"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Silvia Thurner · 26. Sep 2010 · Musik

„Die Ohren sehen wie Augen hören“ - Christian Muthspiel faszinierte mit seiner musikalischen Vielseitigkeit beim proFILE Jazz Festival am Dornbirner Spielboden

Christian Muthspiel mit drei unterschiedlichen Performances im Rahmen des proFILE Jazz Festival am Dornbirner Spielboden – das war ein außergewöhnliches Erlebnis. Besonders faszinierend war seine Soloperformance „für und mit ernst“. Ganz im Text von Ernst Jandl aufgehoben, setzte Muthspiel die Gedichte in Szene, kommentierte sie musikalisch und lud die Zuhörenden zu einem intensiven sprachlich-musikalischen Dialog ein. Zur künstlerischen Denkwelt von Christian Muthspiel gehört unter anderem die Renaissancemusik ebenso wie das Jodeln. Diesen beiden Vorlieben waren zwei weitere Konzerte an diesem langen Musikabend gewidmet.

 

Christian Muthspiel ist einer der vielseitigsten Musiker Österreichs. Stilsicher bewegt er sich in den unterschiedlichen Genres der gegenwärtigen Musik, egal ob Jazz oder Neue Musik, Improvisation, als Komponist, Posaunist, Pianist oder am Synthesizer.

Muthspiel trifft Jandl

In seiner Soloperformance „für und mit ernst“ entwickelte Christian Muthspiel anhand der von Ernst Jandl so wunderbar rezitierten Gedichte ein spannendes Geflecht aus sprühenden musikalischen Gedanken. Gleich zu Beginn in „Im Anfang war das Wort“ wurden die Trennlinien zwischen den Textrezitationen und der Musik aufgehoben, so dass sich die Vokalklänge des Dichters mit den Klängen, die ihnen Christian Muthspiel zur Seite stellte, überhöht wurden. Meisterhaft nutzte der Musiker für seine Performance die Elektronik sowie den Synthesizer. Er überlagerte live eingespielte Sequenzen und transformierte sie. Darüber hinaus rhythmisierte er die Loops, indem er Pedale und Schalter betätigte. Bei soviel Technikeinsatz ist es umso bemerkenswerter, dass die ständig neu kreierten Sounds nie Selbstzweck waren, sondern einem innermusikalischen und textlichen Sinnzusammenhang folgten.

Die Vögel

Zu Jandls berühmtem Gedicht „die amsel“ führte Christian Muthspiel ein amüsantes Spiel auf, das einesteils den bitterbösen Unterton Jandls einfing, andernteils überaus poesievoll in einem „Vogelkonzert“ mündete.  Jandl war ein scharfzüngiger Sprachkünstler, der seine Texte sehr musikalisch rezitierte. Darauf wies Muthspiel mit seiner Posaune und dem liebevoll dazu gespielten „das muss ein schlauer Vogel sein, dem niemals fiel das Landen ein...“ hin. Viel für das Auge und für die Ohren gab das anschließende „Vogelkonzert“ her, das Muthspiel auf vielerlei Flöten und Klangerzeugern spielte. Die dabei unauffällig eingespielten Samples ergaben eine Verdichtung, die ein köstlich stilisiertes Waldkonzert imitierte.

Gewehrsalven und Rap

Viele einzelne musikalische Details sorgten für beste Unterhaltung, beeindruckend waren die stets durchdachten Anspielungen, unter anderem die souverän gespielten Posaunensounds zum kriegskritischen Text. Gewehrsalven donnerten durch den Raum und verstärkten eindringlich die Wirkung der Textpassage „bald fällt ein Knochensack ins Massengrab“. Von der eigenen Spiellust durchdrungen, gipfelte Christian Muthspiels Performance in einem mitreißenden Rap. Jubelnd bedankte sich das Publikum für diese überaus geistreiche Performance.

Erinnerung an die Renaissance und an die Kindheit

Im zweiten Set spielte Christian Muthspiel mit seinem langjährigen Duopartner, dem Vibraphonisten Franck Tortiller. Die ruhigeren Töne ergänzten die aufwühlende Jandl-Performance ideal und sorgten für Beruhigung im Kopf. Diese währte jedoch nicht sehr lange, denn die beiden Musiker spielten spannende musikalische Darbietungen, die auf John Dowlands berühmtem Werk „Lachrimae, or seaven teares“ beruhten. In seinen sympathischen Moderationen erzählte Christian Muthspiel, dass er schon als Kind Johannes Ockeghem und John Dowland am Familientisch gehört hat und die Musik der Renaissance ein wesentlicher Teil seiner musikalischen Sozialisation gewesen ist. Darauf besann sich der Komponist in seinen Kompositionen „Dancing Dowlands“. Gut nachvollziehbar blieb der Kontext des musikalischen Ausgangsmaterials stets präsent. Die beiden Musiker zelebrierten einige Passagen und transformierten die Musik in kunstvolle Improvisationen. Das Spiel mit den typischen harmonischen Färbungen der Renaissancemusik kam besonders schön zur Geltung.

Werner Pirchner die Reverenz erwiesen

Die Erinnerung an das legendäre „JazzZwio“ mit Werner Pirchner und Harry Pepl ließ das Duo Muthspiel/Tortiller wieder aufleben. Deutlich wurde dabei auch die musikalische Seelenverwandtschaft zwischen Pirchner und Christian Muthspiel. Gut nachvollziehbare musikalische Dialoge in Pirchners Stück „Homesick“ zwischen Posaune und Vibraphon ermöglichten Einblicke in die mitteilsame Musizierart der Beiden.

Jodler, Naturklänge und Volksmusik, die das Herz begehrt

Christian Muthspiels „Yodel Group“ war zum Abschluss zu hören. Hier trumpften die Bandmusiker Gerald Preinfalk (Sax, Klarinette), Matthieu Michel (Flügelhorn Trompete), Franck Tortiller (Vibraphon), Jerome Harris (E-Bass) und
 Bobby Previte (Drums) gehörig auf. Anknüpfend an die klare Gedankenwelt der Renaissancemusik erweckte auch die durchsichtige Anlage der Jodler Hörfelder, die für Entspannung sorgten. Von hier ausgehend ließen sich die Musiker virtuos in unterschiedliche musikalische Entwicklungsströme treiben, stets darauf bedacht, immer wieder den Ursprungsgedanken des zugrunde gelegten Jodlers anzuspielen. Die Naturtöne, auf denen die Jodler aufgebaut sind, ermöglichten den Blechbläsern sowie dem Klarinettisten Spieltechniken, die das Publikum in Staunen versetzten. Über Pedaltönen ließen sie die Obertöne in Spaltklängen tanzen. So nahmen die Posaune und die Bassklarinette die Klanggestalten eines Didgeridoos an. Überraschende Übergänge und herauskristallisierte Passagen, die in anregenden Improvisationen mündeten, sowie witzige Übersteigerungen ergaben ein unterhaltsames Spektrum sowie ein abgerundetes Ganzes.
Am Ende eines langen Konzertabends bleibt nur noch der Wunsch offen, Christian Muthspiels Musik auch im Rahmen eines Sinfoniekonzerts zu hören.