Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Silvia Thurner · 24. Jul 2011 · Musik

Gestylte Beschwerde bei den Bregenzer Festspielen – Im „Beschwerdechor“ formierten sich zahlreiche engagierte SängerInnen und TänzerInnen aus Vorarlberg.

Viel Engagement zeigten der Spielbodenchor Dornbirn, der Junus Emre Chor, die Streetdance-Gruppe der FRK Dance Academy aus Dornbirn, Andrew Watts und zahlreiche weitere Mitglieder, die sich zum Auftakt von „Kunst aus der Zeit“ bei den Bregenzer Festspielen im ersten Bregenzer Beschwerdechor zusammen gefunden haben. Jorge Sanchez-Chiong wurde damit beauftragt, eine Musik zu komponieren, mittels derer die Beschwerden in eine künstlerisch vermittelnde Energie transferiert werden können. Teilweise ist dieses Ansinnen gelungen, jedoch fehlte der Performance eine unmittelbare Emotionalität. Die "Allerweltsprobleme" und Unzulänglichkeiten aus dem persönlichen Umfeld wirkten eigenartig geschliffen und poliert.

Jorge Sanchez-Chiong komponierte unter anderem einen schlichten Chorsatz, der vom Spielbodenchor unter der Leitung von Bettina Rein dargeboten wurde. Im Text wurde die Kinderarbeit genauso erwähnt wie die ungerechte Ressourcenverteilung, schlechte Entlohnungen und die „Konsumtrottelgesellschaft“. Harmlos wirkte der Chorsatz, denn Sanchez-Chiong mutete den Chormitgliedern wohl zu wenig zu. Zumindest rhetorisch funktionierte die Musik, so dass die Beschwerden akustisch gut vernehmbar waren, wenngleich die Emotion fehlte.

Sich Raum verschafft

Die Choreografin Sabine Noll hatte die hervorragende Idee, das Publikum in seiner reinen Konsumhaltung zu stören. Denn einige SängerInnen und TänzerInnen formierten sich aus der Besuchermenge heraus und anschließend verschafften sich alle Mitwirkenden Platz, indem die BesucherInnen immer mehr zur Seite gedrängt wurden. Vor allem diese Geste wirkte überzeugend, denn so wurde den Beschwerden Nachdruck verliehen.

Elektronische Musik zu dominant

Der im weiteren Verlauf immer stärker hervortretende elektronische Klangteppich, verbunden mit den Instrumenten Klarinette (Petra Stump, Heinz-Peter Linshalm), E-Gitarre (Martin Siewert) und Kontrabass (Marcus Huemer) lief dem Ansinnen des Beschwerdechores beinahe zuwider. Denn die Musik erklang derart dominant, dass die SängerInnen teilweise, zumindest von meinem Standort aus, nicht mehr zu hören waren.

Countertenor als Aufputz

Als akustischer Aufputz fungierte der Countertenor Andrew Watts. Jedoch wirkte der in schrillen Sopranlagen kulminierende Sprechgesang gerade aus seinem Mund plakativ. Überzeugender agierten jene Sängerinnen, die mit einem Rap ihre Beschwerden los wurden.

Beschwerde, die sich gegen die Festspiele richtet

Die Idee der „Beschwerdechöre“ geht seit etwa sechs Jahren (fast) um die Welt. In derartigen Formationen haben sich schon viele Menschen ihren Unmut von der Seele gesungen.
Insgesamt blieb der Eindruck einer eher oberflächlichen Performance, die wenig aktionistischen Gehalt in sich barg. Allerdings hätte ich mir von der Aufführung mehr Aktualität gewünscht, vor allem weil es ja ganz aktuelle Gründe gibt, sich zu beschweren. Diese Beschwerden richten sich jedoch gegen das eigene Haus, nämlich die Bregenzer Festspiele. Bereits das Budget für das diesjährige KAZ Programm wurde empfindlich gekürzt. Seit Tagen wird nun kolportiert, dass die Schiene „Kunst aus der Zeit“ im nächsten Jahr aus finanziellen Gründen auf ein Minimum gekürzt wurde. Die künstlerische Leiterin Laura Berman sitzt seit den Turbulenzen rund um die Vertragsverlängerung des Intendanten David Pountney sowieso auf dem Schleudersitz. Bei allen Ungereimtheiten, die nicht an die Öffentlichkeit getragen werden, scheint es symptomatisch, dass zuerst und relativ stillschweigend gerade die zeitgenössische Kunst massiv gekürzt beziehungsweise eliminiert wird.
Da nutzt der Deckmantel sogenannter neuer Musik, wie sie beispielsweise mit Judith Weirs Oper „Achterbahn“ geboten wird, nichts. Diese Musik weist zwar ein aktuelles Entstehungsdatum auf, in ihrem Wesen kommt sie jedoch ziemlich alt daher. Dies wären Beschwerden, die in der Auftaktveranstaltung der „Kunst aus der Zeit“ – auch – formuliert werden sollten.