Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Silvia Thurner · 21. Sep 2011 · Musik

Heimat, Wahlheimat und Unheimat – Der Komponist Georg Friedrich Haas und Manfred Welte führten ein anregendes Gespräch

Unter dem Titel „septimo – Reif für Kultur“ setzt der Heimatschutzverein Montafon mit zahlreichen Veranstaltungen Impulse, die weit über die Region hinausweisen. Zum Montagsgespräch wurde Georg Friedrich Haas nach Tschagguns geladen, wo der international erfolgreiche Komponist seine Kindheit und Jugendzeit verbracht hat. Über den Heimatbegriff, sein Aufwachsen als Außenseiter sowie über aktuelle Tendenzen im Musikbetrieb fand Georg Friedrich Haas im Gespräch mit Manfred Welte klare und auch kritische Worte. Voll besetzt war die Diele bei Werner Salzgeber in Tschagguns.

Vor zwei Jahren wurde in Dornbirn das Orchesterstück „Unheimat“ von Georg Friedrich Haas aufgeführt. Selbstverständlich liegt der Schluss nahe, dass der Komponist damit auf seine Jugendjahre in Tschagguns anspielte. Manfred Welte fragte einleitend nach, wie dieser Begriff zu verstehen sei und wie G.F. Haas seine Kindheit erlebt habe. Persönliche Einblicke in seine Gedankenwelt gab der Komponist und erinnerte sich an sein Außenseitertum im Montafon und die Sehnsucht nach einer Heimat. Allerdings betonte Georg Friedrich Haas mit seiner bescheidenen und humorvollen Art auch, dass er damit keine Kritik mit dem Montafon verbinde, denn „wer hier nicht daheim ist, ist es auch anderswo nicht".

Auch Querverbindungen zwischen der bildenden Kunst und der Musik wurden angesprochen. Roland Haas ist bekanntlich bildender Künstler. Während die Musik von Georg Friedrich Haas oft mit Metaphern aus der bildenden Kunst beschrieben wird, betonte Roland Haas in einem Bilderzyklus die zeitlichen Aspekte, die die Quintessenz der Musik darstellten.

Musikalisch kritisches Reflektieren

Georg Friedrich erinnerte sich an seinen Lehrer Gerold Amann, der ihm wichtige Einsichten in künstlerische Grundfragen vermittelte. Eine davon lautet, dass Musik brandaktuell ist und sehr aktuelle Geschehnisse reflektieren kann. Diese Sichtweise inspirierte den politisch interessierten Menschen Georg Friedrich Haas maßgeblich zu seinem Orchesterwerk „in vain“ für vierundzwanzig Instrumente und Lichtregie. Im Gespräch erinnerte er sich an seine innere Protesthaltung anlässlich der schwarz-blauen Regierungsbildung. „Dieses Stück ist mein größter Erfolg. Ich war sehr deprimiert, als das, was ich längst überholt geglaubt hatte, wieder da war. Aus dieser Depression heraus habe ich dieses Stück geschrieben und das Stück hat diese Regierung überlebt. Das ist das Schönste, was einem Künstler passieren kann, ich habe gewonnen“, meinte der Komponist dazu und betonte, dass er kein anlassbezogenes politisches Werk mehr komponieren möge, weil er keine negativen Gestalten und Gedanken mit einem Klang verbinden wolle. „Jeder Klang heiligt. Man kann nicht einer Idee Klang geben, mit der man sich nicht identifiziert. Das Schenken von Klang für etwas ist schon ein liebevoller Akt.“

Ansichten zu den Bregenzer Festspielen

Wenig überzeugt zeigte sich Georg Friedrich Haas von der Entwicklung der Bregenzer Festspiele unter David Pountney. Bekanntlich gelang Georg Friedrich Haas mit der Kammeroper „Nacht“, die im Auftrag von Alfred Wopmann entstanden ist, der internationale Durchbruch. Haas berichtete, dass er zu Beginn der Intendanz von David Pountney eine Bitte mit folgenden Worten an ihn gerichtet hatte: „Wopman hat an mich geglaubt und mir die Möglichkeit gegeben, mich hier zu entfalten. Bitte geben Sie diese Möglichkeiten den jungen Komponisten, an die Sie glauben.“ Haas’ kurzes Fazit: „Ich fürchte, er hat mir diesen Wunsch nicht erfüllt.“

Die Rolle des ORF im Hinblick auf die zeitgenössische Musik

Kritisch sieht G. F. Haas auch die Konzertlandschaft in Vorarlberg und Österreich. „Es ist schmerzlich zu sehen, dass in dem Land, in dem ich aufgewachsen bin, meine Musik und die meiner Kollegen immer noch eine Außerseiterrolle spielt“, betonte er und beurteilte die Rolle des ORF dabei durchaus kritisch. „Es ist mein Job, eine gute Musik zu schreiben, aber es ist Ihr Job als ORF-Redakteur, diese Sache, wenn Sie daran glauben können, auch an die Menschen zu bringen, die ebenfalls Interesse an dieser Kunst haben könnten“, richtete Haas das Wort an Manfred Welte und führte weiter aus: „Wenn niemand da ist, der feststellen kann, was gute und was schlechte Neue Musik ist, dann schadet man mehr als man nützt.“

Manfred Welte stellte sich der Herausforderung im Gespräch mit dem geistreichen Georg Friedrich Haas. Er nahm kritische Anmerkungen des Komponisten an, sodass ein angenehmes Gesprächsklima herrschte. Auf die Frage, wie er die Vorurteile gegenüber der Neuen Musik sehe, antwortet G. F. Haas lapidar: „Vorurteile gegenüber der Neuen Musik sind so, wie wenn man behauptet, dass alle Montafoner stehlen. Selbstverständlich gibt es viel schlechte Neue Musik, aber über diese müssen wir uns nicht unterhalten“.

Missbrauch von Sehnsüchten

Auch die Verbindung zwischen Religion und Heimat war Thema des Gesprächs. Als Protestant in Vorarlberg in den 50er- und 60er-Jahren musste G. F. Haas einige negative Erlebnisse einstecken. Letztlich haben diese das Denken des Komponisten maßgeblich geprägt. Dazu meinte der Komponist abschließend: „Es gibt eine tiefe menschliche Sehnsucht danach, zuhause zu sein. Den Missbrauch dieser Sehnsucht nennt man Heimatschutz. Es gibt eine tiefe Sehnsucht des Menschen nach Transzendenz. Den Missbrauch dieser Sehnsucht nennt man Kirche.“ Abschließend meinte Manfred Welte: „Heimat ist dort, wo man sich aufregt.“

Radiotipp:

Das Gespräch wird am Mittwoch, den 28. September 2011, von Radio Vorarlberg in der Reihe "Kultur nach 6" gesendet.