Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Fritz Jurmann · 23. Jul 2010 · Musik

Bregenzer Festspiele: „Aida“ als Tourismusobjekt – auch in zweiter Auflage mehr Event als Oper

Die Bregenzer Festspiele haben sich schon im Vorjahr damit gebrüstet, die Wüstenoper „Aida“ von Giuseppe Verdi ins Gegenteil zu verkehren und im Wasser spielen zu lassen. Daran hat sich auch bei der Wiederaufnahme am Donnerstag nichts geändert, nur kam noch eine Komponente dazu: das Wasser von oben. Schon von Beginn an war es immer wieder zu kurzen Schauern gekommen, doch Akteure und das Publikum auf der ausverkauften Tribüne hielten tapfer durch. Erst als es im Nilakt, nach etwa drei Vierteln der Gesamtspielzeit, wie aus sprichwörtlichen Kübeln zu gießen begann, wurde der Rest der Vorstellung ins Haus verlegt, verkündet von einer von diesem Umstand offenbar völlig überraschten, stotternden Ansagerin.

Werk und Inszenierung driften weit auseinander

Die meisten nahmen es mit Humor, hatten sie doch davor zumindest die große Triumphszene erlebt, das Herzstück dieser Oper, in opulente Bilder gekleidet, mit einem goldenen Elefanten zu Wasser und farblich wunderbar aufeinander abgestimmten Kostümen. Trotz dieses zweifellos umwerfenden Eindrucks, trotz gegenüber dem Vorjahr deutlich gestraffter Abläufe, ist mir als Festspielbesucher seit 1952 noch nie eine Produktion am See untergekommen, bei der das Werk und seine Inszenierung so weit auseinander gedriftet sind wie hier. Das Projekt beruht zunächst auf dem fundamentalen Missverständnis, „Aida“ sei die ideale Freiluftoper. Der frühere Intendant Alfred Wopmann hat sich 20 Jahre lang standhaft geweigert, diese Oper auf den See zu bringen. Er wusste, wie kammermusikalisch-intim das Werk mit Ausnahme des „Triumphmarsches“ ist, wie sehr die Musik sich auf die inneren Konflikte der Protagonisten konzentriert.

Effekttheater für die Massen

Das wissen heute auch andere in Bregenz, wollten es aber trotzdem versuchen und dieses Manko mit einem nie zuvor gekannten Aufwand an (sichtbarer) Technik und zeitgeistigem Spektakel kompensieren. Solches Effekttheater mag den Massen gefallen, die zu Hunderttausenden an den See strömen. Die Vorverkaufszahlen sprechen auch heuer eine ganz andere Sprache, und der Zweck heiligt bekanntlich jene Mittel, die ohne diese „Cash-Cow“ anderen, weit wertvolleren Projekten der Festspiele wie der lustvoll produzierten „Kunst aus der Zeit“-Schiene abgingen. Dennoch: Das Werk geht aus diesem Prozess nicht unbeschädigt hervor, es wird  zum Tourismus-Objekt degradiert und um viele atmosphärische Feinheiten gebracht. Ein Versuch also, der auf hohem Niveau gescheitert ist.

Oper als Vorwand für ein Unterhaltungsereignis?

In der Inszenierung von Graham Vick und im Bühnenbild von Paul Brown wird der Freiheitsgedanke der Handlung als beliebig anwendbare Metapher übergestülpt. Was, bitte, soll das mit Kunst zu tun haben, wenn zwei knallgelbe Liebherr-Kräne die Bühne dominieren, sich Abend für Abend surrend in Bewegung setzen, um ein Bild der Freiheitsstatue zusammenzusetzen und dabei empfindlich die Musik stören? Wer kann mir erklären, warum das Ballett auf einer fußhoch im Wasser stehenden Plattform kreischend Party für eine Spaßgesellschaft macht statt Oper?
Die Antwort darauf gibt ein Berufener, der eben nach erfolgreichen 19 Jahren als Wiener Staatsoperndirektor geschiedene Ioan Holender, der in seiner aktuellen Autobiografie „Ich bin noch nicht fertig“ (Zsolnay-Verlag) unverblümt über diese Bregenzer Produktion schreibt: „Mit Kunst im Sinne des Werkes und dessen Schöpfer hat so etwas nur noch wenig zu tun, man generiert vielmehr ein Unterhaltungsereignis. Und der Vorwand dafür ist eine Oper.“ 

Musikalisch wird dennoch Hervorragendes geleistet

Man wird den Eindruck nicht los, dass in Bregenz, das eben mit einer stringenten und berührenden Opernentdeckung im Haus reüssierte, am See zunehmend ein plakativer und populistischer Eventcharakter die Ernsthaftigkeit der Befassung mit Oper verdrängt. Unter dem didaktischen Deckmäntelchen, Leute, die damit absolut nichts am Hut und noch nie ein Opernhaus von innen gesehen haben, für dieses Genre begeistern zu wollen, dominiert monströse Vordergründigkeit statt fundierter Tiefe. Dabei wird, wie man bis zum Abbruch feststellen kann, im Musikalischen Hervorragendes geleistet. Carlo Rizzi sorgt mit dem bestens disponierten Orchester der Wiener Symphoniker (im trockenen Haus) für sprühendes italienisches Brio und Farbenpracht, der Sound der viel gelobten Bregenzer Akustik ist im zweiten „Aida“-Jahr wieder so satt wie bei „Tosca“, ein akustisches Äquivalent zur gewaltigen Optik.
Gerade unter so widrigen Umständen zeigen sich Kraft und Durchhaltevermögen der großteils See-erfahrenen Kräfte, wie sie hier in den Hauptpartien überzeugend am Werk sind: Maria José Siri als Aida von großer Strahlkraft, Arnold Rawls, der als Radames mit metallischem Tenor glänzt, Iano Tamar, die ihre Amneris unheilvoll dunkel zeichnet, Bradley Garvin, dessen Bass den König zum Ereignis macht, und Quinn Kelsey als Amonasro in klarer Diktion. Neben den Profis vom Prager Philharmonischen Chor agiert mit viel Einsatzfreude wie gewohnt auch der Bregenzer Festspielchor unter seinem neuen Chef Benjamin Lack, der auch die Bühnenmusik mit Leuten vom Landeskonservatorium leitet.