Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Silvia Thurner · 12. Jun 2010 · Musik

Die Musiker wurden fündig und das Publikum entdeckte Mussorgsky neu - „Mussorsky Dis-Cover“ beim Feldkirch Festival wurde begeistert aufgenommen

Im Rahmen des Feldkirch Festivals näherten sich außergewöhnliche Musikerpersönlichkeiten der Musik von Modest Mussorgsky und transferierten sie in ihre eigenen Welten des Jazz. Die Mezzosopranistin Elisabeth Kulman stand im Mittelpunkt des originellen Musikprojekts, Tscho Theissing, Arkady Shilkloper, Antoni Donchev und Georg Breinschmid bildeten ein souverän agierendes Ensemble. Zu Beginn des Konzertabends im Pförtnerhaus legten sich die Musiker jedoch ein allzu enges Korsett auf. Glücklicherweise gelang es ihnen im weiteren Verlauf dieses abzustreifen. So entwickelte sich ein mitreißendes Konzerterlebnis.

Die einleitende Fantasie „Prelude, Groove and Drift“ entwickelten Tscho Theissing an der Violine und Georg Breinschmid am Kontrabass spannend, indem sie Obertöne tanzen ließen. Nach diesem feinen Tongewebe erklangen die musikalischen Ausgangsthemen aus Mussorgskys Opern „Chowanschtschina“, „Boris Godunow“ sowie der sinfonischen Dichtung „Eine Nacht auf dem kahlen Berg“ in einem für diese Besetzung ungewohnt klassischen Gewand. Die Musiker übersteigerten die Motive und transferierten sie rhythmisch, fassten sie neu und führten sie wieder zurück in einen klassisch anmutenden Duktus. Dabei blieben sie jedoch zu sehr an den Vorlagen. Deshalb wirkte die Musik auf eigentümliche Weise gebändigt und wenig authentisch. Einen ähnlichen Eindruck hatte ich auch beim Lied „Serenade“ aus den „Liedern und Tänzen des Todes“, die Elisabeth Kulman zusammen mit dem Ensemble sang. Zwar erlebte das Publikum hervorragende Musiker und eine faszinierende Mezzosopranistin, doch überzeugten mich die Arrangements wenig.

Das Innenleben gestaltet

Erst mit „Trepak“, ebenfalls aus den „Liedern und Tänzen des Todes“, überraschte das Ensemble mit einer farbenreichen Bearbeitung. Glissandi und andere Spieltechniken belebten die Musik. Und von da an schienen sich die Musiker und die Sängerin gefunden zu haben. Mussorgskys Musik diente als Inspirationsquelle für melodische Einfälle, die in den typischen Pago Libre Sound, dem bekanntlich Tscho Theissing, Georg Breinschmid und Arkady Shilkloper angehören, überführt wurde. Originell, humorvoll, mit vielerlei melodischen, spieltechnischen und rhythmischen Wendungen wurde das Publikum mit abwechslungsreichen Bildergeschichten unterhalten. Den rastlosen musikalischen Fortgang in „Svetik Savishna“ sang Elisabeth Kulman vielgestaltig. Vor allem die Variationen mit Pausen brachten den musikalisch unermüdlichen Fluss gehörig ins Wanken. Dabei driftete die Sängerin weit ab von der Ausgangsidee und spannte beziehungsreiche Bögen, die Musiker lieferten sich witzige Dialoge. Wie immer zog Arkady Shilkloper das Publikum mit seiner meisterhaften Spielweise auf dem Flügel- und Waldhorn sowie seinen unerhörten Klangkaskaden auf dem Alphorn in seinen Bann. Am Klavier unterstützte ihn Antoni Donchev, von dem ein großer Aufforderungscharakter ausging. Die dritte Wiederholung erklang sogar im Duett mit Tscho Theissing. So wurde das Original aufgesplittet, vergrößert und wirkungsvoll gesteigert.

Energie zu Tage gefördert

Das zweite Set ging bei drückender Schwüle über die Bühne. Doch die Stimmung im Saal war hervorragend, weil das Publikum sehr gut auf die Musik einging. Ideenreich waren die Arrangements der Mussorgsky-Vorlagen aus den „Ballets russes“ mit einem launigen Spiel von Arkady Shilkloper. Illustrativ mit unzähligen Zwischentönen formte Elisabeth Kulman „Mephistos Lied in Auerbachs Keller“. Ihr tiefes Timbre im Lied „Mit der Puppe“ aus Mussorgskys Liederzyklus „Kinderstube“ sowie die minimalistischen Figurationen öffneten einen surrealen Klangraum. In schnellem Tempo beendeten die Sängerin und die Musiker mit „Gopak“ den Konzertabend, versprühten Energie und deuteten die musikalische Vorlage hintergründig aus. Auf diese Weise entwickelte sich der Mussorgsky-Abend zu einer wirklichen Entdeckungsreise im besten Sinn. Fotos: Feldkirch Festival