Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Anita Grüneis · 21. Nov 2018 · Literatur

Weltarchitektur – nun auch mit Liechtenstein

92 Architekturführer aus aller Welt hat DOM publishers herausgegeben, neu ist darunter nun auch einer für Liechtenstein zu finden. Die markanten Architekturführer – alle im Format von 13,5 mal 24,5 Zentimetern – bieten weit mehr als nur Baukunst, sie sind Expeditionsführer für das Unbekannte, erklären Geschichte auf eine neue Art und eröffnen Perspektiven in eine fremde Welt. Der Führer für Liechtenstein umfasst 328 Seiten und 500 Abbildungen. Federführend war der Architekt und Autor Nils Estrich. Er wurde 1965 in Hildesheim geboren und hat dort, wie auch in Padang, Indonesien, Architektur studiert. Wanderjahre in Asien und Europa führten ihn schließlich nach Liechtenstein, wo er mit seiner Familie lebt.

Das Buch vereint in sich Geschichte, Tradition, neueste Bautechnik, Architektur und Kunst wie auch Rad- und Wandertouren. Nicht nur das Schmökern macht Spaß, auch das Nachschlagen oder das Lesen, da die insgesamt 22 Autorinnen und Autoren sehr unterschiedlich und mitunter auch humorvoll schreiben. „Dieses Buch soll die Augen für die Besonderheiten nicht nur architektonischer Art öffnen, sondern auch auf Hintergründe, Geschichtliches, die wunderbare Natur und den Alltag zu sprechen kommen, sowohl für Gäste als auch für Liechtensteiner, die im eigenen Land auf Entdeckungstour gehen,“ beschreibt Autor und Projektleiter Nils Estrich seine Zielsetzung für das Buch. Dabei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit gestellt, zu vielfältig ist das Feld der Bauten der letzten zwanzig Jahre, auf denen der Schwerpunkt liegt. 

The Big Six

Für „Schnäppchen“-LeserInnen bietet sich der Abschnitt „Sechs Bauten, die man sehen muss“ an. Da gibt es das ehemalige Centrum für Kunst neu zu entdecken, dazu auch die Geschichte seines exilkubanischen Architekten Ricardo Porro und des Bauherrn und Kunstsammlers Robert Altmann. Beschrieben wird das Haus Dr. Zickert von Architekt Ernst Sommerlad aus dem Jahr 1933, wobei unter anderem die Bedeutung des deutschen Architekten hervorgehoben wird, der als erster einen urbanen Baustil nach Liechtenstein brachte. Wie sich diese Ideen auswirkten, zeigt beispielsweise das neue „Marxer-Haus“ aus dem Jahr 2017, konzipiert von Anton Falkeis und Cornelia Falkeis-Senn. Es ist ein Gebäude, das mehr Energie produziert als es konsumiert, das als „Versorgungsknoten in einem Gebäudeverbund“ gedacht wurde, wobei zur Energieversorgung ausschließlich erneuerbare Energien eingesetzt werden. Ein Bauwerk, das mit seinen zukunftsweisenden Technologien Aufsehen erregt. 

Die Museen und die Burgen

Zu den sechs wichtigsten Bauten zählen auch die beiden Würfel im Zentrum von Vaduz – das Kunstmuseum Vaduz mit der Hilti Art Foundation, über die Bellina Beerbaum und Nils Estrich schreiben: „Die Spannung zwischen den beiden Würfeln – durch Volumen, Fassadenfarbe und Versatz erzeugt – stellt mit diesen genau gewählten Formensprachen die Harmonie in der Gegenseitigkeit dar, wie bei weiblich und männlich oder Yin und Yang.“ Vertreten sind zudem die beiden wichtigsten Burgen – Schloss Vaduz und Burg Gutenberg, die über 500 Jahre unter den Habsburgern in österreichischem Besitz war und dann vom Neffen des berühmten Komponisten Josef Gabriel Rheinberger neu aufgebaut wurde. Über Schloss Vaduz mit all seinen Besitzern, den Freiherren von Brandis, den Grafen von Sulz und Hohenems bis hin zu den Fürsten von Liechtenstein ist so einiges Neues zu erfahren, denn jeder Besitzer hat architektonisch seine Spuren hinterlassen. 

Die Vielfalt der Stile

Solche Spuren sind aber auch bei den Architekten zu finden. Viele von ihnen haben ihre Ausbildung im Ausland absolviert und dort Erfahrungen gesammelt, meistens in der Schweiz oder in Österreich. „Die in Vaduz ansässige Universität mit einer Architekturfakultät darf als regional geprägt mit Blick über die Grenzen bezeichnet werden“, schreibt Nils Estrich in seinem Vorwort, und weiter: „Liechtenstein ist schlicht und einfach zu klein, um autark auch in Bezug auf seine Baukultur zu sein (...) eine eigenständige Liechtensteiner Architektur kann man nicht herauskristallisieren.“ Er verhehlt in seinem Artikel nicht, dass die Vielfalt auch Wermutstropfen hinterlässt, da viele ihr privates Schloss bauen wollen und sich dann Stilkunden nebeneinander wiederfinden, die Harmonie mit Misstönen erzeugt.  

Holzbaukörper und Grenzen

In diesem Architekturführer sind auch öffentliche Bauten beschrieben, wie der Grenzübergang Ruggell-Nofels, zu dem es heißt: „Auf zwei kubischen Holzbaukörpern liegt elegant ein überkragendes großflächiges Dach, das wie ein Flügel in Erscheinung tritt, wodurch ein voluminöses Schutzdach ins Auge fällt, ohne schwer zu wirken.“ Ein weiterer Abschnitt beleuchtet Gebäude in der Bergregion, wie beispielsweise das Heizwerk Malbun: „Um einen Bezug zu schaffen, was sich in seinem Innern abspielt, wurde eine Holzfassade aus sägerohen, vertikal verbauten Fichtenbrettern gewählt (...). Ein zusätzlicher Einblick in das Geschehen im Heizwerk bietet die große Verglasung zum mehrstöckigen Heizraum. Besonders in der Nacht erkennt man das Flackern der Hackschnitzelverbrennungsanlage, was dem Bau einen einzigartigen Charakter verleiht.“ 
Alle beschriebenen Gebäude sind geografisch sortiert und durchgehend nummeriert. Entsprechendes Kartenmaterial und die Auflistung der jeweiligen Architekten im Registeranhang erleichtern das Nachschlagen.

Nils Estrich, Architekturführer Liechtenstein, Verlag DOM publishers, 328 Seiten, 500 Abbildungen, Softcover, ISBN 978-3-86922-510-4, € 38