Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Markus Barnay · 10. Nov 2018 · Literatur

Ulrike Längles „Schoppernauer Weltgeschichte“: Rüscherianer gegen Felderianer – das ist Brutalität!

„Der versteinerte Felder“ hieß ein Beitrag im Katalog der erfolgreichen Ausstellung „Ich, Felder. Dichter und Rebell“, die 2014 im vorarlberg museum zu sehen war. Jetzt legte die Autorin des Beitrags, Ulrike Längle, nach und präsentierte – pünktlich zum Abschied aus ihrer 34-jährigen Tätigkeit im Franz Michael Felder gewidmeten Literaturarchiv – ein Büchlein über den legendären Denkmalstreit, der die kleine Gemeinde Schoppernau nach dem Tod des Dichters und Sozialreformers Felder in zwei unversöhnliche Lager spaltete. Erzählt hat Ulrike Längle von den Vorgängen auf diversen Exkursionen immer wieder, doch jetzt kann man sie auch in allen Einzelheiten nachlesen.

„Sturmbock des Liberalismus“

Der Denkmalstreit zeigt nämlich exemplarisch, wie sich das konservativ-katholische und das liberal-aufgeklärte Lager in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekämpften, wobei bei der Schoppernauer Konfrontation ein paar besondere Aspekte mitspielten: Der Ortspfarrer, Johann Georg Rüscher, diffamierte Felder und seine sozialreformerischen Ideen nämlich nicht nur zu dessen Lebzeiten, sondern eben auch nach seinem Tod – er hielt ihn auch dann noch für den „Sturmbock des Liberalismus und des freimaurerischen Geistes im Bregenzerwald“. Auf der anderen Seite standen Felders Bewunderer, die ihn vor allem wegen seines dichterischen Werkes ehren wollten – und die in Wien, Leipzig, aber auch in Feldkirch saßen, wo Hermann Sander unterrichtete, der Herausgeber der ersten Gesamtausgabe von Felders Werk. „Landfremde“ seien das, schimpfte Rüscher nicht nur in der Pfarrchronik, sondern auch von der Kanzel.

Ein Denkmal ohne Standort

Entzündet hatte sich der Streit an der Frage, wo ein Denkmal für den im April 1869 verstorbenen Felder aufgestellt werden sollte – innerhalb oder außerhalb des Friedhofs, an der Kirchen- oder der Friedhofsmauer, an Felders Grab selbst oder an einem anderen Ort. Der Streit war noch längst nicht entschieden, als das Denkmal selbst – initiiert vom „Verein der Tiroler und Vorarlberger in Wien“ unter Leitung des Kleinwalsertalers Engelbert Kessler, ausgeführt vom Wiener Bildhauer Josef Gasser – schon in Schoppernau eingetroffen war. Vor allem im Frühjahr und Sommer 1875 eskalierte der Streit auf eine Weise, dass sich schließlich auch der Feldkircher Weihbischof, der Bezirkshauptmann und die Vertreter des Landes gezwungen sahen, einzugreifen. Auslöser war eine von Hermann Sander verfasste Biografie Felders, die im Jahresbericht des Landesmuseumsvereins erschienen war und in der auch die unrühmliche Rolle des Pfarrers Rüscher erwähnt wurde, der mit seinen Vorwürfen und Beschuldigungen einen Teil der Bevölkerung gegen Felder aufgehetzt hatte. In der Pfarrchronik kommentierte Rüscher den Beitrag: 
„Durch diese Gabe fand ich mich dann veranlaßt, aus dem Museumsverein auszutreten, dem ich als Mitglied fast 20 Jahre lang angehörte. Mit mir haben viele Priester und conservative Männer die Meinung getheilt, das Vorarlberger Museum sollte sich durch Herausgabe solch liberaler Sachen nicht für die conservative Partei unmöglich machen.“

200 Unterschriften für das Denkmal

In der Kirche verkündete der Pfarrer bald darauf voller Pathos, „er wolle lieber sterben als die Aufstellung dieses Denkmals zulassen“ – eine Äußerung, die nicht unbedingt die erwünschte Wirkung hatte. Mittlerweile war eine Mehrheit der Bevölkerung gegen Rüschers Blockadehaltung, die allerdings vom konservativen und, wie Felders Freunde und Verwandte mutmaßten, „Rüscher-hörigen“ Ortsvorsteher geteilt wurde. Sie verboten die Aufstellung des Denkmals auf dem Friedhof, was wiederum zu einer Unterschriftensammlung für die Aufstellung führte, die von 200 Schoppernauern unterzeichnet wurde. 
Entschieden wurde der Streit letztlich durch die Zivilcourage der Felder-Anhänger: „Am 18. August, als der Pfarrer wegen einer Primiz verreist und Gemeindevorsteher und Kirchenpfleger ebenfalls abwesend waren, stellten vierundvierzig Männer, neunzehn davon aus dem Nachbardorf Au, das Denkmal auf dem Friedhof auf, und zwar nicht an der südöstlichen, sondern an der nordöstlichen Friedhofsmauer, in die sie eine Nische mauerten, in der das Denkmal so plaziert wurde, dass es vom Dorf aus gut sichtbar war.“

