Vorarlberger als Akteure bei Entrechtung und Vernichtung im Nationalsozialismus
Am 9. März wird der Öffentlichkeit im vorarlberg museum ein weiterer Sammelband aus der Reihe „Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs“ präsentiert. Herausgeber Werner Bundschuh konnte für das Werk „Menschenverächter“ mit Werner Dreier, Gernot Kiermayr, Meinrad Pichler und Harald Walser weitere Mitglieder der Johann-August-Malin-Gesellschaft gewinnen
In sieben Beiträgen leisten die genannten Historiker hiermit einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Täter-Geschichte in Vorarlberg. Das Spektrum der ausschließlich männlichen Akteure reicht dabei von einem führenden Mitglied der „Reinhard-Heydrich-Stiftung“ in Prag, über den Chirurgen im Bregenzer Sanatorium Mehrerau bis hin zu zwei bereitwilligen Mittätern am Völkermord. Die Bestrafung der skizzierten Personen blieb nach 1945 in letzter Konsequenz aber meist aus.
Nicht nur „Schreibtisch-Täter“
Werner Bundschuh widmet sich zu Beginn zunächst Ferdinand Anton Ulmer. Dessen akademischer Werdegang, sowohl an der Universität Innsbruck als auch ab dem Frühjahr 1942 an der Deutschen Karls-Universität in Prag, steht dabei im Mittelpunkt. Als ordentlicher Professor und Leiter des Instituts für Volkswirtschaft der „Reinhard-Heydrich-Stiftung“ beteiligte sich dieser an „wissenschaftlichen“ Forschungen, die auf eine rassisch-homogene Erweiterung Nazideutschlands zuungunsten der tschechischen Bevölkerung abzielten. In Vorarlberg wurde der Kandidat des Verbands der Unabhängigen (VdU) von 1949 bis 1954 später dennoch Landesrat, wenn auch ohne Geschäftsbereich. Seine rasche Rehabilitierung ermöglichte ihm schließlich überdies die Rückkehr an die Universität Innsbruck. Ebenda gelang ihm im Studienjahr 1963/64 gar der Aufstieg zum Rektor. Seine Verstrickungen in den NS-Apparat wurden nach dem Krieg dabei ebenso ausgeblendet wie bei Josef Hämmerle, dem Protagonisten der zweiten, akribisch recherchierten, Abhandlung von Werner Bundschuh. Der Lustenauer, der in der Zwischenkriegszeit eine zweifelhafte Karriere im Textilhandel verfolgte, nutzte die Herrschaft der Nationalsozialisten, um seiner beruflichen Laufbahn eine für ihn vorteilhafte Wendung zu geben. Im Frühjahr 1940 zog er in das vormals polnische Łódź, das gut ein halbes Jahr nach dem deutschen Überfall in Litzmannstadt umbenannt worden war. Dort trat Hämmerle seinen Dienst in der Verwaltung des Gettos an, wo die Beschaffung der notwendigen Verbrauchsgüter zu seinen Aufgaben zählte. Dies führte jedoch aufgrund von zu wenig zugeteilten Lebensmitteln zu katastrophalen Zuständen innerhalb des Gettos, wodurch der Hungertod tausender Menschen billigend in Kauf genommen wurde. Hämmerle, der im letzten Kriegsjahr noch als Soldat einrücken musste, kehrte 1945 als „unbescholtener Wehrmachtsangehöriger“ nach Vorarlberg zurück. Die Vita eines weiteren „Schreibtisch-Täters“ steuert zudem Werner Dreier bei. Der in Bregenz aufgewachsene Harald Eberl engagierte sich bereits seit 1932 in der NSDAP und unterstützte nach dem „Anschluss“ als Rechtsanwalt unter anderem Industrielle bei der Abwicklung von Arisierungen. Politisch war er zu Beginn als Landesrat für Finanzwesen tätig und stand für einige Jahre auch der Vorarlberger Industrie- und Handelskammer als Präsident vor. Nicht zuletzt zeichnete er aber als Aufsichtsratsvorsitzender der Vorarlberger Illwerke für die Zwangsarbeit auf deren Baustellen mitverantwortlich. Eberl gelang es, in der Nachkriegszeit unterzutauchen und seine berufliche Karriere zunächst in Baden-Württemberg und dann in Bayern fortzusetzen.
