"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Silvia Thurner · 16. Apr 2009 · Musik

Haut in vielgestaltigen musikalischen Schichten

Gerald Futscher, Julia Hanke und das Ensemble Plus stellten sich einer besonderen Herausforderung, indem sie ihre künstlerische Inspiration auf unser größten Sinnesorgan, die Haut, lenkten. Mit der Performance „Haut - die Tiefe in der Oberfläche“ im Kornmarkttheater Bregenz zogen sie die Aufmerksamkeit auf sich und erhielten viel Zustimmung. Das Ensemble Plus spielte die vielschichtig angelegte Musik von Gerald Futscher auf sehr hohem Niveau, und die Mezzosopranistin Nina Amon überzeugte mit ihrem kraftvollen Ausdruck.

Seit einigen Jahren fertigt die deutsche Musikerin und Künstlerin Julia Hanke Objekte aus Tierhäuten. Für diese Performance schuf sie einen großen Kubus, der teilweise von innen beleuchtet und durch Schattenspiele der Sängerin belebt wurde. In Verbindung mit archaisch anmutenden Sounds zu Beginn stellte sich im Konzertsaal eine fast sakrale Wirkung ein. Langsam entwickelte Gerald Futscher die Musik, von Reibelauten über diffuse Klanggebilde bis hin zu Streicherlinien mit Mikrointervallen. Er schaffte es, seine kompositorischen Ideen einesteils facettenreich und andernteils dramaturgisch gut dimensioniert über das gut einstündige Werk zu entfalten. Der achtsätzigen Komposition liegt das psychoanalytisch geprägte Werk „Das Haut-Ich“ von Didier Anzieu zugrunde. Dieser beschreibt neun Funktionen der Haut, die Gerald Futscher als Inspirationsquelle gedient haben. Doch die musikalische Fantasie des Komponisten integriert stets mehrere Ebenen. So wurden die Sing- bzw. Sprechstimme, die musikalisch dicht verflochtenen Linien im Ensemble und Zuspielungen, Sounds aus vielerlei Klangerzeugern sowie eine optisch wirkende, symbolische Komponente zueinander in Verbindung gesetzt. Das Wechselspiel zwischen den Ebenen wurden anschaulich dargestellt und intuitiv ineinander verwoben. Brüche und durch die Lagen der Ensemblestimmen angedeutete Tiefenschichten zeichneten den Abschnitt aus, in dem die „Reizschutzfunktionen“ thematisiert wurden, dieser Teil wirkte jedoch insgesamt eher wenig stringent.

Hervorragende Ensemblemusiker

Die außergewöhnliche Besetzung mit Violine (Philipp Wenger), Bratsche (Andreas Ticozzi) und Kontrabass (Marcus Huemer) sowie Klarinette (Martin Schelling) und Posaune (Thomas Gertner) erlaubte dem Komponisten die Realisierung von mannigfaltigen Klangvorstellungen. Erst allmählich entwickelte sich der volle Ensembleklang. Vor allem in den letzten beiden Sätzen verknüpfte Gerald Futscher die Linien kontrapunktisch. Dominante Klangfundamente steigerten die Wirkung zusätzlich. Martin Schelling bediente sowohl die Klarinette in B als auch die Bassklarinette und die Kontrabassklarinette. Mit den unterschiedlichsten Klangqualitäten wurde die Musik wesentlich bereichert und die Satzstruktur verdichtet. Die teilweise rezitierten Texte wirkten im Verhältnis zur melodiebetont konzipierten Musik abschnittweise schroff und mitunter zu akademisch erklärend, so dass das sinnliche Erleben gestört wurde und die Musik ihre konzentrierte Wirkung nicht immer aufrecht erhalten konnte.

Akustische und optische Ergänzungen

Aktionen des Komponisten an seinen Klangerzeugern und Bandzuspielungen brachten musikalisch wirksame Inputs, aber Futschers Operationen bergen auch starke optische und symbolische Komponenten in sich. Wenn er beispielsweise Löcher in einen Geigenkorpus bohrt und ihn mit Eiern füllt steht dahinter eine starke Symbolkraft, unterstützt wurde diese durch in sich reibende und schwebende Tonlinien in der Violine und der Bratsche. Ein auch belustigender Teil der Performance wurde mit der Nudelmaschine eingebracht. Im Rahmen der Performance fügte sich das Tun des Komponisten beziehungsreich in das Gesamtkonzept ein, ohne aktionistisch zu wirken.

In den Nischen findet sich Außergewöhnliches

Das Hautkonzert forderte zur Auseinandersetzung heraus und war keine leichte Kost. Selbstverständlich kann man damit nicht Publikumsscharen ansprechen, aber jene die gekommen sind, bildeten eine konzentrierte und interessierte Zuhörerschaft. Das einführende Gespräch zwischen Bettina Waldner-Barnay und Gerald Futscher schaffte eine persönliche Konzertatmosphäre. Am Ende war die Zustimmung groß und die Gespräche im Anschluss an das Konzert anregend. Neben vielen Mainstreamveranstaltungen sind es genau diese Nischen, die das kulturelle Leben im Land interessant machen. Herausragende, risikobereite und engagierte Komponisten und MusikerInnen machen es möglich.