Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Silvia Thurner · 21. Nov 2021 · Musik

Das Ziel einer langen musikalischen Entwicklung erlebbar gemacht: Viel beachtete Aufführung der h-Moll Messe bei den Montforter Zwischentönen

Kurz vor dem neuerlichen Lockdown ermöglichten der Kammerchor Feldkirch, das Concerto Stella Matutina sowie Miriam Feuersinger (Sopran), Marian Dijkhuizen (Alt), Georg Poplutz (Tenor) und Christian Immler (Bass-Bariton) unter der Leitung von Benjamin Lack im Rahmen der Montforter Zwischentöne eine positive Zerstreuung und durch die klugen ‚Ansprachen‘ von Andreas Heller ein Zuversicht spendendes Erlebnis. Bachs h-Moll Messe war auch deshalb ein inspirierendes Ereignis, weil der Wille des Zusammenwirkens von Beginn an spürbar war. Lediglich der Saal im Feldkircher Montforthaus bot akustisch nicht die besten Voraussetzungen für diese Werkdeutung.

Die h-Moll Messe von Johann Sebastian Bach ist in vielerlei Hinsicht ein Monolith in der Musikgeschichte des Abendlandes. In diesem Werk fasste Bach nicht nur seine Kompositionskunst zusammen, sondern er schuf mit der Messe auch einen Rück- und Rundblick über die Kompositionsgeschichte von der Renaissance bis zum Barock. Dies öffnete den Zuhörenden abwechslungsreiche musikalische Erlebniswelten und stellte gleichzeitig die ausführenden Musiker:innen und insbesondere den Chor vor riesige Herausforderungen. Auf bewundernswertem Niveau gelang die Werkdeutung.

Wandlungskräftiger Chor

Kontrapunktisch angelegte Fugen, doppelchörig geführte Abschnitte, hymnischer Jubel und lyrisch in sich gekehrte Passagen verlangten ein Höchstmaß an gesanglicher Flexibilität und emotionaler Wandlungsfähigkeit. Zudem stellten die zahlreichen musikimmanenten Tonsymbole mit schwierigen Intervallsprüngen und Sinnbilder mit ornamentalen Verzierungen große Anforderungen an die Sänger:innen. Alle Abschnitte der h-Moll Messe gestaltete der Chor mit viel Bedacht auf eine gute Intonation und hoch konzentriert. Dies minderte zwar die Strahlkraft, die Stimmenbalance und mitunter die souveräne Ausformung der polyphon ineinander verwobenen Linien, beeinträchtigte aber den positiven Gesamteindruck nicht. Selbstverständlich wäre dem Kammerchor Feldkirch und dem Orchester ein sakraler Raum mit einer besseren Akustik sehr entgegen gekommen. So formten sich die Phrasierungsbögen und Artikulationen nicht selbstverständlich zu einem übergeordneten Ganzen, weil die akustischen Gegebenheiten im Saal die einzelnen Parameter wenig miteinander „verschmelzen“ ließen.

Souveräne Partner:innen

Das Concerto Stella Matutina war im mannigfaltigen musikalischen Geschehen ein guter Partner. Unter anderem wurde das harmonische Gefüge der Messteile gut nachvollziehbar. Bisweilen – zumindest von meinem Platz aus gehört – wirkte der Basso Continuo sehr dominant. Die unterschiedlichen Rollen, auch jene als ebenbürtiger Orchesterpart innerhalb der polyphonen Abschnitte, füllte das CSM transparent aus. Ebenso sensibel musizierten die solistisch geführten Flöten, die Oboe sowie das Horn mit den Vokalsolist:innen in den Arien des Gloria. Eine besondere Kraft ging von den Trompeten und Pauken aus, die präsent in den Vordergrund traten.
Das Solist:innenquartett war mit Miriam Feuersinger (Sopran), Marian Dijkhuizen (Alt), Georg Poplutz (Tenor) und Christian Immler (Bass-Bariton) hervorragend besetzt. Einige Duette und Soloarien blieben besonders in Erinnnerung, wie beispielsweise das von Miriam Feuersinger und Marian Dijkhuizen mit feiner Tongebung gestaltete Duett im Christe Eleison, die sensible Zwiesprache der Oboe mit der Altistin in „Qui sedes ad dextram Patris“, der zwischen den Chorgruppen positionierte Georg Poplutz im „Benedictus“ sowie die Bassarie „Et in Spiritum sanctum“ mit Christian Immler.
Die Choraufstellung und eine Lichtregie unterstrichen den emotionalen Aussagegehalt und die monumentalen Schlusspassagen der einzelnen Messteile. Mit viel körperlichem und mentalem Einsatz dirigierte Benjamin Lack. Bei ihm liefen die Fäden zusammen, er war ganz beim Chor und bei den Musiker:innen und bot einen sicheren Anker im beziehungsreichen musikalischen Fluss dieses Mammutwerkes.

Sinngebende Gedanken dazwischen

Es ist oft unbefriedigend, wenn zwischen einzelne Abschnitte eines in sich abgeschlossenen musikalischen Ganzen, gesprochene Texte zwischengelagert werden. Doch bei dieser Aufführung wirkten die vorgetragenen Gedanken des Theologen Andreas Heller für das Gesamterlebnis bereichernd. Der in der „Palliative Care“ führende Wissenschaftler und Mitbegründer der „Letzte Hilfe“ Kurse hatte viel zu sagen. Seine Gedanken ließen sich von jeder und jedem Einzelnen in einen persönlichen Sinnzusammenhang einfügen oder in einem gesellschaftspolitischen Kontext deuten. An den Anfang der Überlegungen stellte Andreas Heller die Bedeutung der Sorge füreinander, die er als erste und letzte Figur unseres Lebens und als guter Boden, auf dem Leben wachsen könne, bezeichnete. Zum Weiterdenken regten auch die Gedanken über den Mut der Sterbenden an. Die Vorratskammer des Mutes sei verloren gegangen, sagte Andreas Heller. Seine Überlegungen führte er weiter aus und sprach auch den Mut der Politik zur Sorge für andere an. Schließlich kam er auf das Zuhören im Hospiz zu sprechen und auf jene Dinge, die viele Sterbende bedauern. Damit lenkte Andreas Heller den Blick auf das Leben und die Lebenden.