Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Thorsten Bayer · 23. Jul 2010 · Musik

Alles unter Kontrolle - Archive in der poolbar

Kontrolle ist ihr Thema. Sie haben ihre Zuhörer im Griff. Wie könnte es auch anders sein, wenn das aktuelle Album einer Band „Controlling Crowds“ (Massen kontrollieren) heißt? 
Der Titelsong ist auch der Opener an diesem Abend in der Feldkicher poolbar. Kaum hat Sänger Pollard Berrier zum Mikrofon gegriffen, sind die geschätzt 800 Fans auf seiner Seite und singen mit. Es wird ein intensiver Abend, der Einiges von den Zuhörern verlangt – mit düsteren Texte über Abschied, Einsamkeit und Todessehnsucht in ebenso düsterer musikalischer Atmosphäre, die die sechs Musiker immer wieder neu gestalten. Links und rechts der Bühne laufen auf Leinwänden Filme, die traurige Bilder liefern, unter anderem von einer Armee aus Gesichtlosen.

Eine Band wie ein Chamäleon

Die Anfänge der Londoner Band liegen Mitte der 90-er Jahre im House und im Trip-Hop. Auch heute erinnern noch einige ihrer Songs – nicht nur die alten – etwa an Massive Attack, eine der wichtigsten Trip-Hop-Bands: dominante Synthesizer, mächtig wummernde Basslinien und mit Sängerin Maria Q auch eine starke Soul-Stimme. Andere Stücke klingen so metallisch-hart wie Anne Clark oder Depeche Mode in den Achtzigern. Im Laufe der Jahre haben sich die Gründer der Band, Keyboarder Darius Keeler und Danny Griffiths (Gitarre/Bass) dem Rock geöffnet und setzen seither auch auf fette Gitarrenriffs. Mit dem dritten Sänger, Rosko John, kommt Hip Hip als weiterer Baustein hinzu. Seither fällt die Einordnung der Band immer schwerer. Beeindruckend ist, wie nahtlos sie mit ihren Mitstreitern live die Stilrichtungen wechseln. Auch innerhalb eines Songs bestechen sie durch ihre Präzision, wenn ein wuchtiger Sieben-Mann-Klangteppich auf Gesang und Keyboard reduziert wird, bevor es wieder lauter wird. Das Schema wiederholt sich zwar – doch die Songs reißen immer wieder aufs Neue mit.

Häufig wechselnde Besetzungen

Harmonie ist bei diesem Kollektiv keine Selbstverständlichkeit. Die Aufnahmen zu ihrem Debütalbum „Londinium“ im Jahr 1996 wurden zur Farce, da John mit einer früheren Sängerin überhaupt nicht zurecht kam. So gingen die beiden schließlich nur getrennt ins Studio. Andere Sänger kamen und gingen wieder, seit 2005 ist der Amerikaner Pollard Berrier dabei. Seine schneidende Stimme, die er zuvor bei dem innovativen Vokalprojekt „Bauchklang“ aus Niederösterreich eingesetzt hat, ist eine Bereicherung für die Band. Auf der Bühne zeigt er ein gutes Gespür dafür, wann er sich in den Vordergrund spielt, wann er sich eher zurückhält.
Der Aufbau der Songs ist häufig ähnlich, was auf CD mitunter einschläfernd wirken kann. Live nicht – dazu ist die Show der Briten viel zu energiegeladen und mitreißend für die Zuhörer. Vor allem Darius Keeler, am linken Rand der Bühne platziert, ist kaum zu halten, tanzt wild hinter seinen Keyboards und feuert seine Kollegen an. Die anderen hingegen sind kontrollierter, haben sich im Griff. Manchmal zu sehr.

Everything but Giants als starke Vorband

Das sah bei der ersten Band des Abends noch ganz anders aus. Everything but Giants, mit dem Feldkircher Little Konzett an den Drums, hatten schon Anfang Jänner am Spielboden Dornbirn mit ihrer ungekünstelten Spielfreude überzeugt. Auch im Alten Hallenbad machen die Indie-Rocker einfach Spaß. Bisher haben die vier noch kein Album aufgenommen, nur eine EP, wirken aber sehr sicher und eingespielt.

Wucht und Ekstase in komplexen musikalischen Formen

Gegen Mitte des Archive-Konzerts betritt Rosko John, wie seine Kollegen ganz in Schwarz gehüllt, die Bühne: Die musikalische Ausrichtung verschiebt sich für einige Songs, die Reaktion des Publikums bleibt: Auch diese Beats taugen zum Kopfnicken. Was Archive leider völlig vermissen lässt, ist die Interaktion mit dem Publikum. Das Verständnis zwischen den einzelnen Musikern ist ein blindes, ihre Show höchst professionell – doch leider auch etwas steril. Keine einzige Ansprache an die Zuhörer, keine Scherze untereinander auf der Bühne. Von Griffiths stammt die Einschätzung, Archive könne man nur allein hören. Fast wirkt es, als wollten sie den Beweis antreten und spielten vor allem für sich selbst, weniger für die Fans. Als vorletztes Stück interpretieren sie ihren aktuellen Hit „Bullets“, Zugaben gibt es nicht.
Den Zeitplan halten sie auf die Minute genau ein, nach 70 Minuten ist Schluss. Die Zuschauer fordern auch nur halbherzig die Musiker zurück auf die Bühne. Sie spüren wohl genau, dass sie es hier mit einer Band zu tun haben, die ihre Arbeit wie ein Uhrwerk verrichtet; präzise, zuverlässig, aber auch unflexibel. So bleibt bei aller Bewunderung für das handwerkliche Können sämtlicher Mitglieder des Ensembles ein etwas schales Gefühl zurück: Bei aller Ekstase, die Archive immer wieder in komplexe musikalische Formen gießt, bei aller Wucht, die ihre Stücke entwickelt, leistet die Band an diesem Abend eher Dienst nach Vorschrift ab.