Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 09. Nov 2018 · Film

Angelo

Angelo Soliman, als Kind aus Nigeria verschleppt, stieg zur Zeit Maria Theresias in der Wiener Gesellschaft auf. Nach seinem Tod wurde sein Körper ausgestellt. Regisseur Markus Schleinzer fokussiert vor allem auf das Außenseitertum seines Protagonisten, dabei geht etwas an Vitalität verloren.

Als sich der „Hofmohr“ Angelo gelehrig zeigt, äußert sich die Comtesse (Alba Rohrwacher) über ihn wie über ein Kunstwerk: „Ich glaube, jetzt bist du perfekt.“ Als Kind bekam er auch den Stock zu spüren. Da hieß es: „Auch Engel können fallen.“ Markus Schleinzers Historienfilm „Angelo“ skizziert das Leben des aus Nigeria verschleppten Kindes, das in Europa mehrfach „verschenkt“ wurde und schließlich in Wien in der Zeit von Maria Theresia aufwuchs. Der Film teilt das Leben Angelos in drei Akte: Als Kind, als Mann, als Greis. Auf Augenhöhe begegnet man ihm in diesem Film nie. Schleinzer versteht sich darauf, in seinen Bildkompositionen die Andersartigkeit seines Protagonisten aus Sicht der Wiener Gesellschaft herauszustreichen. Mal sieht man Angelo in glänzender Robe auf einem Podest rezitierend, dann auf einer Bühne, oder in ein purpurrotes Gewand gesteckt, wie er hinter seiner Majestät durch den Wald streift. Angelo ist exponiert, er steht vor oder hinter jemanden, er ist nie eingefügt, nie Teil seiner Umgebung. Der Blick ruht auf ihm, mal wohlwollend, mal misstrauisch, mal anerkennend, aber es ist eben nie ein Blick auf Augenhöhe. Damit streift „Angelo“ ganz nebenbei die stets virulente Frage über den Umgang mit Minderheiten, der bekanntlich immer auch etwas über die Mehrheitsgesellschaft selbst aussagt. So auch hier: Angelo Soliman, so heißt es etwa auf Wikipedia, war Kammerdiener, Prinzenerzieher und Freimaurer. Er erlangte im Wien des 18. Jahrhunderts zu Lebzeiten Berühmtheit. Nach seinem Tod präparierte man seinen Körper und stellte ihn aus.

Europa in Nacht getaucht

Im Film lässt sich das Leben Angelos demgemäß als Prozess nachvollziehen: erst die Menschwerdung, die Duldung des Unikums in der Wiener Gesellschaft, und nach seinem Tod war er wieder der Wilde, näher dem Tier als dem Menschen, den man ausstopfte. Schleinzers Film lässt sich aber auf eine historische Spekulation über die soziale Gleichstellung dieses Mannes gar nicht ein. Kaum eine Szene, in der man in Angelo einen angesehenen Mann, einen Prinzendiener oder Freimaurer erkennen würde. Kaum ein Moment, in dem er Privatheit genießt. Das ist einerseits eine Stärke dieses Films, dass er auf die Ambivalenzen, auf die Härten dieser Existenz fokussiert. Andererseits fehlt dem Film der Vorsatz, den eigenen erzählerischen Raum zu vergrößern und damit dem Protagonisten mehr Profil und Tiefe zu ermöglichen. „Angelo“ tastet sich eng an den zeitlich gesetzten Grenzen der Menschwerdung sowie dieser Gesellschaft entlang, überschreitet diese Limits aber kaum. Damit sinkt einerseits das Risiko einer Verklärung und Verharmlosung, und es hält den kritischen Blick wach. Andererseits läuft die Figur des Angelo Gefahr, noch einmal viktimisiert zu werden. Mehrere Zeitfenster wie jenes, in dem man Soliman ausgelassen mit seiner Frau in ihrem bescheidenen Haus sieht, hätten gut getan. Hier begegnet einem ein Mensch, weil er einmal nicht durch die Augen des Hofes betrachtet wird. Und auch die theoretischen Überlegungen, die oftmals in den künstlich wirkenden Szenen durchscheinen, wirken hier wie aufgehoben. Ungewöhnlich ist „Angelo“ als Historienfilm allemal. Die Zeit des Barocks, die man gerne mit prallen, ornamentalen Formen verbindet, präsentiert sich hier in unwahrscheinlich dunklen Tönen, als wäre das Licht der Aufklärung fern. Innenräume lassen zeitweise nur die Umrisse derer erkennen, die sich hier tummeln. „Angelo“ geht kein hohes Tempo und sucht nicht durch Wortgewalt die Verhältnisse zu beschreiben. Vor allem Angelo ist ein stummer Geselle, dessen Aufgabe es vor allem zu sein scheint, die Verhältnisse seiner Zeit bloßzulegen. Wenn er spricht, hat das eine Poesie. Ich bin ein Sohn Afrikas, aber ein Mann Europas“, sagt Angelo.