Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Ionian · 22. Mai 2022 · Musik

Eine Flut von Gefühlen – Lina Maly und Wim in der Caserne Friedrichshafen

Lina Maly gibt es in der öffentlichen Wahrnehmung seit 2016. Mit ihrem Lied „Schön genug“ hat sie in Inas Nacht viele Herzen erreicht. Die Fragen, die hier gestellt werden, beleuchten wie Scheinwerfer den Schönheits- und Perfektionskult. In TV Noir hat sie mit „Herzwärts“ den Kompass in Richtung Gefühlvolles gelenkt. Sie ist eine der neuen deutschsprachigen Chanson-Sängerinnen, nicht umsonst trat sie auch im Vorprogramm von Zaz auf. Romantischer, großer Pop ist ihr Programm und genau das gab es auch zu hören an einem Abend, der gestern eine ganze Flut von Gefühlen in das Kulturhaus Caserne in Friedrichshafen gespült hat.

Die Grenzen sind vor allem im Kopf, denn eigentlich ist Friedrichshafen näher an Bregenz als Bludenz. Man muss durch Besuche immer wieder persönlich erleben, dass uns unsere Nachbarschaft so nah sein kann, speziell nach all den Abgrenzungen und Maßnahmen der letzten zwei Jahre. Wir dürfen uns eingeladen fühlen, über Tellerränder zu blicken und Horizonte zu weiten. In naher Distanz gibt es nämlich Kulturhäuser, die vielleicht viel zu selten auf dem Radar von Vorarlberg aus erscheinen. Dass es da überhaupt ein so starkes Wir gegenüber dem Sie, ein so starkes Hier gegenüber dem Dort gibt, kann ja schon ein paar Fragen zum europäischen Zusammenhalt und Gemeinschaftsgefühl aufwerfen.

Räume neu beleben

Die Caserne in Friedrichshafen ist eine ehemalige Flak-Kaserne des zweiten Weltkriegs und während die ganze Stadt zerbombt wurde, blieb sie unbeschadet. Diese historische Belegung wird nun neu geprägt, mit einer ganz anderen Energie belebt und somit geschichtlich umgeschrieben. Kultur, Offenheit und Gastfreundschaft prägen nun diesen Ort. Der Innenhof bietet Platz für vielleicht tausend Open Air Gäste, eine schöne Bühne steht einem mächtigen Baum gegenüber. Da aber die Reservierungen für das Konzert von Lina Maly gar nicht so überbordend und auch das Wetter noch am Vortag regnerisch und am Konzerttag unsicher waren, verlegte man das Konzert hinein ins Casino. Auch drinnen begrüßte ein wunderschöner, einladender Raum. Auf der linken Seite eine Bar unter großen Bögen, vorne eine üppige Bühne mit schwerem Theatervorhang und hochwertiger Licht- und Tontechnik. Der Raum bestuhlt, alles war vorbereitet für ein Konzert voller Aufmerksamkeit. Schlussendlich kamen dann eh so viele Fans und Interessierte, dass der Saal voll war. Die Leute, die Atmosphäre, die Stimmung, alles hatte eine liebevolle, wertschätzende Grundschwingung.

Intensität eines Zaubertranks

Schon die Vorband schuf wiederkehrende Gänsehautmomente. Wim präsentierte ihre Lieder, gerade mal einen Tag nach der Veröffentlichung ihres Debutalbums. Sie ist die Pianistin und Keyboarderin in Lina Malys Band und macht nun gemeinsam mit Elin auch den Support Act. Die beiden Frauen waren aufgeregt, ihr Programm dem Premierenpublikum darzubieten. Sie waren nahbar und redeten das Publikum direkt an: „Ihr seid ja leise, geht es euch gut?“ Leise war der Raum vielleicht auch deshalb, weil offensichtlich spürbar war, dass gerade etwas ganz Besonderes geschah. Wims Lieder sind auch als produzierte Songs schön anzuhören, doch live erschufen die Chöre, die rhythmischen Drums, die elektronischen Klangfarben, die Energie dieser zwei Frauen eine Intensität, die eingefahren ist wie ein Zaubertrank.

Tagebuch des Herzens

Dann, nach einer kurzen Umbaupause, der Auftritt von Lina Maly. Sie hatte auf der Bühne von vornherein die Präsenz eines großen Popstars und doch blieb sie so zugänglich, ehrlich und zerbrechlich wie ihre Lieder. Ihre außergewöhnliche Stimme zeichnete sich durch so viel Klarheit, Weichheit und Süße aus, wie Milch und Honig. Sie erzählte Geschichten von der Liebe und von gebrochenen Herzen. Aber nicht irgendwie abstrakt, sondern aus ihrem eigenen Leben. Weil Friedrichshafen so weit weg von zuhause, nämlich Berlin sei, gab sie ganz offen persönliche Erfahrungen preis. Das holte das Publikum ganz an die Stories heran, die in den Liedern beschrieben wurden, aber vor allem auch mitten hinein, in die Gefühle, die sie vermittelten. Das waren nicht einfach nur Songs, sondern komponierte biografische Tagebucheinträge, die das Herz geschrieben hat.

Liebe und Schmerz

Lina Maly ließ das Publikum an ihrem Innenleben teilhaben, kehrte dieses in großen, romantischen Popsongs nach außen. Wer Gefühle zulässt weiß, dass das sowohl süß als auch bitter ist, sowohl von Liebe als auch Schmerz handeln muss. In diesen Songs und diesem Abend war so viel Gefühl, dass es wie eine Flut in Wellen überschwappte und aus jeder Pore triefte. Lina Maly traute sich alles, es konnte gar nicht schön oder traurig genug sein. Sie stand vorne und war zur selben Zeit die strahlende und sich auflösende Frontfigur. Dabei ließ sie voller Selbstverständnis Platz für alles und auch für alle anderen. Sie sang ein Duett mit dem Gitarristen, hob ihren Schlagzeuger hervor, dessen konkretes Drumming die wunderschönen Harmonien zu treibenden Liedern machte. Und sie holte ihre Freundin und Pianistin mit ihr an die Bühnenkante, gab ihr Wertschätzung und Raum. Es war alles dabei, was einen Abend großartig macht – die Performance eines bisher unveröffentlichten Songs, Solonummern, Duette, ein intensives Cover von „Wir sind Helden“, neue Songs mit fortlaufender persönlicher Geschichte und auch die alten, großen Hits. So viel Gefühl ist selten spürbar und hat wohl alle Herzen wieder mit Liebe und Schmerz aufgeladen und zum Schlagen gebracht.

www.kulturhaus-caserne.de
www.lina-maly.de
www.wimslieder.de