Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Silvia Thurner · 23. Okt 2010 · Musik

Die pforte in Hittisau bot ein herausragendes Konzert mit außergewöhnlichen Werkdeutungen und einem anregenden Gespräch mit Reinhard Haller

Eine Fülle von Konzertereignissen geht in diesem Herbst in Vorarlberg allein im Genre der so genannten klassischen Musik über die Bühne. Im Allgemeinen ist das Niveau sehr hoch, doch unerwartet ergeben sich auch Highlights an Werkdeutungen, die über lange Zeit nachwirken. So geschehen beim pforte Kammerkonzert im Hittisauer Ritter-von-Bergmann Saal. Das epos:quartett musizierte mit der Pianistin Irina Puryshinskaja das Klavierquintett op. 44 von Robert Schumann und begeisterte das Publikum restlos. Darüber hinaus beeindruckte Reinhard Haller im Gespräch mit Klaus Christa und seiner psychologischen Deutung der Lebensgeschichte des Komponisten Robert Schumann vor allem durch seine natürlichen und bodenständigen Ausführungen. Mit einem großen musikhistorischen Detailwissen und viel Humor war er eine große Bereicherung für den rundum gelungenen Konzertabend.

Einleitend musizierte das epos:quartet“ (Christine Busch, Friedemann Wezel, Klaus Christa und Brigitte Fatton) Schumanns Streichquartett in a-Moll, op. 41/1. Die lebendige Musizierart und der ständige Kontakt der MusikerInnen zueinander, ermöglichten eine bemerkenswert transparente Linienführung. So wurden die ZuhörerInnen gleich mitten hinein ins musikalische Geschehen geführt. Etwas diffus wirkte das Scherzo, bei dem die Melodie führende erste Violine und die „begleitenden“ tieferen Register nicht immer ausgewogen zueinander in Beziehung standen. Umso schöner kamen dann die gleichberechtigt ineinander gewobenen Stimmen im Adagio zur Geltung. Kraftvoll wurde der Schlusssatz in den Raum gestellt. Nach einem eher unruhigen Mittelteil wurde der Schluss mit der virtuos ausgedeuteten Kontrapunktik und die Überführung in die choralartige Ruheinsel beeindruckend geformt.

Klavierlieder in Streichquartettfassung

Aribert Reimann hat sechs späte Gesänge von Robert Schumann, op. 107 für Streichquartett und Sopran transkribiert. Damit legte er 1994 quasi eine musikalische Interpretation vor. Andrea Loren Brown sang die Lieder mit einer klaren und ausdrucksstarken Stimme. Facettenreich unterstrich sie die Charaktere und Grundstimmungen, während das Streichquartett den textdeutenden Instrumentalpart spielte.

Obwohl das epos:quartett durchdacht musizierte, funktionierte die Transkription der Lieder „Herzeleid“, "Die Fensterscheibe“, „Der Gärtner“ und „Im Wald“ nicht durchwegs überzeugend. Die originale Klavierfassung verfügt nämlich über mehr Prägnanz und fasst die musikalischen Motive deutlicher. Lediglich im Lied „Die Spinnerin“ brachte das Streichquartett die zurückgehaltene Verzweiflung der Protagonistin gut zum Ausdruck. Auch im „Abendlied“ kamen die Intentionen zur Geltung.

Reinhard Hallers Schumann-Psychogramm

Klaus Christa hatte den allseits bekannten Psychiater Reinhard Haller zum Gespräch über die psychischen Krankheitsbilder des Robert Schumann eingeladen. Es gibt wohl kaum einen Komponisten, dessen psychisches Leid besser erforscht und mehr zur Sprache gebracht worden ist als jenes von Schumann. Das Gespräch der beiden war eine wirkliche Bereicherung für alle Anwesenden, weil Reinhard Haller sehr kenntnisreich seine Sicht darlegte. Sympathisch wirkte der Psychiater vor allem deshalb, weil er so verständlich sprach und ohne jede fachspezifischen Fremdwörter auskam. Außerdem war er stets bemüht, die Lebensgeschichte des Komponisten, der vor 200 Jahren gelebt hat, auch auf alltägliche Lebensentwürfe der Gegenwart zu transferieren.

Eine herausragende Interpretation

Abschließend musizierte das epos:quartett mit der russischen Pianistin Irina Puryshinskaja, die am Landeskonservatorium in Feldkirch unterrichtet. Mit sprühendem Temperament eröffnete sie das Klavierquintett, op. 44. Sie trug das Streichquartett, gab Impulse und artikulierte die Themen äußerst prägnant und energiegeladen. Und dies obwohl ihr der in Hittisau bereitstehende Flügel einige Grenzen vorgab.

Gleich nach der Eröffnungspassage wurde klar, dass alle fünf MusikerInnen von einer kammermusikalischen Musizierlust beflügelt wurden, die schlicht und einfach Spaß machte. Dieser Geist übertrug sich schnell auf das Publikum, so dass eine nachhaltig wirkende, individuelle Werkdeutung erlebbar wurde, die keinen Vergleich scheuen muss. Eine ausgewogene Klangbalance schuf Raum für dunkle Färbungen und öffnete musikalische Felder, in die solistisch geführte Motive eingeschrieben wurden. Besonders im zweiten Satz entwickelten sich leuchtende Momente, in denen die Stimmen „Licht- und Schatten“ des zugrunde liegenden Konzertmottos eindrücklich ausformten. Darüber hinaus bewirkten die gut aufeinander abgestimmte Musizierart sowie die durchdachten Tempi reizvolle, auch ungewohnte Hörperspektiven. Jubelnd bedankte sich das Publikum.