Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Füssl · 09. Okt 2014 · Musik

“Diese Musik zum zählt zum Schwierigsten, was ich jemals geschrieben oder arrangiert habe” – Interview mit Peter Madsen über sein Elvis Presley-Projekt

Manche kamen schon letztes Jahr im Dezember am Dornbirner Spielboden beim an die Premiere des CIA Seven on Six Guitar Ensembles anschließenden Konzert des CIA Trios in den Genuss der Elvis Presley-Bearbeitungen von Peter Madsen. Nun sind diese unter dem Titel “Elvis never left the building” auf dem amerikanischen Label Playscape Recordings des höchst kreativen und unglaublich fingerfertigen Pianisten erschienen. Peter Füßl führte mit Peter Madsen das folgende Gespräch über Elvis im Allgemeinen und zu seinen äußerst anspruchsvollen Rekompositionen der wichtigsten Elvis-Hits im Speziellen.

“Als Kind wollte ich Elvis Presley sein”


Du bist Jahrgang 1955, damals wechselte Elvis gerade von SUN-Records zum RCA-Label, was ein Jahr später seinen großen Durchbruch brachte. Mit Songs wie “Heartbreak Hotel”, “Don’t be Cruel” oder “Hound Dog” wurde er zur Leitfigur der Rock’n’Roll-Bewegung. Welches sind Deine frühesten Erinnerungen an Elvis, und warst Du als Kind von den Filmen oder von der Musik mehr beeindruckt?
Als Kind wollte ich Elvis Presley sein. Meine ersten Erinnerungen stammen aus der Mitte der 60-er Jahre, weil am Samstagnachmittag sehr oft Elvis-Filme im Fernsehen liefen. Ich sah Filme wie “Jailhouse Rock”, “Love Me Tender”, “King Creole”, “Blue Hawaii” und viele andere. Ich denke, ich wollte Elvis sein, weil ich mich in viele Charaktere, die er in seinen Filmen spielte, wirklich hineinversetzen konnte. Für mich waren diese Charaktere Elvis! Er spielte immer diese stillen, aber äußerst leidenschaftlichen Typen, die immer sehr davon überzeugt waren, das Richtige zu tun. Und seine Charaktere verfügten oft über dieses versteckte Talent, wirklich gut singen zu können. Und ich liebte seine Art zu singen wirklich sehr! Welch eine Stimme! Besonders in seiner Frühzeit. Und natürlich mochte ich es auch, dass er am Ende des Films immer die schönsten Mädchen bekam. Als Kind hatte ich keine Ahnung, dass er “The King of Rock’n’Roll” war. Ich mochte ihn in seinen Filmen und ich mochte die Lieder, die dort vorkamen.

Der Jazz überstrahlte sehr schnell die Musik von Elvis

War Elvis für Dich als Teenager in den späten 60er, frühen 70er Jahren von Bedeutung? Ich glaube nämlich, dass damals bereits Pop, Rock und Singersongwriting mehr Einfluss  auf die jüngere Generation hatten. Oder warst Du damals bereits am Jazz interessiert?
Ich sah mir als Teenager noch Elvis-Filme an, aber mir war wirklich nicht bewusst, wie wichtig er für die Welt der Unterhaltungsmusik war, vor allem weil der Jazz zu einem großen Einfluss in meinem Leben wurde. Ich begann 1968 Jazz zu spielen und bin in seiner Kraft, Schönheit und Tiefe völlig aufgegangen. In den frühen 70-ern begann ich, Alben von John Coltrane, Oscar Peterson, Ahmad Jamal und Miles Davis zu kaufen. Ich genoss die Elvis-Filme immer noch, aber ich kaufte nie eines seiner Alben. Der Jazz überstrahlte sehr schnell die Musik von Elvis in meinem Leben.

Elvis brachte die Musik der Schwarzen auch zu den Weißen und repräsentierte einen neuen Lebensstil


