Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Silvia Thurner · 07. Jun 2010 · Musik

„Nicht das was man hat zählt, sondern das was man ersehnt“ - „Die Geschichte vom Soldaten“ in der Inszenierung von Philippe Arlaud bot viel für die Augen, ließ jedoch das Wesentliche im Schatten

Eine programmatische Idee des Feldkirch Festivals besteht darin, einen Konzert- mit einem Opernabend zu verbinden. Deshalb stellten die Programmverantwortlichen Strawinskys „Die Geschichte vom Soldaten“ das zeitgleich im Jahr 1917 entstandene erste Violinkonzert von Sergej Prokofjew zur Seite. Die Solistin Alexandra Soumm spielte den höchst anspruchsvollen Violinpart mit bewundernswerter Meisterschaft, ihr zur Seite musizierte das ebenso überzeugende Orchestre de Chambre Pelléas unter der Leitung von Benjamin Levy. Die Inszenierung des Musiktheaters von Strawinsky von Philippe Arlaud wurde mit Spannung erwartet, doch die Freude ob der Fülle an Interpretationsideen hielt sich in Grenzen. Das Stück wirkte allzu sehr aus dem Entstehungszusammenhang heraus gelöst und unnötig aufgebläht.

Die gelenkige Linienführung und die nuancierten sowie gut abgestimmten Klangregister des Orchestre de Chambre Pelléas kamen bereits in der einleitenden Orchesterfassung der „Sarabande“ aus „Pour le Piano“ von Claude Debussy zur Geltung. Souverän wirkte Alexandra Soumm als Solistin im Violinkonzert Nr. 1, Op. 19 von Sergej Prokofjew. Sie zeigte eine in alle Facetten reichende Spielkunst. Lyrisch entrückt setzte sie den Beginn, um dann mit einem energischen Zugriff den virtuosen Klangkaskaden den nötigen Stellenwert zu verleihen. Faszinierend artikulierte sie die schwierigen Passagen. Ihr zur Seite agierte das Orchester aufmerksam und als guter Partner. Motorisch vorwärts drängend und mit einer prägnanten Rhythmik verdichteten die Solistin und das Orchester das Scherzo, das einen mitreißenden Drive entwickelte. Im Finalsatz füllte das Orchester seinen melodiebildenden Part gut aus, so dass die Rollenverteilungen zwischen der Solistin und den Orchestermusikern plastisch ausgeformt erklang. Die klare und sichere Diktion von Benjamin Levy unterstrich die in sich abgerundete Interpretation.

Rot, schwarz und gold

Anschließend war das szenische Hauptwerk des Feldkirch Festivals, „Die Geschichte vom Soldaten“, zu sehen. Igor Strawinsky vertonte mit einer äußerst reduzierten musikalischen Ausdrucksform das Libretto von Charles Ferdinand Ramuz. Ein Jahrmarktstück sollte es sein, in dem die Verführbarkeit des Menschen und die Gier nach materiellem Reichtum dargestellt werden. Der Preis dafür ist hoch, nämlich der Verlust der Sinnlichkeit sowie des Erlebens der Gegenwart. Ein Soldat lässt sich auf diesen Handel mit dem Teufel ein, in dem er seine Geige gegen ein Buch und das Versprechen zum Luxus eintauscht. Die Erkenntnis des Soldaten, was er dafür preisgegeben hat, ist ernüchternd und dramatisch zugleich. Philippe Arlaud gliederte die große Bühne im Montforthaus in drei perspektivische Abschnitte, markiert durch dominante rote Lichtbänder. Rot und schwarz wählte er als Hauptfarben seiner Inszenierung. Die Geschichte siedelte er vorwiegend in der Gegenwart an, in der Börsenkurse und gesellschaftspolitische Umstände auch mittels Videoprojektionen Bezüge herstellten.

