Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Füssl · 05. Mai 2012 · Musik

Grandiose Verzweiflungstäterin – Soap&Skin am Spielboden

Vor drei Jahren eroberte die damals blutjunge, in Wien lebende Steirerin Anja Plaschg aka Soap&Skin mit ihrem Debutalbum „Lovetune For Vacuum“ die deutschen Feuilletonseiten ebenso im Sturm wie die Herzen der fortgeschrittenen Singer-Songwriter-Aficionados. Kürzlich veröffentlichte die mittlerweile Zweiundzwanzigjährige den außergewöhnlichen, ihrem früh verstorbenen Vater gewidmeten, dreißigminütigen Songzyklus „Narrow“, den sie gemeinsam mit Stücken aus ihrem ersten Album am ausverkauften Dornbirner Spielboden präsentierte. Das Konzert geriet trotz Streichquintetts, Flügelhornisten und Backgroundsängerin erwartungsgemäß zur eindrucksvollen One-woman-Show.

Drama-Queen

Es ist wahrlich keine leichte Kost, die Soap&Skin ihren Fans zumutet – Leiden, Tod und Trauer, Einsamkeit und Entfremdung sind die Themen all ihrer Songs, ob nun zu klassisch-romantischen Pianotönen oder postindustrial-mäßigen Noise-Attacken vorgetragen. Verzweiflung, Unzufriedenheit, Verstörtheit, Unsicherheit spiegeln auch die körperlichen Signale wider, die sie gewollt oder ungewollt über den Bühnenrand hinaus und ins Publikum hinein sendet, wo sie dann ebenfalls für Ratlosigkeit und Verwirrung sorgen. Beim Opener, dem mit seinen knallharten, metallenen Beats aufschreckenden „Deathmental“, richtet sie ihren Blick direkt ins Publikum, um es dann eine Stunde lang so gut wie möglich zu ignorieren. Nur zwischendurch gehen ihr mal die paar Dauerquatscher, Handybimmler und Türenzuklopfer, denen man auch als interessierter Zuhörer gerne mal in den Arsch treten würde, dermaßen auf den Geist, dass sie entnervt alles hinzuschmeißen droht, nur um dann nach diesem kurzen Intermezzo mit der durch die Wut der Verzweiflung gesteigerten Energie weiter am Rad des düsteren Geschehens zu drehen. Eine Drama-Queen allererster Güte!

Schönheit und Grausamkeit

Mit zarten Balladen schmeichelt sich Soap&Skin in die Gehörgänge hinein und jagt dann gnadenlos bombastische Streicherklänge, wummerndes Bassgedröhn, beinharte Beats und schmerzhaft Schrilles aus dem Laptop und aus dem Kehlkopf hinterher. Sie weiß wie man die Dramatik steigert, versteht es, Schönheit und Grausamkeit in perfekte Harmonie zu bringen: „Thanatos“ – „Fall Foliage“ – „Meltdown“ – „Lost“ – „The Sun“. Selbst der banale 80er-Jahre Disco-Hit „Voyage voyage“ von Desireless gerät zum Rührstück. Kein Augenzwinkern, keine Ironie. Und dann zielt sie mit dem einzigen deutschsprachigen Song, im Gedenken an ihren toten Vater, noch direkter in die Magengrube, wenn sie sich als Made im Körper, der im Sarg zerfällt, imaginiert: „Lass mich rein, rein, beinhart wie du sein / lass mich in dein Aug’ hinein / Ich will es seh’n, die Prüfung besteh’n / ohne Pein, ohne Pein / lass mich rein, du Stein / Mir hilft kein Warten und kein Wein / kein Schreien.“

Katharsis

Mit gleißend hellen Stroboskopgewittern wird man aus der bislang vorherrschenden, durch gleichermaßen sparsamen wie geschickten Lichteinsatz in die Inszenierung integrierten Finsternis gerissen. Die beiden letzten Songs  „Marche Funèbre“ und „Sugarbread“ treiben Soap&Skin wieder an den Bühnenrand. Mit ins Publikum gerichtetem Blick geht’s in Richtung Ekstase – wilde, zwischen Maschinenhaftigkeit und seltsamer Ungelenkigkeit oszillierende Bewegungen. Die Kanten und Ecken ihrer Songs und ihrer Seele zeigen sich auch im Tanzstil. War das wirklich ein Lächeln? Katharsis ist angesagt – für Soap&Skin und für das Publikum.

"The End"

Die Zugaben schippern dann in ruhigen Gewässern dahin, der Sturm ist vorüber, die Seele geläutert. „Pale Blue Eyes“ als Verneigung vor Velvet Underground und Nico, die als eines ihrer ganz großen Vorbilder gilt. Gefolgt von „She is crazy“ von der Kelly Family – heute ist Frau Plaschg in ihrem (un)erwarteten Humoranfall noch gnädig, denn in anderen Konzerten hat sie auch schon deren unerträglichen Platin-Hit „An Angel“ intoniert. Und abschließend noch eine kleine Referenz an einen der ganz großen Tragöden der Rockgeschichte: Jim Morrison. Ehrlich, mit welchem Song könnte man nach solch einem Abend ein aufgewühltes Publikum, das irgendwie ahnt, dass es heute mal ein bisschen mehr erlebt hat als nur ein Konzert, besser nach Hause schicken als mit dem Doors-Klassiker „The End“?