Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Fritz Jurmann · 21. Feb 2011 · Musik

„Tannhäuser“ greift zu Jimi Hendrix‘ E-Gitarre - In Zürich wird Richard Wagners populäre Oper zur Castingshow

Am Opernhaus Zürich hat wieder einmal ein Publikumsrenner Einzug gehalten, Richard Wagners 1845 fertig gestellte Oper „Tannhäuser“, die allein durch ihr gesellschaftliches und seelisches Konfliktpotenzial als eine der meistgespielten Opern unserer Tage gilt. Im selben Maße aber auch durch ihre ungemein illustrative, kontrastreiche Musik, die nicht umsonst bereits mehrmals als attraktiver Film-Soundtrack herhalten musste. Noch bis vor zwei Jahren hatte das Wagner-Mekka Bayreuth eine vom inzwischen abwandernden Feldkirch-Festival-Chef Philipp Arlaud inszenierte grell-bunte Version dieser Oper im Programm und wird heuer eine Neuinszenierung anbieten, in Zürich hat man sich erstmals den deutschen Regie-Altmeister Harry Kupfer ins Boot geholt, der 1992 in Bregenz als Hausoper der Festspiele Berlioz‘ „La Damnation de Faust“ aufregend ins Bild setzte.

Seinen insgesamt fünften „Tannhäuser“ wollte Kupfer, vielleicht in einer Art Alterssturheit, partout „modern“ anlegen und drückt dem mittelalterlichen Titelhelden als äußeres Zeichen dafür anstelle der Leier gleich einmal eine E-Gitarre in die Hand – angeblich eine posthume Hommage an Jimi Hendrix, nach Kupfers Meinung ein rebellischer „Tannhäuser unserer Zeit“. Dass wenig später auch seine Minnesänger-Kumpels auf der kurzerhand zum Golfplatz umfunktionierten Wartburg solche Gitarren in die Hand bekommen, ist des Guten dann doch etwas zu viel und der Logik zu wenig. Dafür gerät im zweiten Aufzug die Verlegung des berühmten Sängerkrieges als Castingshow in ein Fernsehstudio zu einer originellen Parodie, gut beobachtet in den Eitelkeiten der Protagonisten und des in Abendkleidung gestylten Chors als Publikum vor den Kameras. Die stärkste Wirkung aber gelingt Kupfer und seinem Bühnenbildner Hans Schavernoch im dritten Aufzug, wo die Wartehalle eines Bahnhofes zur bedrückenden Metapher vergeblichen Wartens auf die Erfüllung der angestrebten großen, reinen Liebe wird.

Eine Liebe im Zwiespalt zwischen Sinnlichkeit und Reinheit

Diese Liebe in zwei Varianten ist es auch, die dem Stoff den nötigen Pfeffer gibt, Tannhäuser in einen tiefen Zwiespalt treibt zwischen der triebhaft lüsternen Sinnlichkeit der Venus im Hörselberg und jener reinen Liebe, auch in einem christlichen Sinn, wie sie Elisabeth ihm bieten möchte. Dass Tannhäuser dieses Angebot brüsk ablehnt und sich beim Sängerkrieg öffentlich für das ausschweifende Leben deklariert, wird umgehend zum Skandal, den der Titelheld nur durch eine Pilgerfahrt wieder gutmachen kann. Dass diese ausgerechnet nach Rom führt, entbehrt in unseren von Berlusconis Amouren geprägten Tagen freilich nicht einer amüsanten Doppeldeutigkeit. Dass Tannhäuser schlussendlich doch, auf Fürbitte seiner eben verblichenen Elisabeth, Verzeihung vor Gott und damit den ewigen Frieden findet, aufgebahrt in einem gläsernen Schneewittchen-Sarg, lässt die bedrohliche Gewitterszene, mit der Kupfer das Spiel beendet, eigentlich als deplatziert erscheinen.
Auch zu Beginn der insgesamt viereinhalbstündigen Aufführung mit dem in der „Pariser Fassung“ des Werkes enthaltenen Bacchanal hat der Regisseur bereits ins Volle gegriffen. Im Banne der Liebesgöttin Venus, in einer in sinnlichem Rot ausgeleuchteten, variablen Bühne aus Stahl und Glas, geschieht mit einem Fest aus Tanz und Schönheit leicht bekleideter Ballettratten als Nymphen und Faune so manches, was sich der Normalbürger in seinen verschwitzten Fantasien vorstellen mag. Vielleicht auch ein Regisseur, denn manches davon wirkt eher peinlich und antiquiert als wirklich erotisch. Unter den alternden Herren, die sich im Banne der Fleischeslust dort selber noch einmal ihre Männlichkeit beweisen wollen, ist auch der Klerus prominent vertreten, Bischöfe und Kardinäle, die dabei mehr hin- als wegschauen und im weiteren Verlauf der Handlung als Vertreter einer scheinheiligen Doppelmoral gar nicht eben gut wegkommen.