Gernot Kiermayr beschäftigt sich im vorliegenden Werk mit der Rolle des Chirurgen Walter Vogl, der zwischen 1940 und 1944 als Leiter des Sanatoriums Mehrerau fast 100 Zwangssterilisierungen vorgenommen hatte. Bis auf eine zu leistende „Sühneabgabe“ wurde Vogl jedoch nicht bestraft und rasch „entnazifiziert“. Die Karriere fortsetzen konnte auch Herbert Möller, dessen Leben Kiermayr in seinem zweiten Beitrag eingehend beleuchtet. Nach Vorarlberg kam Möller erst im Mai 1941, als er die Stelle als Oberstaatsanwalt am Landgericht Feldkirch antrat. Als Ankläger war Möller bis 1945 an acht beantragten Todesurteilen beteiligt, von denen die meisten auch vollstreckt wurden. Von französischen Soldaten verhaftet sowie seines Amtes enthoben, blieb er noch bis Ende November 1946 interniert. Danach brachte er es in Wien aber erneut vom Rechts- zum Staatsanwalt und stieg 1959 sogar bis zum Richter am Oberlandesgericht auf. In die NS-Justiz war neben Möller auch Anton Plankensteiner involviert, wie Harald Walser in seiner Analyse darlegt. Im Zentrum steht die bisher in der Forschung vernachlässigte Rolle von Plankensteiner als „Laienrichter“ in Neustadt an der Weinstraße, wo er wie schon bis 1942 in Dornbirn als Kreisleiter agierte und in dieser Funktion auch am Volksgerichtshof eingesetzt wurde. Die dort gefällten Todesurteile wurden bei Plankensteiners eigenem Prozess 1948 jedoch nicht berücksichtigt, wodurch ihm ein folgenschwereres Gerichtsurteil erspart blieb.
Die Beschreibung zweier „aktiver“ Täter vereint Meinrad Pichler in seinen Ausführungen unter dem Titel „Für Führer, Volk und Vetter Himmler“. Herbert Kiene aus Bregenz stand wie Robert Barth aus Höchst in Diensten der SS. Der Einsatzgruppe D, die innerhalb von eineinhalb Jahren rund 90.000 Jüdinnen und Juden ermordete, war Kiene bis November 1942 zugeteilt. Die Mordmission von Robert Barth dauerte bis 1943 und endete in englischer Kriegsgefangenschaft, aus der er 1947 zurückkehrte. Erst 1955 traute sich hingegen Kiene, der unter falscher Identität in der Schweiz Zuflucht gefunden hatte, über die Grenze nach Vorarlberg.
Menschenverächter
Was die Biografien aller Täter eint, ist deren über weite Strecken ausgebliebene Verurteilung durch die Justiz. Die gelungene Publikation zeichnet die in umfassender Recherche zusammengetragene Quellendichte aus, die somit einen wichtigen und gleichsam bedrückenden Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen leistet. Das Werk fügt sich dementsprechend nahtlos in das breite publizistische Wirken der nunmehr seit 40 Jahren bestehenden Johann-August-Malin-Gesellschaft ein.
Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs: Menschenverächter. Vorarlberger als Akteure bei Entrechtung und Vernichtung im Nationalsozialismus,
hg. v. Werner Bundschuh, 2022, 261 Seiten, € 24,90.
Buchpräsentation:
Mi, 9.3., 19.00 Uhr, vorarlberg museum, Bregenz
Anmeldung nötig bis 8.März unter: info@vorarlbergmuseum.at