Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Silvia Thurner · 01. Mai 2009 · Musik

Die Innen- und Außensicht der Dinge

Das vierte Abonnementkonzert von „DornbirnKlassik“ war ein besonderes Ereignis, weil in diesem Rahmen das neueste Werk von Georg Friedrich Haas zur Uraufführung gelangte. Das Münchener Kammerorchester unter der Leitung von Alexander Liebreich spielte das Auftragswerk „Unheimat“ konzentriert und brachte die vielgestaltige musikalische Ausdruckskraft des G.F. Haas gut zur Geltung, zumal die programmatische Grundidee unmittelbar erlebbar gemacht wurde. Der Oboist Albrecht Mayer genießt Weltruhm und diesem wurde er mit Richard Strauss’ Oboenkonzert mehr als gerecht. Während die erste Konzerthälfte begeisterte, enttäuschte die zweite die Erwartungen, besonders im Hinblick auf die Uraufführung von „Sein und Meinen“ des Schweizer Komponisten Roland Moser.

Das Münchener Kammerorchester und sein künstlerischer Leiter Alexander Liebreich machen mit themenzentrierten Konzertzyklen und ihrem Interesse an aktuell entstandenen Werken von sich reden. In dieser Saison widmen sich die engagierten MusikerInnen dem Thema „Alpen“ in vielfältigen musikalischen Ausdeutungen, unter anderem haben Georg Friedrich Haas und Roland Moser sowie vier weitere Komponisten Aufträge erhalten. Georg Friedrich Haas ist in Vorarlberg aufgewachsen, seit einigen Jahren lebt er in Basel. Der Titel seines neuestes Werkes, „Unheimat“, lässt sich unmittelbar mit dem Kindsein in den schattigen V-Tälern des Montafons assoziieren.

Die Gruppen

Zur Interpretation der Komposition werden die Streicher in drei Gruppen auf der Bühne postiert, so dass die ZuhörerInnen vom Orchesterklang umgeben sind. Mit dem Raumklang und der räumlichen Wahrnehmung von Tönen sowie differenziert auskomponierten Tonqualitäten spielt G.F. Haas auch in diesem Werk. Zu Beginn kreisen die Streicher mit mikrotonalen Intervallen um einen Zentralton und erzeugen damit ein Summen, das anmutet, als befinde man sich mitten in einem Bienenschwarm. So entwickeln sich stehende Klangfelder, die durch die Gruppen weitergereicht werden und sich minimal verändern. Teilweise nimmt die Musik Klangfarbenspektren an, die an die Zungenstimmen eines Akkordeons erinnern, abschnittweise meint man eine summende Männerstimme zu vernehmen. Diese Verkörperung der Klänge wirkt äußerst anregend und eröffnet viele Perspektiven für eigene Assoziationen. Naturbilder, Licht und Schatten oder das Verhältnis jedes Einzelnen zum Kontinuum werden evoziert.

Der Außenseiter

Einen Hinweis auf die Inspiration des Komponisten ergibt auch die Rolle des separat positionierten Kontrabassisten. Dieser agiert für sich allein, sucht manchmal den Kontakt zu den Streichergruppen, findet diesen aber nicht wirklich. In sich etwas schwerfällig erklingt eine aufsteigende Melodielinie, die ständig wieder zusammenfällt und von neuem beginnt. G.F. Haas’ besondere Kunst der Bewegungsgestaltung ist auch in diesen Passagen zu hören. Die kommentierenden Streicher spielen fallende Linien, kreisen jedoch so in sich, dass der Eindruck eines Schwebezustandes entsteht. Die erste Aufführung dieses Werkes ist gelungen, wenngleich wohl noch Potentiale in der Ausdeutung der differenziert ausgearbeiteten Obertonwelten dieses Werkes stecken könnten.

Leidenschaft des Oboisten

Richard Strauss „Konzert für Oboe und Orchester“ in D-Dur, op. 144 war ein passendes Werk im Anschluss an die Uraufführung. Sogleich zeigte sich die große musikalische Kraft, die vom Solisten Albrecht Mayer ausgeht. Er entfaltete Naturbilder in unterschiedlichsten klangfarblichen Facetten und erfüllte das Werk mit bewundernswert gelenkigen Artikulationen und Phrasierungsbögen mit Leben. Die Dialoge mit den OrchestersolistInnen und Tuttipassagen wurden mit einem packenden Aufforderungscharakter umgesetzt. Die Zuspitzung nach dem in sich ruhenden, lyrischen Hauptthema im Andante wirkte dramatisch. Vor allem der Finalsatz offenbarte den erzählerischen Grundduktus dieser Werkdeutung. Das Orchester musizierte zwar nicht immer ganz exakt, agierte aber stets lebendig und aufmerksam im Zusammenspiel mit dem Solisten.

Zuwenig Profil

Im zweiten Konzertteil stand die Uraufführung von „Sein und Meinen“ des Schweizer Komponisten Roland Moser auf dem Programm. Das Werk begann vielversprechend, doch sehr bald wurde erkennbar, dass sich die zugrunde liegenden Ideen nur sehr schwer entfalten können. Es stellte sich ein unmotivierter Stillstand in der Musik ein, der zwar mit einigen bemerkenswerten motivischen Gedanken und Dialogen gefüllt wurde, allerdings plätscherte die Musik belanglos dahin, ohne eine Richtung vorzugeben. Selbst wenn das Auseinanderdriften der musikalischen Keime als Selbstzweck dienen hätten sollen, wurde dieser Leitgedanke zu wenig prägnant formuliert. In dieser Art ist das Werk eine langatmige Studie, in der ich ein eher dürftiges ‚Sein’ wahrnehmen konnte, das mein Interesse für das ‚Meinen’ jedoch nicht geweckt hat. Alexander Liebreich dirigierte mit impulsiver, teilweise auch ausladender Gestik. Abschließend erklang Mozarts „Haffner-Sinfonie“, und obwohl das Orchester ambitioniert musizierte, entwickelte sich keine wirklich packende Werkdeutung.