Musikalische Interpretation entschädigt für Mängel der Regie

Eine Regie also, die zwar vieles an aktuellen Bezügen bietet, aber auch manches an Ungereimtheiten offen lässt und letztlich nicht in allem wirklich schlüssig erscheint. Dafür entschädigt bei diesem „Tannhäuser“ die musikalische Umsetzung, die unter der musikalischen Leitung von Ingo Metzmacher zu einem luxuriösen Fest großer Stimmen wird, mit denen das Opernhaus Zürich bekanntermaßen immer wieder auftrumpfen kann. Der Dirigent widersagt erfolgreich dem naheliegenden Trend, Wagner allzu pompös und schwülstig in Szene zu setzen. Er bevorzugt gesunde Tempi, streicht viele schöne Details der Partitur heraus, stellt eine funktionierende Klangbalance mit der Bühne her. Vor allem aber geht es ihm hörbar um den stets von neuem faszinierenden Kontrast zwischen der sinnlich chromatischen Venusberg-Musik und der überirdischen Schönheit des Pilgerchorals, der sich als „roter Faden“ durch den ganzen Abend zieht. Der Zürcher Opernchor steht der Qualität des Orchesters in nichts nach, der „Einzug der Gäste“ und der berühmte „Pilgerchor“ werden zu einer Offenbarung an stimmlicher Kraft und glänzender Schönheit.
Bei den Protagonisten jedoch ist es eigenartigerweise nicht der Titelheld, der am meisten überzeugen und die größten Ovationen einheimsen kann. Der britische Tenor Robert Dean Smith steigert sich als Tannhäuser zwar im Laufe des Abends, auch seine „Rom-Erzählung“ gelingt ihm am Ende dieser „Tour de Force“ noch eindrucksvoll, trotzdem ist er auch von seiner Erscheinung her nicht gerade das Idealbild des tapferen Ritters und Minnesängers. Dafür greift der deutsche Bariton Michael Volle wörtlich „ins Volle“, verströmt als Wolfram von Eschenbach wunderbaren Wohlklang und Präsenz, ebenso wie die schwedische Sopranistin Nina Stemme, die als Elisabeth ihre „Hallenarie“ hochdramatisch und mit atemberaubenden Spitzentönen anlegt. Im weiteren Personal fallen der Bass Alfred Muff als verlässlicher Landgraf und der bulgarische Mezzo Vesselina Kasarowa auf, die zwar äußerlich alles andere als eine verführerische Venus ist, deren gekonnte gesangliche Leistung mit den zumindest stimmlich verlockenden gutturalen Tönen man aber dankbar akzeptiert.
Die letzte Vorstellung dieser Produktion in der laufenden Spielzeit ist diesen Samstag, 26. Februar, 18.00 Uhr, im Opernhaus Zürich. Karten unter ticketbestellung@opernhaus.ch oder unter Telefon 0041 / 44 268 66 66.