Elvis war ein Massenphänomen und in kommerzieller Hinsicht der erfolgreichste Künstler aller Zeiten. Bis heute wurden mehr als eine Milliarde Tonträger verkauft, er wurde als einziger Künstler in fünf verschiedene “Halls of Fame” aufgenommen – nämlich in jene für Rock’n’Roll, Rockabilly, Country, Blues und Gospel. Elvis brachte mehr als 700 Songs heraus, von denen rund 200 in verschiedenen Charts-Kategorien landeten. Und er spielte in mehr als dreißig Filmen. Was, glaubst Du, sind die Gründe für diesen phänomenalen Erfolg?
Ich glaube, die Kraft des Rhythm’n’Blues, die in den Schwarzen Communities in den 40iger Jahren zu wirken begann, konnte nicht nur innerhalb dieser Grenzen bleiben. Es war so eine unglaubliche Musik! Da der Rassismus in jenen Jahren in den USA noch sehr stark wirkte, war es für frühe schwarze R&B-Künstler sehr schwierig, einen direkten Weg in die Communities der Weißen zu finden. Sie brauchten einen Elvis Presley, der in einer Schwarzen Community aufgewachsen und völlig von Schwarzer Musik beeinflusst war, was er in Interviews auch stets zugegeben hat, einen, der diese Schwarze Musik im Stil eines Schwarzen singen konnte, um sie zu einem weißen Publikum zu bringen. Elvis machte es für weiße Menschen gefahrlos, schwarze Musik hören zu können! Und viele junge Menschen erachteten damals das Hören von Elvis Presley-Songs als radikales Statement gegenüber ihren Eltern, dass die jüngere Generation andere Absichten verfolgte als jene, so zu werden wie ihre puritanischen 50er-Jahre-Eltern und deren Gesellschaft. Elvis wurde ihr King! Er repräsentierte einen neuen Lebensstil, frei und locker und in sexueller Hinsicht offen. Aber in seinen Filmen gab es ebenso diesen Respekt gegenüber den Älteren und seiner Familie, und ich glaube, das berührte auch viele ältere Leute. So wurde er nicht nur für die Jungen zum Idol! Aber auch seine unglaubliche Bühnenpräsenz, die einen wirklich fesselte, machte ihn so erfolgreich. Er war ein großartiger Performer. Und er scheute sich nicht, verschiedenste Arten von Songs zu singen. Er hatte für jeden etwas!

Rekompositionen - alles verändert, außer den Noten der Melodien

Elvis hat nichts selber komponiert, aber man hält alle Songs für Elvis-Songs, weil er allen seinen ganz speziellen Stempel aufzudrücken vermochte. Ist es nicht eine ganz besondere Herausforderung, mit Songs zu arbeiten, die Millionen von Menschen gut kennen. Und als ob Du den Teufel bei den Hörnern packen wolltest, hast Du auch noch seine wirklich klassischen Hits ausgesucht. Obwohl mich natürlich schon interessieren würde, wie lange Elvis-Fans brauchen, um ihre Lieblingssongs in Deiner Version zu erkennen.
Ja, da hast Du recht, er machte wirklich jeden Song zu seinem eigenen, obwohl er keinen selber schrieb. Dadurch, dass ich viele seiner größten Hits für dieses Projekt ausgesucht habe, wurde ich wirklich mit voller Wucht mit der musikalische Herausforderung konfrontiert, diese stilistisch starken Elvis-Songs in einen Jazz-Stil umzuwandeln, der zu mir und dem CIA Trio passt. Vielleicht ist ja das ganze Projekt eine Art von “Devil in Disguise”, ein “Teufel in Verkleidung”, wie einer seiner Songs heißt, den wir aufgenommen haben. Ich denke, Elvis-Fans würden sich schwer tun, einige ihrer Lieblingssongs zu erkennen, weil ich so ziemlich jeden Aspekt völlig verändert habe – von den Taktarten über Tempi und Harmonien zu den Rhythmen und den stilistischen Ausrichtungen. Und noch viel mehr. Nur die Noten der Melodie rührte ich nicht an. Und natürlich machen wir instrumentale Musik. Es gibt keine Texte, auf die sich die Leute beziehen könnten. Wenn Du wirklich genau hinhörst, sind alle Melodien noch da! Aber ich habe dieses Projekt natürlich nicht gemacht, um den Elvis-Fans zu gefallen. Ich tat es wegen meiner Liebe zu und meinem Respekt für Elvis! Aber ich muss diese Liebe und den Respekt auf meine Art vermitteln. Ich bin ein improvisierender Künstler und muss mich in meiner Sprache ausdrücken. Manche werden vielleicht nicht ihren Lieblingssong heraushören, aber sie werden diese Liebe und diesen Respekt ganz klar spüren.
Du hast die Songs reharmonisiert, die Metren gewechselt und viel Energie darauf verwendet, sie zu dekonstruieren und zu rekonstruieren. Es geht um weit mehr als um neue Arrangements, für mich sind das eher Rekompositionen, die sich auf gewisse Erkennungsmerkmale oder hervorstechende Eigenschaften eines Songs konzentrieren. Wie denkst Du darüber? Wo hört der klassische Elvis auf und wo fängt der Peter Madsen an?
Ja, Rekomponieren ist ein guter Begriff! Um überhaupt fähig zu sein, diese allgemein bekannten Musikstücke so weitgehend zu dekonstruieren und zu rekonstruieren, braucht es viele Jahre an Erfahrung und Bewusstseinsbildung und Selbstverständnis auf vielen Ebenen, um schließlich etwas hervorzubringen, das mein Eigenes ist und trotzdem immer auch noch Teil eines anderen. Ich spiele nun schon mehr als 50 Jahre lang Piano, und all diese Zeit harter Arbeit – und ich arbeite heute noch hart daran – gibt mir das Wissen und das Selbstvertrauen, dass ich mich beim Erschaffen dieser sehr speziellen persönlichen Musik gut fühlen kann. Für mich sind die ausgewählten Elvis-Songs wie “Heartbreak Hotel”, “Don’t Be Cruel”, “Love Me Tender” oder “Hound Dog” usw. melodische Inspirationen, der ganze Rest ist Meines und resultiert daraus, was ich in all den Jahren des Studierens und Experimentierens gelernt habe.
Warum glaubst Du, sind so wenige dieser Songs auch von anderen Jazzmusikern aufgenommen worden?
Vielleicht weil die schlauer sind als ich? Oder vielleicht können viele Jazzmusiker einfach Jazz und Elvis nicht zusammenbringen. Oder vielleicht erscheinen die Songs stilistisch so stark von Elvis geprägt, dass es schwierig ist, die Kraft seiner Interpretationen hinter sich zu lassen.

