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Ingrid Bertel · 11. Apr 2012 · Literatur

Wo die wilden Kerle wohnen – Harald Gfader hat „Das verlustige Lektorat“ neu aufgelegt

Zeichnungen aus den Jahren 1999 bis 2008 hatte der Maler, Zeichner und Soundkünstler Harald Gfader vor vier Jahren in einem bibliophilen Band unter dem Titel „Das verlustige Lektorat“ veröffentlicht. Das Buch war schnell vergriffen, schon weil den ersten 100 Stück der 400 Exemplare eine Originalzeichnung beigelegt war. Jetzt folgt der zweite Streich: eine Zusammenstellung dieser im ersten Buch beigelegten Originalzeichnungen erscheint nun unter dem Titel „Das verlorene Lektorat“, weil diese sonst „verloren“ wären.

Assoziative Schleifen

„Lektorat“ – schon die beiden Titel sprechen etwas an, das es kaum mehr gibt: Die genaue und im Sinne des Autors mitdenkende Annäherung an Bücher scheint verloren, und unter diesem Verlust leiden nicht nur Autoren. Leser stolpern über Tippfehler, syntaktische Ungetüme, zäh fließende Passagen und so weiter. Schon seltsam, dass ausgezeichnet einem Maler die Aufgabe zufällt, den Missstand anzuklagen. Aber es ist ja ein Maler, der auch das, was täglich so geredet wird, genauestens unter die Lupe nimmt. „Zuerst Zeichnung, dann Text! In dieser Reihenfolge“, betont Harald Gfader, entstünden seine künstlerischen Tagebücher. Häufigstes Motiv der Zeichnungen ist der Kopf. Was in ihm vorgeht, wird auch in assoziativen Schleifen formuliert, handschriftlich oder auf einer Olympus-Schreibmaschine aus den 1960er-Jahren, wie Karlheinz Pichler verrät. Abgesehen von den an Art Brut gemahnenden Texten fügt diese (verlorene) Typographie den Zeichnungen auch einen ästhetischen Mehrwert hinzu.

„Provinzkünstler niederen Standes“

Harald Gfader nennt sich „Provinzkünstler niederen Standes“, ist bekennender Wollmützenträger und zeichnet gern mal gekrönte Häupter. Sie erinnern ein bisschen an die anarchistischen Prinzen von Maurice Sendak, etwa den Max aus dem Kinderbuch „Wo die wilden Kerle wohnen“. Und in Band II, dem „verlorenen Lektorat“ stellen sie sich in nicht geringer Zahl vor, zumeist ironisch kommentierend:

„die macht die ich kenn ist zu zu
ordnen
auf das
was ich ke
nn…“

Dabei bleibt der Kopf als solcher schutzlos, da hilft keine Wollmütze und auch keine Krone. Der Mund ist verzogen, aus gekritzelten Augen fließen endlos lange Tränen. „Es wird bald regnen“, hat Gfader auf das Blatt geschrieben, „nicht nur wegen den wolken .. auch anderes war zu bemerken“. Wie passt diese lakonische Knappheit zum schmerzlich verzogenen Mund? Wie zugenäht wirkt der. Denn was Gfader formuliert, schrammt am Verstummen entlang. Manfred Lang meint, er zeichne „zweideutige Headlines“ – aber die entstehen wohl nach langem Brüten, das sich in einer spontanen Geste doch äußern kann. Dabei entsteht eine oft verblüffende Einheit von Text und Bild. Sie speist sich aus der Beobachtung dessen, was täglich geschieht und den Zeichner wütend, melancholisch oder fröhlich macht. Immer wieder taucht ein märchenhaftes Zweiglein auf. 2001 verdeutlicht ein schief gelegter rot-grüner Kopf Gfaders Haltung zur schwarz-blauen Regierung – aber Politik spielt nur ganz am Rand eine Rolle. Eher geht es um Thesen zum Kunstbetrieb oder um ganz allgemeine gesellschaftliche Beobachtungen. Und in einer Montage wie „Featuring 10 new songs“ blitzt Gfaders Liebe zur Musik auf.

Exprès

In „Das verlorene Lektorat“ taucht auf den Zeichnungen öfters der Aufkleber „Durch Eilboten. Exprès“ auf. Sicher, Gfader ist ein ungeduldiger Mensch, immer auf dem Sprung, schnell enttäuscht. Einem seiner Käufer schickt er „durch Eilboten“ einen finster dreinblickenden Menschen mit Hörnern. Über seinem Kopf die Zeilen „Die neuen lehrer..wie man alles erreicht…dafür nie ankommt..“ Ein Rätselbild, das den Kopf des Betrachters zwingt, eigene Bilder zu schaffen, eigene Überlegungen anzustellen. Diese produktive Kraft haben viele der Zeichnungen. „Freunde des Orest“, spricht Gfader aus einem Kopf mit übergroßen Ohren: „die dimension der träume hat sich erweitert“. Ein Trost ist das nicht. Aber eine Ermutigung.

 

Harald Gfader, Das verlorene Lektorat, 106 Seiten, W. Neugebauer Verlag, Graz und Feldkirch, ISBN 978-3-85376-247-9, EUR 25,00