Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Ingrid Bertel · 10. Mär 2022 · Literatur

Der Hintern Gottes

Von der stillenden Gottesmutter und der büßenden Maria Magdalena bis zu den gewagten Darstellungen Gottes in der Sixtinischen Kapelle kennt christliche Kunst zahlreiche Motive, in denen blanker Busen und noch mehr gezeigt wird. In seinem Bildband „Das Heilige und das Nackte“ untersucht Markus Hofer die Verwandlungen sakraler Motive über zwei Jahrtausende hinweg

Als die Fresken der Alten Pfarrkirche in seinem Heimatort Götzis restauriert wurden, da entdeckte der Kunsthistoriker und Theologe Markus Hofer Erstaunliches. Der Maler Hans Jakob Noppis hatte nicht nur in der Hölle ein nacktes Paar dargestellt, sondern auch im Himmel: „Hier handelt es sich um die neu Auferstandenen, die in den Himmel gekommen und, theologisch konsequent gedacht, wie Gott sie schuf aus den Gräbern gestiegen sind.“
Das Bild war für Hofer wohl mit ein Grund, um über die Darstellung von Nacktheit in religiösen Motiven nachzudenken, zumal die Bibel reich ist an deftigem Sex, an Verführung, sexuellem Übergriff und besoffenen Geschichten. Aber beginnen wir mit der Vertreibung aus dem Paradies. Mit eingezogenen Schultern, die Arme eng an den Körper gelegt, mit den Händen die Scham bedeckend stehen Adam und Eva in der Marcellinus-Petrus-Katakombe. „Und sie erkannten, dass sie nackt waren“, heißt es in der Bibel. Ihrer Nacktheit schämen sie sich.
Woher kommt dieses peinigende Gefühl? Hofer arbeitet sich ab an der Kontroverse zwischen Norbert Elias und Hans Peter Duerr, hätte allerdings schon bei Freud („Totem und Tabu“) fündig werden können. Auch dieser schloss einen gleichsam natürlichen Zustand ohne Scham aus. Die Scham von Adam und Eva sei, so Hofer, „der Ausgangspunkt des Menschseins“.

Das Goldene Zeitalter

Das erzeugt den Traum von einem goldenen Zeitalter der unbekümmerten Nacktheit. Lucas Cranach zum Beispiel malt um 1530 einen prächtigen Blumengarten, ein veritables erotisches Schlaraffenland, in dem sich nackte Paare zärtlich berühren und in kleinen Gruppen tanzen – allesamt so, wie Gott sie schuf. „Solche Phantasien sind eine Art sexuelle Projektionsfläche in einer sittlich zunehmend strengen Zeit, die Vorstellung einer quasi heiligen Freizügigkeit.“

Drei Thesen formuliert Hofer in seiner Untersuchung:

  1. „Je rigider die Sexualmoral einer Gesellschaft, umso nackter werden die Heiligen in der katholischen Bilderwelt, umso mehr blitzt der Busen der büßenden Maria Magdalena unter ihren langen Haaren hervor.“ So zeige etwa das Mittelalter kaum Nacktheit, weil es dazu kein verklemmtes Verhältnis hatte.
  2. Mit dem Ende des Barockzeitalters endet auch die künstlerisch anspruchsvolle Darstellung von Nacktheit; biblische Erzählungen werden zur religiösen Pornografie verzerrt.
  3. Dominiert in der Antike noch der nackte Mann, so wird ab der Renaissance zunehmend der weibliche Akt zum Hauptmotiv; der männliche Akt verschwindet.

Die Taufe

Stand Jesus bei der Taufe nackt im Jordan? Definitiv ja. So jedenfalls präsentiert ihn die romanische Kirche St. Martin in Zillis, nahe der Viamala-Schlucht. Als die Taufe noch an Erwachsenen vollzogen wurde, da traten sie nackt vor Gott, und zwar in der Osternacht. Nach dem Untertauchen wurden sie in weiße Kleider gewandet, die sie bis zum darauffolgenden Sonntag trugen, der deshalb der „Weiße Sonntag“ heißt.
Die Nacktheit bei der Taufe ist Ausdruck der Demut – und das ist sie auch in vielen nicht-christlichen Kulturen. Wobei die Demut nicht selten in Demütigung umschlägt, etwa wenn Gefangene entkleidet und nackt vorgeführt werden.

