Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Silvia Thurner · 02. Nov 2020 · Musik

Courage, Einsatzbereitschaft und Können – das Orchester „Concerto Stella Matutina“ und die Marionettenoper Lindau sorgten mit Mozarts „Entführung“ für Jubelstimmung

Ihr 15-jähriges Bestandsjubiläum wollten die Musikerinnen und Musiker des Concerto Stella Matutina mit Freunden feiern. Deshalb luden sie die Marionettenoper Lindau, die in diesem Jahr ihr 20-jähriges Gründungsjulibäum feiert, zur Zusammenarbeit ein und brachten Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ auf die Bühne. Die Aufführung war für alle Beteiligten ein organisatorischer Kraftakt, denn in Coronazeiten wurden am Bodensee über Nacht (fast) unüberwindbare Grenzhürden aufgezogen. Doch die Anstrengungen lohnten sich und so erlebten die Besucherinnen und Besucher in der Kulturbühne AmBach einen inspirierenden Opernabend, mit hervorragenden Solistinnen und Solisten, einem aussagekräftig musizierenden Orchester und einem fantasiereichen Marionettenspiel.

Alle zwei Jahre erfüllt sich das Concerto Stella Matutina einen Herzenswunsch und bringt eine musiktheatralische Produktion auf die Bühne. Mit der Marionettenoper Lindau planten die Musikerinnen und Musiker schon vor längerer Zeit eine Zusammenarbeit. Mozarts „Entführung aus dem Serail“ bot sich an, denn mit diesem Singspiel eröffnete der Puppenspieler Bernhard Leismüller im Jahr 2000 die Marionettenoper Lindau. Und die bunt instrumentierte Musik mit türkischem Flair schien wie geschaffen für die in der historischen Aufführungspraxis experimentierfreudigen Musikerinnen und Musiker des „Concerto Stella Matutina“.

Die Musik plastisch vor Augen geführt

Der Bühnenaufbau in der Kulturbühne AmBach machte es den Zuhörenden leicht, Mozarts Singspiel auf zweierlei Arten zu erleben. Das Solistenensemble mit Gloria Rehm (Konstanze), Theodora Raftis (Blonde), Daniel Johannsen (Belmonte), Michael Feyfar (Pedrillo), Martin Summer (Osmin) und Hubert Dragaschnig (Bassa Selim) agierte hervorragend disponiert und harmonierte auch im Hinblick auf das Zusammenwirken der stimmlichen Timbres gut. Unter der Leitung von Thomas Platzgummer interpretierten die Orchestermusikerinnen und -musiker Mozarts geistreiche Musik mit zahlreichen klanglichen Raffinessen. Die Spielart mit kontrastreichen dynamischen Effekten sowie die kantigen Phrasierungen auf der einen Seite hatten Drive und zauberten das für dieses Singspiel so typische türkische Flair auf die Bühne. Auf der anderen Seite breitete das Orchester die Kantilenen der Arien mit viel Besonnenheit und warmen Orchesterfarben aus.

Starke Charaktere

In der Werkdeutung kam die Genreverbindung der opera seria mit der opera buffa, die Mozart in seiner „Entführung“ ganz bewusst zusammengeführt hat, hervorragend zur Geltung. So verkörperten die Sopranistin Gloria Rehm und der Tenor Daniel Johannsen in ihren Rezitativen und Arien die lyrisch dramatische Melancholie, während Theodora Rafis als Blonde und Michael Feyfar als Pedrilla mit ihrer Ausdruckskraft die Wesenszüge der opera buffa ideal ausfüllte. Eine Schlüsselrolle hatte der Bass Martin Summer inne. Seine stimmliche Brillanz und temperamentvolle Ausdruckskraft verliehen dem Osmin eine große Wirkung.
Überdies gab die Sprechrolle des Bassa Selim Anlass zu Überlegungen, welche Ideale Mozart mit dieser Stilfigur ausdrücken wollte. Die warme Stimme und der weiche Tonfall von Hubert Dragaschnig unterstrichen die kluge Sicht auf die Dinge des Bassa Selim, die im viel zitierten Satz mündete: „Wen man durch Wohltun nicht für sich gewinnen kann, den muss man sich vom Halse schaffen.“ Sowohl die Sängerinnen und Sänger als auch das Orchester füllten ihre Rollen voll und ganz aus und zogen die Zuhörenden in ihren Bann.

Eintauchen in spielerische Welten

Im Mittelpunkt des Geschehens öffnete die Guckkastenbühne der Marionettenoper Lindau mit den sichtbar agierenden Puppenspielern eine zusätzliche spielerisch-optische Welt. Jede Figur in dieser „Entführung“ war sozusagen doppelt besetzt, denn jeder Sängerin und jedem Sänger war als alter ego eine Marionette zur Seite gestellt. Dieses Spiel mit den Wahrnehmungsebenen des Gehörten und des Dargestellten ergab reizvolle Wechselwirkungen. Sympathisch wirkte die Idee, die Protagonisten in ihren Arien mit den Marionetten in Beziehung zu bringen, indem die Welten zwischen den handelnden Personen mit den agierenden Marionetten direkt Kontakt aufnahmen. So hüpfte beispielsweise die Marionette Blonde fröhlich in den Schoß von Theodora Raftis und Martin Summer als der ewig grimmiger Osmin zerrte kurzerhand Pedrillo aus dem Bühne und schüttelte ihn gehörig durch.
Kunstvoll und detailverliebt sowie mit sehr exakten Bewegungsverläufen ließ das Ensemble (Patrick Leismüller, Nita Riedel, Doris Gütschow, Mathilde Schweiger-Stadler, Britt Schleusener, Louie Kaiser, Reinhold Pretscher, Ulrike Hempel) die Puppen tanzen und hauchte ihnen Leben ein.

Große Bühnenpräsenz

Mitunter verströmten die Sängerinnen und Sänger aber eine derart große Bühnenpräsenz, dass sie der Marionettenoper (fast) die Show stahlen. Beispielsweise in der Auseinandersetzung von Blonde und Osmin, wo ihm die quirlige Sklavin so richtig die Meinung sagte und selbstbewusst einforderte, wie sie behandelt werden möchte. Auch die Szene, in der Pedrillo Osmin einen Rausch anhängt, gestalteten Michael Feyfar und Martin Summer überaus eindrücklich. Kaum zu glauben, wie spitze Bemerkungen Pedrillo über das Alkoholverbot der Muslims machte. (Das waren Zeiten, als man über religiöse Gebote auch lachen durfte.)
Thomas Platzgummer am Pult des Concerto Stella Matutina dirigierte voller Energie. Mit frenetischem Applaus dankte das Publikum für den geistreichen, zugleich sinnlichen und freudvollen Opernabend.