Ethan Coen hat seinen ersten Spielfilm als Soloregisseur gedreht: „Drive-Away Dolls“. (Foto: Focus Features)
Peter Füssl · 24. Sep 2022 · Musik

Ein Multitalent präsentiert sich – Auftakt der Jazz&-Reihe am Spielboden mit dem Fabia Mantwill Quintett

„EM.PERIENCE“ heißt das im Frühjahr 2021 erschienene, erstklassige Debütalbum der Berliner Saxophonistin, Flötistin, Sängerin, Komponistin und Arrangeurin Fabia Mantwill, das sie mit einem 24-köpfigen Jazzorchester eingespielt hat. Der Titel ist eine eigenwillige Wortschöpfung aus den Begriffen Empathie und Experience, zwei Komponenten, die auch im Quintettformat durchaus als charakteristisch für das musikalische Schaffen der erst 29-Jährigen erscheinen. Das Publikum zeigte sich am Dornbirner Spielboden beim Eröffnungskonzert der Jazz&-Reihe der Herbst/Winter-Saison jedenfalls begeistert – und für die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Fabia Mantwill war es erstaunlicherweise der erste Österreich-Auftritt überhaupt.

Wenn eine eine Reise tut ...

Fabia Mantwill, die ihr Handwerk am Jazz-Institut Berlin, an der Sibelius-Akademie in Helsinki und an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg perfektioniert hat, zählt zu den Reiselustigen, und bei der Rückkehr sind ihre Koffer offenbar immer vollgepackt mit musikalischen Inspirationen. So mischen sich in den kammermusikalischen Jazz gerne auch Ethno-Einflüsse, etwa wenn sie einen afrikanisch infizierten Song, den sie von einer Tansania-Reise mitgebracht hat, auf Swahili singt – übrigens der einzige, bei dem sie ihre klare und äußerst angenehm klingende Gesangsstimme ausgiebig mit Loops umspielt. Tief in den Norden taucht sie mit einer Komposition ein, zu der sie sich während ihres Studienjahrs in Finnland von einem von den zwei wichtigsten Themen ihrer Gastgeber handelnden Volkslied beeinflussen ließ – der Natur und dem Alkohol. Manchmal meint man Anklänge an samische Gesangstechniken herauszuhören. „Festival at High Noon“, das sich wie auch das erste Stück des Abends „Pjujeck“ auf ihrem grandiosen Orchester-Album findet, schildert ihre Erlebnisse bei einem Open-Air-Festival in Nepal, wo rund um große Feuer getanzt wird. Auch hier wird auf höchst originelle Weise Folkloristisches ins musikalische Geschehen integriert, das schließlich mit einem psychedelischen Gitarrensolo nahezu Post-Rock-Züge annimmt. In anderen Stücken machten sich wiederum Latin-Einflüsse auf angenehme Weise bemerkbar.

Kammermusikalischer Jazz – mit der feinen Klinge gefochten

Die ethnischen Einflüsse werden niemals plakativ eingesetzt, sondern fügen sich organisch in den grundlegenden Basis-Sound ein, der sich irgendwo im Spannungsfeld zwischen Cool-Jazz und europäischer Klassik bewegt. Mantwills detailreich ausgearbeitete Kompositionen werden oft von starken Melodien getragen und von einer unterschwelligen Spannung vorangetrieben. Alles wirkt wohldurchdacht und wird – unter völligem Verzicht auf emotionale Ausbrüche oder große Posen – höchst konzentriert dargeboten, was aber dennoch durchaus auch expressive Wirkung entfalten kann. Das gilt für ihr Spiel auf dem Tenorsaxophon ebenso wie für ihre großteils instrumental eingesetzten Vokalausflüge. Die Exaktheit, die es für die Leitung eines großen Jazzorchesters braucht, kommt durchaus auch bei ihren Anleitungen für die kleine Besetzung zum Tragen. Oder wenn sie mit dem Publikum ein Schlaflied einstudiert.
Fabia Mantwills Kompositionen sind aber auch durch interessante Soundkombinationen geprägt. Hier erzielen die Saitenzauberer mitunter ganz besondere Wirkungen. Der dreißigjährige, aus Kempten stammende Gitarrist Paul Brändle lebt in München, wo er bei Peter O’Mara studierte und im Quartett von Rick Hollander spielt. Während sein Spiel – mit der oben erwähnten Ausnahme – durchwegs im Modern Jazz angesiedelt zu sein scheint, zeigte sich der 22-jährige, aus Slowenien stammende und am Jazz-Institut Berlin studierende Gal Golob gerne auch mal etwas experimentierfreudiger. Ebenfalls tief in der Berliner Szene verwurzelt ist Igor Spalatti, der am Kontrabass geerdet agierte und mit dem wie er aus Perugia stammenden Ugo Alunni ein eingespieltes Rhythmus-Team (etwa im Quartett von Elias Stemeseder) bildet. Alunni verleiht dem Fabia Mantwill Quintett mit seinem durchaus subtilen, aber auch kraftvollen und intuitiven Spiel jene Lebendigkeit, die das musikalische Geschehen stets spannungsgeladen hält.
Sehr gut in die ausgeklügelten Kompositionen Fabia Mantwills fügte sich als einzige Fremdkomposition „Exit Music (For a Film)“ ein, das Radiohead auf ihrem genialen 1997-er Album „OK Computer“ veröffentlichten und zum Soundtrack von Baz Luhrmanns „William Shakespeares Romeo & Julia“ (mit Leonardo DiCaprio und Claire Danes in den Hauptrollen) beisteuerten. In Summe ein gediegener Jazz-Abend, der eines der ganz großen Talente des deutschen Jazz an den Spielboden brachte.

Vorarlberg-Schwerpunkt

Mit Ausnahme eines Konzertes des genialen Altsaxophonisten Wolfgang Puschnig mit seinem Quartett Fulsome X (8.12.) setzt Kurator David Helbock beim restlichen Jazz&-Programm der aktuellen Saison auf Exzellentes aus Vorarlberg. Zu den exzellenten jungen Talenten zählen der Vibraphonist David Soyza (6.10.) und der Bassist Tobias Vedovelli. Letzterer präsentiert im Rahmen seines onQ-Festivals ein witziges Projekt mit dem Jazzorchester Vorarlberg feat. Wolfgang Puschnig und die Schauspielerin Maria Hofstätter, die Petra Piuks bitterböse-ironisches „Toni und Moni – Anleitung zum Heimatroman“ literarisch-musikalisch umsetzen werden (13.10.). Einen weiteren Schwerpunkt bildet das über drei Tage hinweg mit vielen Einzelensembles gefeierte „15 Years Anniversary“ von Peter Madsens CIA (10.-12.11.). Die Toni-Eberle.Band wird ihre neue CD präsentierten (21.12.), die Sängerin Waltraud Köttler mit „Songs for real“ ihr 35-Jahre-Bühnenjubiläum feiern, und das Jazzorchester Vorarlberg mit der Vokalistin Renee Benson das zwischen „druckvoll rohen Gesangspassagen, wuchtigen Ensembleklängen, sehr intimen Stellen und auch humoristischen Elementen“ (Pressetext) pendelnden „Leelah“ das Spielboden-Weihnachtsprogramm beleben (28.12.) Wahrlich schöne Aussichten! Ein ausführliches Interview mit David Helbock zur Jazz&-Reihe finden Sie im Oktober-Heft der KULTUR-Zeitschrift.

www.spielboden.at