Maria Magdalena

Ob Demut und Demütigung – bei der Darstellung der biblischen Maria Magdalena ist das Auffassungssache der Maler:innen. Auf den gotischen Fresken in der Martinskapelle in Bregenz ist die Sünderin züchtig bekleidet und nur an den langen, offen getragenen Haaren als Prostituierte zu erkennen; „anständige Frauen waren bekanntlich ‚unter der Haube‘“. Ein paar Jahrhunderte später präsentiert sich Maria Magdalena immer jünger, immer hübscher, immer leichter bekleidet, bis sie sich bei Jules-Joseph Lefebvre splitterfasernackt auf einer Blumenwiese räkelt. „Vermutlich gab es solche Bilder im 19./20. Jahrhundert auch als große gerahmte Kunstdrucke, die in den ehelichen Schlafzimmern unter dem Stichwort „Ehehygiene“ aufgehängt wurden.“
Denn mit dem Sex hatte die Kirche seit den Zeiten von Augustinus ein Problem. Der fromme Mann hielt sexuelle Lust für eine Strafe Gottes. Beim Sex werde die Erbsünde weitergegeben, argumentierte er. Die Ablehnung sexueller Lust wurde zum Kern der katholischen Lehre. „Bis zum II. Vatikanischen Konzil galt der eheliche Verkehr als legitimer Gebrauch eines Übels“ und war nur zum Zweck der Zeugung erlaubt, sollte aber auch da möglichst genussfrei sein. Immerhin: die stillende Gottesmutter blieb als Motiv erhalten.

Geburt der Venus

Weibliche Nacktheit gab es in der griechischen Antike fast ausschließlich in Bordellszenen – bis Praxiteles einen bahnbrechend neuen Bildtyp schuf: Die „Aphrodite von Knidos“ ist eine ebenso schöne wie schamhafte Frauengestalt, die ihre Hand vor das Geschlecht hält und den Blick senkt. Zwar verschwand der Bildtypus in der Spätantike, doch die Renaissance entdeckte ihn wieder. „Sandro Botticellis ,Geburt der Venus‘ (1485) ist weit über tausend Jahre später der erste fast lebensgroße Frauenakt seit der Antike.“
In der Renaissance entstand die eigentliche Aktmalerei; die Narrative stammen allerdings nicht aus der Bibel, sondern aus der antiken Mythologie. Tizian malt die Venus von Urbino. Michelangelo bildet seinen David aus Marmor; zuvor schon hatte Donatello (auch mit einem David) „die erste freistehende Aktfigur seit der Antike“ geschaffen. „Der fast knabenhafte Körper, Schamhaare hat er noch keine, ist sehr schön und weich gestaltet, äußerst androgyn und von einer aufreizend lässigen Haltung.“ Der David ist eine Rundfigur, die von allen Seiten betrachtet werden kann, wobei Hofer auf ein Detail hinweist, das nur von hinten sichtbar ist. „Der linke Flügel von Goliaths Helm streicht in fast lasziver Weise der Innenseite des rechten Oberschenkels entlang bis hinauf in den Schritt.“