“Wir sind wirklich ein großartiges Pianotrio geworden!”

Obwohl es sehr vergnüglich ist, sich dieses Album anzuhören, würde ich behaupten, dass “Elvis by Madsen” unvergleichlich schwieriger zu spielen ist als die Originale. Herwig Hammerl, am Kontrabass und Alfred Vogel an Drums und Perkussion erfüllen ihre Jobs auf exzellente Weise. Wie habt Ihr im Trio an diesen Songs gearbeitet?
Ich möchte ganz klar sagen, dass diese Musik zum Schwierigsten zählt, was ich jemals geschrieben oder arrangiert habe. Das ist hundertmal schwieriger und herausfordernder als die Originale. Ich denke, die unzähligen Stunden, die Herwig, Alfred und ich damit verbrachten, diese sehr schwierigen Stücke das ganze letzte Jahr über allwöchentlich zu proben, waren notwendig, um diese sehr spezielle und einzigartige Musik zum Erblühen zu bringen. Ich möchte mich bei Alfred und Herwig sehr für die Zeit und ihr Engagement für dieses Projekt bedanken! Ich bin glücklich, zwei großartige kreative musikalische Partner zu haben, die sich voll dafür einsetzen, meine musikalischen Visionen zu realisieren und die ständig weitermachen und an jener Musik wachsen, die ich ihnen zum Erarbeiten anbiete. Wir sind wirklich ein großartiges Pianotrio geworden!

Vom Schwarzwald nach New York

Ihr habt im berühmten MPS Studio in Villingen aufgenommen, das 1968 als erstes Studio Deutschlands, das ausschließlich Jazz produziert, gegründet wurde. Weshalb hast Du dieses Studio gewählt und welche Erfahrungen hast Du dort gemacht?
Genau genommen ist das unsere zweite CD, die wir im historischen MPS Studio gemacht haben, da unsere erste Trio-CD “Transformation” ebenfalls dort aufgenommen wurde. Welch ein großartiges Studio mit einem herrlichen Bösendorfer Imperial Konzertflügel, der seit 50 Jahren auf exakt demselben Fleck steht. Sie sagten mir, ich soll nicht einmal daran denken, das Piano zu verrücken, da dies jene Position sei, die Oscar Peterson, einer meiner frühen Helden, anfangs der 60-er Jahre ausgewählt habe. Für mich wurde ein Traum wahr, als ich auf demselben Piano spielte, mit dem schon Cecil Taylor, Sun Ra, Hampton Hawes, Earl Hines, Hank Jones, Oscar Peterson und viele andere aufgenommen haben. Die Macht der  Geschichte berührte mich tief! Ins Studio hineinzugehen, war wie in der Zeit zurückzugehen, da alles noch genau so aussieht wie vor Jahrzehnten – dieselben Möbel, dasselbe Piano, dieselben Mikrophone. Ein wunderbares Studio mit einem großartigen Sound!
Geht Ihr mit dem Elvis-Projekt weiter auf Tour?
Wir haben das Elvis-Material bereits in Konzerten aufgeführt und bislang waren die Publikumsreaktionen unglaublich. Die Leute scheinen Elvis wirklich zu lieben und auch das, was wir aus seiner Musik gemacht haben. Natürlich suchen wir weiterhin Auftrittsorte in ganz Europa. Da “Elvis Never Left the Building” auf meinem langjährigen Label Playscape Recordings am 14. Oktober auch in den USA veröffentlicht wird, möchten wir auch eine USA-Tournee organisieren, um unseren neuen wilden und wunderbaren Elvis auch dem amerikanischen Publikum vorzustellen.