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Silvia Thurner · 29. Nov 2010 · Musik

Bludenzer Tage auf Exkursion an Bregenzer Orgeln - Bernhard Haas begeisterte mit außergewöhnlichen und geistreichen Werkdeutungen

Einen spannenden Abend der Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik erlebten die BesucherInnen mit dem herausragenden Organisten Bernhard Haas. Im Rahmen eines zweiteiligen Konzertes wurde zuerst die Riegerorgel der Klosterkirche Mehrerau und anschließend die Behmannorgel in der Kirche Herz-Jesu in Bregenz bespielt. Faszinierend interpretierte der aus Stuttgart stammende Organist unter anderem die Werke „Liquescentiae“ von Gianluca Ulivelli und Brian Ferneyhoughs "Sieben Sterne". Besonders für diese Werkdeutung war viel Meisterschaft und Raffinesse zur Registrierung der unzähligen Klangfarbenschattierungen erforderlich.

Zum ersten Mal fand innerhalb der btzm eine Orgelexkursion nach Bregenz statt. Der Kurator Alexander Moosbrugger, der selbst Organist ist, ließ sich für die Orgelkonzerte der btzm Außergewöhnliches einfallen: Er stellte die unterschiedlichen Orgeln in der Mehrerau und in der Bregenzer Pfarrkirche Herz-Jesu zueinander in Beziehung - und dies mit Werken, die seinesgleichen suchen.

Eine Entdeckung

Vor allem die Komposition „Liquescentiae" von Gianluca Ulivelli war eine Entdeckung. Das Stück wurde im Mai 2010 im Rahmen der Wittener Tage für zeitgenössische Kammermusik von Bernhard Haas uraufgeführt und war nun als österreichische Erstaufführung im Rahmen der Bludenzer Tage zu hören. Dazu musste die Orgel präpariert werden und der Organist hatte die Anweisung, einzelne Töne auch zu singen. Das vielschichtig angelegte Werk entfaltete im Kirchenraum eine sehr eigentümliche und eindringliche Wirkung. Die Präparierung einzelner Pfeifen bewirkte menschliche Laute wie Atmen und Stöhnen. Zusammen mit dem Gesang des Organisten formte die Musik emotionale Felder, die teils suchenden Charakter annahmen oder mit harten Schlägen unterbrochen wurden. Tonwirbel und Schwebungen, Cluster und kristalline Klänge sowie das Zusammenbrechen von Klanggebilden ergaben ein überaus nachdrückliches Werk.
Die „Ciacona monoritmica“ aus der Partita von Heinz Holliger ist original für Klavier komponiert. Bernhard Haas selbst richtete das Werk für Orgel ein. Der Komposition liegt ein charakteristisches rhythmisches Motiv zugrunde, generiert aus den Geburtsdaten des Pianisten András Schiff. Den dicht verwobenen Satz bereicherte Haas durch eine allmähliche Klangfarbentransformation vom Dunkel zum Licht, die der Musik eine zusätzliche Aussagekraft verlieh.

Das Publikum mitten im Klang

Im Anschluss an diese beiden Werkdarbietungen übersiedelten die BesucherInnen in die Pfarrkirche Herz-Jesu, wo das Konzert auf der Empore direkt vor der imposanten Orgel fortgesetzt wurde. Es ist nicht alltäglich, bei einem derart hochkarätigen Konzert auch noch mitten im Klang zu sitzen. Vor allem die „Sieben Sterne“ von Brian Ferneyhough benötigten diese Nähe, weil unzählige Klangfarbenmuster zum Klingen gebracht wurden. Die beiden Registrantinnen Gisèle Kremer und Jihee Rhim assistierten dem Organisten bei seinem höchst differenzierten Spiel. Eigentlich ist die pneumatische Behmannorgel für derart fein strukturierte Klangelemente nicht geschaffen, doch Bernhard Haas formte die feingliedrige Musik und löste damit Bewunderung aus. Vor allem der experimentelle und spielfreudige Zugang erregte das Interesse.
Neben der ausgefeilten Spielart bei Ferneyhough geriet das „Stunden:Buch“ von Robert HP Platz beinahe ins Hintertreffen. Doch auch diese Komposition erhielt eine lebendige Deutung. Unterschiedliche Ton- und Klangkonstellationen sowie perkussive Abschnitte bezogen ihre Wirkung auch aus der unmittelbaren Nähe, in der die Musik zu erleben war. Direkt vor dem Hauptwerk der Orgel sitzend, wurden die Positionen der Pfeifen und die Richtungen, aus denen die Töne zu vernehmen waren, zu einem anregenden Spiel mit Klangperspektiven.

Ein in sich abgerundetes Ganzes

Die Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik 2010 zeichneten sich durch eine dicht verwobene Programmierung aus, die es interessierten BesucherInnen ermöglichte, ähnliche bzw. verwandte kompositorische Leitideen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Gut durchdacht waren die Werkfolge und die Auswahl der Stücke. So ergaben sich reizvolle Querverbindungen beispielsweise zwischen Werken, deren Inspirationsquellen bzw. Vorlagen in der Renaissancemusik liegen. Weiters war die Fortschreibung der spektralen Kompositionsarten angefangen von Grisey über Ullmann und Ferneyhough bis hin zu Ulivelli spannend nachvollziehbar und erweiterte den Hörhorizont.
Die btzm sind ein Festival, dessen künstlerische Aussagekraft aus unverständlichen Gründen bislang eher wenige Interessierte zu schätzen wissen. Hochkonzentriert, offen und diskussionsfreudig ist jedoch das treue Stammpublikum.