Der Arsch des Schöpfers

Eine noch nie dagewesene Fülle an Aktbildern malte Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle, also an einem der heiligsten Orte der katholischen Christenheit. Und er erlaubte sich dabei ein starkes Statement angesichts der ablehnenden Haltung der Kirche zur Homosexualität. Im Bild von der Erschaffung der Sonne, des Mondes und der Pflanzen leistete er sich aber in Markus Hofers Augen „die vermutlich gröbste ikonografische Entgleisung der christlichen Kunst“: Er malt den nackten Hintern des Schöpfers.
Michelangelo bezieht sich mit der Szene wohl auf das Buch Exodus, Kapitel 33, wo Moses Gott schauen will. Ein gefährliches Unterfangen. Gott schlägt ihm deshalb vor, an ihm vorbeizuziehen „und wenn er vor ihm ist, ihm die Augen zuzuhalten. Wenn er aber vorübergezogen ist, dürfe er ihn von hinten sehen.“ Dass er dabei unbekleidet ist, hat sich Michelangelo ausgedacht. Und die Interpretation ist nicht nur per se drastisch; das nackte Hinterteil Gottes befindet sich auch noch genau über dem Altar, an dem der Gottesdienst gefeiert wird.

Verführung

Anders als Zeus scheint der christliche Gott sexuell völlig desinteressiert. „Im Neuen Testament wird Nacktheit überhaupt nicht mehr thematisiert.“ Im Alten Testament aber gibt es allerhand deftige Szenen. Den Mord an Holofernes zum Beispiel. Judith verführt ihn, macht ihn betrunken und enthauptet ihn. In der biblischen Geschichte zieht sie ihr schönstes Kleid an. Das ließen die Maler allerdings meistens weg. Und einen Vorwand für Aktmalerei bot auch die Erzählung von Bathseba, die von König David beim Baden beobachtet wird. Er begehrt sie, und das stürzt Bathseba in tiefe Gefühlszweifel. Rembrandt malt eine superbe psychologische Studie: „der Stolz, vom König begehrt zu werden, die Abneigung, den eigenen Ehemann zu verletzen, die Scham über eigene Gefühle, die Aussichtslosigkeit, dem Wunsch des Königs zu entkommen“.

#me too

Eine häufig gemalte Badeszene findet sich auch im Buch Daniel, Kapitel 13. Da wird Susanna von zwei alten Lüstlingen beobachtet, bedrängt und erpresst. Dass es sich um einen sexuellen Übergriff handelt, ist bei Artemisia Gentileschi eindeutig. Juan Manuel Blanes dagegen ist für Hofer „auf dem Weg zur religiösen Pornografie“.
Auf einem schmalen Grat bewegt sich Peter Paul Rubens, wenn er Samson und Delilah malt: „Samson ist auf Delilahs Knien eingeschlafen. Aber warum? Rubens deutet es nur an und lässt es delikat offen. Allerdings ist Samson nackt, nur ein Pelz liegt um sein Hinterteil. Wurde ihm bloß vom Zuhören so heiß? Aber auch Delilah hat ihre Brüste entblößt und es ist nicht anzunehmen, dass der Prachtkerl nur vom Betrachten der Brüste eingeschlafen ist.“ Das Bild ist ziemlich unmissverständlich, aber es verbirgt das Geschehen hinter der biblischen Geschichte. So konnte es im Speisezimmer des Bürgermeistes Rockox hängen, wie ein Gemälde von Frans Francken belegt.
Mit dem Ende des Barock ist auch das Ende der Bildgeschichte der christlichen Gottesgestalten in der Kunst erreicht, formuliert Markus Hofer – und prima vista kann man ihm nur Recht geben, denn er führt ein starkes Argument an: „Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ,heilig‘ meint ganz, unverletzt, vollständig. Im Englischen klingt es noch deutlich nach: ,holy‘ kommt von ,whole‘. Wenn sich das Nackte und das Heilige aus dem Blick verlieren, diese Ganzheit verloren geht, entstehen nicht selten Banalität und Leere.“

Markus Hofer: Das Heilige und das Nackte. Tyrolia, Innsbruck 2022
Hardcover, 224 Seiten, ISBN 978-3-7022-4052-3, € 28 (erscheint im März 2022)

Buchpräsentation:
Markus Hofer: Das Heilige und das Nackte.
29.3., 19 Uhr
vorarlberg museum, Bregenz
www.vorarlbergmuseum.at