Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Silvia Thurner · 19. Jän 2020 · Musik

Beethovens Klaviermusik in jeder Phrase verinnerlicht – Rudolf Buchbinder musizierte mit den Wiener Symphonikern und faszinierte die Zuhörenden

Das erste Bregenzer Meisterkonzert des neuen Jahres war ein Ereignis der Superlative, denn einer der renommiertesten Interpreten der Beethoven-Klavierkonzerte, Rudolf Buchbinder, bot mit den Wiener Symphonikern gleich drei Klavierkonzerte dar. Die gehaltvollen Werkdeutungen machten Beethovens spezifische kompositionstechnische Raffinesse erlebbar. Darüber hinaus brachten die emotionale Kraft des Solisten und seine bewundernswert vielfältige musikalische Ausdruckspalette eine höchst konzentrierte und energiegeladene Atmosphäre ins Bregenzer Festspielhaus.

Beethovens fünf Klavierkonzerte sind legendär, gleich drei davon „in einem Guss“ erleben zu können, war ein besonders eindrückliches Ereignis. Rudolf Buchbinder leitete vom Klavier aus die Wiener Symphoniker. Mit seiner bewundernswerten Klaviertechnik und Spielart zog er die Zuhörenden sofort in seinen Bann. Die ausdrucksstarke Anschlagsdynamik und sein feinsinniger Duktus bei sämtlichen Ornamenten und figuralen Läufen sowie seine kraftvoll in die Tasten gegriffenen Oktavverdoppelungen auch über schwierigste Passagen hinweg, die spezielle Tongebung bis in die höchsten Register, die mit einem ausdifferenzierten Pedaleinsatz „gesungenen“ melodischen Bögen sowie die rhythmische Prägnanz bei Tonrepetitionen und synkopischen Verschiebungen sind nur ein paar Qualitätsmerkmale, die das Klavierspiel des 73-jährigen Musikers so einzigartig machen.

Gute Werkfolge

Rudolf Buchbinder ist bekannt für sein genaues Quellenstudium und dieses kam auch den Werkdeutungen im Bregenz Festspielhaus zugute. Unter anderem zeigte sich dies in der durchdachten Werkfolge, die Beethovens kompositorischen Entwicklungslinien und Eigenarten gut nachvollziehbar machten. Zuerst erklang das zweite Klavierkonzert, op. 19 in B-Dur, dann das vierte, op. 58 in G-Dur und den Schluss bildete das dritte Konzert, op. 37 in c-Moll. Das noch von Mozart inspirierte zweite Konzert bildete einen guten Einstieg, in dem die Schubkraft der Motive und die redselige Themenführungen mit zahlreichen überraschenden harmonischen Wendungen die Aufmerksamkeit auf sich lenkten.

Weit in die Zukunft weisend

Den größten Eindruck hinterließ das vierte Klavierkonzert. Hier wurde auch deutlich, dass der Komponist in der Entwicklung neuer Klavierinstrumente maßgeblich beteiligt war und ein besonderes Interesse für innovative Klangereignisse hatte. Fast choralartig eröffnete Rudolf Buchbinder das Werk und breitete damit eine mystische Stimmung aus. Unter anderem spielte er mit Gewichtungen und ließ den musikalischen Duktus wunderbar leicht schweben, so dass Beethovens weit in die Romantik weisende kompositorische Sprache voll zur Geltung kam. Dabei bildete der langsame Satz den Höhepunkt des gesamten Konzertabends. Wie eine Opernszene wurden die zuerst zwingend aufeinanderprallenden thematischen Gegensätze zueinander in Beziehung gestellt und in weiterer Folge miteinander in Verbindung gebracht.

Überraschende Wendepunkte

Die Kadenz im Eröffnungssatz des dritten Klavierkonzertes ließ neue Hörperspektiven zu. Im Largo setzten die Musikerinnen und Musiker den Zeitfluss außer Kraft und muszierten die kammermusikalischen Abschnitte mit höchster Intensität, besonders in Erinnerung blieb die Passage mit Flöte, Fagott und Klavier. Noch viel mehr wäre zu sagen über den Vergleich der drei Konzerte und die interpretatorischen Grundzüge sowie die zahlreichen harmonischen Überraschungsmomente und Wendepunkte, die Rudolf Buchbinder und die Wiener Symphoniker in den schönsten Farben ausleuchteten.
Zu Beginn schien es, als müsste sich das Orchester in seine Rolle erst einfinden. Doch bald steigerten sich die Musikerinnen und Musiker zu einem aktiv mitgestaltenden Partner. Obwohl einige koordinatorische Unwägbarkeiten zu bemerken waren, beeinträchtigten diese die höchst eindrücklichen Werkdeutungen nicht. Wohl alle im Saal waren sich bewusst, ein außergewöhnliches Musikerlebnis genießen zu können, das noch lange nachwirken wird.