in die Höhe und trieb die Soloflöte in die Enge. Doch die Solistin verschuf sich auf ihre spezifische Art stets genügend Raum und trat in Kontakt mit dem Ensemblestimmen. Ihren Hegemonieanspruch behauptete die Solostimme auch, indem sie nervöse und sich verlierende Floskeln der Ensemblestimmen durch Liegetöne beruhigte. Dadurch bündelte sie die expressive musikalische Bewegungsenergie und führte sie in einen langsam fließenden Abschnitt über. Ziemlich abrupt, fast unvermittelt, endete das dicht gesetzte Werk, dem man noch einen resümierenden Schlussteil gegönnt hätte.
Die Solistin Héléna Macherel spielte den Solopart souverän und mit großer Aussagekraft. Den Ensemblemusiker:innen verlieh sie Sicherheit, so dass die Kräfteverhältnisse hervorragend ausbalanciert erklangen.

Zwei Mal hören

Die Programmidee brachte es mit sich, dass „Für 16“ von Herbert Willi wieder einmal zu hören war. Ebenfalls am Ende seines Kompositionsstudiums ist das Kammerkonzert im Jahr 1990 entstanden. Unweigerlich ergaben sich dadurch Vergleiche und es zeigte sich, dass Herbert Willi unmittelbar nach seinem Studium eine sehr energetische, auch mikrotonal aufgeladene Musik komponiert hat. Fein abgestimmte Klangfarbenmuster innerhalb des musikalischen Geschehens bildeten solistisch geführte Melodielinien aus, die vom Violoncello ausgehend transparent und gut nachvollziehbar durch die Instrumente geführt wurden. Die Gegensätze zwischen dem melodischen Zeitstrom im ersten Teil und der perkussiven Wucht im zweiten Teil löste große Kontrastwirkungen aus.
Gemäß dem Motto, wer zweimal hört, erlebt mehr, spielte das Ensemble PulsArt Herbert Willis Kammerkonzert zwei Mal. Zwischen den Darbietungen gab Benjamin Lack ein paar Hinweise, die die Aufmerksamkeit lenkten. Spannend zu beobachten war, wie es den einzelnen Musiker:innen bei den beiden Darbietungen in unterschiedlichem Maß gelang, sich zu präsentieren und in einen guten Flow zu kommen. So gesehen illustrierten die aufeinander folgenden Hörerlebnisse aufs Neue, dass die Musik als flüchtige Kunst in der Zeit immer neue Hörperspektiven eröffnet und jede Werkdeutung für sich ein Eigenleben entwickelt.

Weiche Steine und Töne mit viel Eigenleben

Mit dem Titel „Path of Uneven Stones“ gab die kanadische Komponistin Linda Catlin Smith die Hörrichtung für ihr Werk vor. Die Ensemblemusiker:innen entfalteten den implizierten Weg, indem sie die Klangfarben und Motive in ganz unterschiedlichen Konstellationen und Gewichtungen ausformten. Intervalle wirkten dabei wir Kerbungen in der plastischen Beschaffenheit der Klanggestalten, die in ihrem Grundcharakter nie hart, sondern im Widerspruch zum Werktitel sehr weich wirkten.
Dazu fügte sich Morton Feldmans Stück „The Viola in My Life 2” mit der Solistin Imgesu Tekerler an der Viola hervorragend. Poesievoll und in einem guten Einverständnis miteinander agierten die Ensemblemusiker:innen sehr konzentriert und bedacht auf das klangliche Ganze. Mit ruhiger Ausstrahlung spielte die Solistin ihren Part und so war das gegenseitige aufeinander Hören aller Mitwirkender spürbar. Jede Geste und jeder Ton entfalteten dabei ein Eigenleben.
Benjamin Lack leitete das Ensemble PulsArt mit ausdrucksstarker Gestik und Körpersprache. Die Kompositionen entfaltete er am Pult des Ensembles mit bewundernswerter Ausdrucksstärke. Damit verlieh er der Musik Kraft und Profil und ermöglichte es den Studierenden ihr Repertoire und ihre Spieltechnik maßgeblich zu erweitern. Dieses Wissen und die mit der Deutung neuer Musik erworbenen Fähigkeiten erweitern den Horizont und kommen den Spielarten bei der Interpretation tradierter Kompositionen aus der Vergangenheit unmittelbar zugute.