Herausragender Teufel, enttäuschender Erzähler

Allen voran spielte Hubert Dragaschnig die Rolle des Teufels souverän und ausdrucksstark. Er füllte seinen zynischen und grausamen, jedoch nicht humorlosen Part mit einer bewundernswerten Bühnenpräsenz aus. So trug er letztlich auch Simon Engeli mit, der den Soldaten verkörperte. Julia Mach als Prinzessin erhielt durch tänzerische Interpretationen eine bedeutendere Stellung als im Original vorgesehen, diese Idee schuf Bewegung auf der Bühne. Die Enttäuschung der Produktion war für mich jedoch der viel propagierte David Bennent in der Rolle des Sprechers. Er agierte flapsig, seine Art des Sprechens und auch die Stimmlage waren wenig vereinbar mit meinen Vorstellungen von diesem Schlüsselpart für die Interpretation der „Geschichte vom Soldaten“.

Verstärkung der Mittel

Philippe Arlaud verstärkte die geringe Anzahl der Protagonisten, indem er dem Teufel sechs Assistenten zur Seite stellte. Sie belebten den großen Bühnenraum, indem sie werkdeutende Aktionen setzten. Dieselbe Funktion hatte auch die Tänzerin inne. So gesehen war ständig Bewegung auf der Bühne. Unzählige Anspielungen lagen der Inszenierung zu Grunde, beispielsweise die kurzen Signations zwischen den Befehlen des Teufels, der seinen „Helden“ als Marionette herumkommandiert. Zudem boten die Videoprojektionen unterschiedliche Betrachtungsebenen, indem der liegende Soldat oder die Prinzessin von oben gefilmt und deren Bild an die Wand projiziert wurde. Zentrales Moment war der überdimensionale goldene Vorhang, das Symbol des Reichtums. Mit ihm konnte sich der Soldat umhüllen. Es gab also viel zu sehen auf der Bühne, doch gerade deswegen wurde die Quintessenz des Werkes meinem Empfinden nach zugedeckt.

Musik als Staffage

Die Musik, bestehend aus sechs Musikern, hielt dieser übermächtigen Visualisierung nicht stand. Strawinsky verschweißte in den einzelnen Nummern zahlreiche kurze musikalische Fragmente ineinander und schuf eine sehr verknappte und stringente Musik, die quasi von musikalischen Archetypen lebt und durchaus auch plakative Wirkungen erzeugen soll. Die Eckpunkte dabei sind die Kombination von motorisch, rhythmischer Energie, die Lyrik der Geigenstimme sowie die Lamenti und choralartigen musikalischen Passagen. Die Musiker aus den Reihen des Orchestre de Chambre Pelléas spielten hervorragend. Vom Schlagwerk aus wurden sie wiederum geleitet von Benjamin Levy. Am meisten wirkte diese Inszenierung entgegen den Texten des Erzählers. Sie sind mitunter sarkastisch, humorvoll und ganz im Sinne eines Jahrmarktstückes auch mit einer schlagenden Logik versehen. Diese Produktion stellte den Text jedoch in einen überhöhten Gesamtzusammenhang, der auf mich nicht schlüssig wirkte. Zudem verstärkt wurde dieser Eindruck durch die Schlusspassage, die Philippe Arlaud für dieses Stück erdacht hat.

Überhöhter Schluss

Direkt im Anschluss an die Moral von der Geschichte, „wer mehr als Eines möchte, der hat am Ende gar nichts mehr“ erklang die „Pavane pour une infante défunte“ ("Pavane für eine verstorbene Prinzessin") von Maurice Ravel. Das Stück diente quasi als Beerdigung und anschließende Auferstehung und sollte die „Geschichte vom Soldaten“ in eine traumhafte Rahmenhandlung einbetten. Derartige Regieideen führen meiner Meinung nach zu weit weg von Werkkonzeptionen, wie sie ein Komponist als Urheber eines Werkes erdacht hat. Derzeit sind sie jedoch en vogue. Das Publikum applaudierte begeistert und goutierte die Aufführung.