BH unterstützt „Felderianer“

Natürlich hatte die Aktion ein Nachspiel: Der Gemeindeausschuss verlangte die Entfernung, wenn nicht wenigstens der Lorbeerkranz um das auf dem Denkmal angebrachte Porträt Felders abgenommen würde, und schließlich wurden die Behörden in Bregenz und Innsbruck eingeschaltet – die schließlich zugunsten der „Felderianer“ entschieden. Ein Beamter der Bezirkshauptmannschaft Bregenz namens Scherer beschied nicht nur die Gemeindevorstehung, das Denkmal gefälligst in Ruhe zu lassen, sondern rechnete gleich auch noch mit Pfarrer Rüscher ab: „Pfarrer Rüscher, bekanntlich ein fanatischer, agitatorischer Geistlicher hat es durch seine Agitation schon bei den letzten Gemeindewahlen dahin gebracht, daß der langjährige sehr anständige und gemäßigte liberal aber vernünftig denkende Altvorsteher Anselm Albrecht nicht mehr gewählt und statt seiner ein Mann gewählt wurde, der nicht die mindeste Befähigung zum Vorsteher hat. Der zu allem was er thut, den Pfarrer braucht, daher vollkommen unselbständig nur eine Marionette des Pfarrers ist.“ 
Franz Michael Felders Schwager Kaspar Moosbrugger kommentierte den Ausgang des Denkmalstreits nüchtern: „Wir können uns demnach ... als sigenden Teil betrachten, haben aber deßhalb keinen Grund laut zu krähen. Der Verlauf der Angelegenheit hat viel Deprimirendes u. wirft ein schlimmes Licht auf den Kulturzustand unseres Landes.“

Nachspiel inner- und außerhalb der Kirche

In Schoppernau selbst setzten sich die Felder-Anhänger schließlich auch politisch durch: Bei der Gemeinderatswahl im Dezember 1876 erhielten die „Felderianer“ doppelt so viele Stimmen wie die „Rüscherianer“ und stellten entsprechend die Mehrheit im Gemeindeausschuss – der frühere Ortsvorsteher wurde wieder eingesetzt. 
Pfarrer Rüscher wiederum versuchte den Ausgang des Streits als Sieg seiner Fraktion zu deuten, weil das Denkmal ja schließlich „möglichst weit u. abseits von der Kirche“ aufgestellt worden sei, wo es eigentlich auch hin gehöre. Als Rüscher sich einige Jahre danach nach Egg versetzen ließ, folgte ihm mit Josef Gschließer ein weiterer Hardliner nach, der weiterhin in der Kirche gegen den inzwischen schon seit zwanzig Jahren toten Felder hetzte und 1889 in einer Predigt meinte: „Ein Mann ist aufgestanden, der in unverschämter Frechheit es wagte, seinen Seelsorger mit Wort und Schrift zu verhöhnen und sich als Richter über ihn aufzuwerfen. – Gott hat ihn abberufen aus diesem Leben, er hat ihm bei Gerichte ohne Zweifel die Frage gestellt, warum er sich so frech hinausgesetzt habe über die Warnung ‚rühre mir meinen Gesalbten nicht
an‘. – Allein sein Geist lebt fort in seinen Gesinnungsgenossen. ... Jenes Denkmal draußen auf dem Friedhofe, das eine das Gesetz verachtende Rotte gegen die geistliche Obrigkeit gesetzt hat, es überliefert den unseligen Namen des Mannes, der die Fackel des Aufruhres gegen die Seelsorger in diese Gemeinde getragen hat.“
Auch diesmal reagierten die weltlichen Behörden: Pfarrer Gschließer wurde nach einer Klage der Kinder Felders gerichtlich zu vier Wochen Arrest verurteilt; nach seinem Rekurs kam er mit einer Geldstrafe von fünfzig Gulden davon. 
Die „Schoppernauer Weltgeschichte“, wie Ulrike Längle ihr übersichtlich gestaltetes und reich illustriertes Buch in Anlehnung an ein zeitgenössisches Zitat über die Felder-Biografie nannte, war damit aber noch nicht zu Ende. Felders Werk, aber auch seine Reform- und Volksbildungsbemühungen, blieben – nicht zuletzt dank der beiden Institutionen, die das vorliegende Büchlein herausgaben – bis heute in Erinnerung.

Markus Barnay ist Redakteur des ORF Landesstudios Vorarlberg

Ulrike Längle, „Schoppernauer Weltgeschichte“. Der Streit um das Denkmal für den Schriftsteller Franz Michael Felder (1839-1869), hrsg. vom Franz-Michael-Felder Museum, dem Franz-Michael-Felder-Verein und der Gemeinde Schoppernau, Schoppernau 2018, 80 Seiten