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Alexander Rufenach · 14. Dez 2011 · Literatur

Vom omnipräsenten Dosenfleisch über die unerwünschte Email-Botschaft zum exklusiven Kunstprodukt – Gedanken zu Kurt Dornigs „Book of Spams“

Der erfolgreiche, erst kürzlich wieder mit einem Red Dot ausgezeichnete Dornbirner Grafikdesigner und Künstler Kurt Dornig hat vor kurzem sein exklusives, in einer Auflage von nur 20 Stück in der Edition Markus Gell erschienenes „Book of Spams“ im Rahmen einer auf wenige Tage beschränkten Ausstellung im Museum für Druckgrafik in Rankweil präsentiert. Die folgende Vernissagerede hielt der Designmanager und Hochschuldozent für Corporate Communication an der FH Vorarlberg Alexander Rufenach.

„Ich komme nicht aus dem Kunstbetrieb. Zur Zeit gebe ich mein Wissen als Hochschullehrer für Corporate Communication an die nachfolgende Gestaltergeneration in Vorarlberg weiter. Als Pionier habe ich mich schon vor 15 Jahren intensiv mit den Möglichkeiten der Kommunikation im digitalen Raum auseinandergesetzt. Als Leiter der Kreation war ich maßgeblich am Aufbau der Internet-Agenturen Spray Interactive Media AG, später Razorfish AG, in Hamburg beteiligt. Aus diesem Grunde hat man mich wohl auserwählt, zu Ihnen und zur Ausstellung „Book of Spams“ zu sprechen. Kurze Frage: Wer hat eine Email Adresse von Ihnen? Oder anders herum gefragt: wer hat keine? Gut, dann sind wir also alle im gleichen Boot. Dann dürfte Ihnen sicherlich auch das lästige Spam-Problem, sprich: unerwünschte, elektronisch übertragene Nachrichten, per E-Mail, bekannt sein.

So zum Beispiel:

Susie, die mich wahnsinnig interessant findet, will mich unbedingt kennenlernen, oder ... Die Uno gratuliert mir wegen der 5 Mio, die ich gerade gewonnen habe, oder ... FBI-Director David Cain will von mir wissen, ob der in New York beschlagnahmte Karton voller Geld wirklich mir gehört. Er schickt den dann eben rüber, sobald ich – gegen eine kleine Gebühr – meine Aussage von einer Bank in Nigeria beglaubigen lasse. Briefschreiber aus England, Polen, Guatemala und aus südostasiatischen Regionen, deren Schriftzeichen ich nicht lesen kann, wollen irgend etwas. „Patalong!“ schreit mich eine Betreffzeile an, 78% off – on Viagra! Oder so, der vertrauenswürdige Ping aus Shanghai will einen Vertrag mit mir machen: „Any question? No hesitation to contact us. It‘s our great honor to work with you in long term business relationships. Yours Sincerly, Ping.“
Es gibt auch weniger erfreuliche Post. Anwalt X warnt, dass bald eine fette Mahnung folgt, wenn ich die 40 EUR nicht zahle (wofür oder weswegen ist der E-Mail nicht zu entnehmen). Paypal warnt mich, dass mein (nicht existentes) Konto soeben storniert wurde: Ich solle mich doch bitte auf folgender Web-Seite mit allen meinen Daten einloggen, um Schaden zu vermeiden ...

... lästiger, betrügerischer oder virentransportierender Werbemüll

Wenn es nach den Inhalten meines stets prall gefüllten Spam-Verdacht-Ordners geht, liebt mich die Welt, will mich vor Schaden bewahren, will mit mir äußerst lukrative Geschäfte machen oder direkt ins Bett hüpfen. Und das alles seit Jahren mit zwar vielfältiger, letztendlich aber immer der gleichen Masche. Meist in englischer Sprache (oder einem Kauderwelsch, das zumindest daran erinnert). Seit einigen Jahren auch auf Deutsch (oft in einer maschinell übersetzten Variante, bei der man manchmal sogar ahnt, worum es geht). Natürlich sind all die geschilderten Zuschriften nichts anderes als lästiger, meist betrügerischer, manchmal virentransportierender Werbemüll. Meist finden wir Spam lästig, manchmal jedoch auch lustig.

Zur Entstehung des Begriffes „Spam“

Spam ist ursprünglich ein Markenname für Dosenfleisch des Nahrungmittelkonzerns Hormel Foods, der bereits 1936 für das Produkt „Spiced Ham“ entwickelt wurde. Als „Braten für Arme“ erfreute sich Spam großer Beliebtheit. Während der Rationierung im Krieg war Spam eines der wenigen Nahrungsmittel, das in Großbritannien praktisch überall und unbeschränkt erhältlich war. Die Omnipräsenz dieses Dosenfleisches förderte die Entstehung der Bezeichnung für unerwünschte E-Mail Botschaften.
Als Synonym für eine unnötig häufige Verwendung und Wiederholung wurde der Begriff Spam 1970 durch einen bizarren Sketch der britischen Anarcho-Komödianten von „Monty Python‘s Flying Circus“ geprägt: In einem Café besteht hier die Speisekarte ausschließlich aus Gerichten mit Spam, die Spam teilweise mehrfach hintereinander im Namen enthalten. Insgesamt wird das Wort Spam in dem etwa zweiminütigen Comedy Sketch 132 mal erwähnt ...
Rund ein Jahrzehnt später kamen frühe Netz-Hacker auf die Idee, mit Spam jede Form kommunikativen Mülls zu bezeichnen, der die normale Kommunikation zu ersticken drohte. Heute ist das Dosenfleisch der Firma Hormel Foods eine Kultmarke, deren ewig haltbare Produkte so mancher Nerd nur kauft, um sie sich zu Hause ins Regal zu stellen.

Schaden in Milliarden-Höhe

Spam verursacht im System der weltweiten Kommunikation erheblichen Schaden. So ist dieser vor allem auf die zusätzliche Datenmenge im Netzverkehr und den Aufwand der damit verbundenen Bearbeitung der User zurückzuführen. Durch Spam entsteht in den USA pro Jahr ein Schaden von 22 Milliarden Dollar. Nach einer 2009 erstellten Studie verbrauchen 62 Billionen Spam-Mails hier jährlich ca. 33 Milliarden Kilowattstunden Energie, sowie 100 Milliarden Stunden Arbeitszeit zum Sichten und Löschen der Spam-Mails. Demnach macht Spam je nach Schätzung 89 bis 97 Prozent des gesamten E-Mail Verkehrs aus. Das entspricht auch in etwa dem Verhältnis von nicht erwünschten Spam-Mails zu gewünschten, die ich selber erhalte.
In Österreich, wie auch in der EU, ist deshalb zum Schutz der Privatsphäre das Versenden von Massen- oder Werbe-E-Mails, ohne vorherige Zustimmung des Empfängers nach § 101 des Telekommunikationsgesetzes, verboten. Dazu ein paar krasse Anekdoten:

Am 3. Mai 1978 verschickte Gary Thuerk den ersten Spam, an 400, an das APRA NET angeschlossene Nutzer, auch wenn Spam erst ab 1993 als solcher bezeichnet wird.

Vordan Vordanovich Kushmir, bekannt als notorischster Spammer Russlands, wurde am 24. Juli 2005 erschossen in seiner Wohnung aufgefunden.

Zu der bisher höchsten Geldstrafe für einen Spammer wurde James McCalla am 6. Jänner 2006 zu einer Schadenersatzzahlung von 11,2 Milliarden Dollar verurteilt.

Die Einführung von Filtern, die bestimmte Begriffe überprüfen, hat zu absichtlichen Schreibfehlern der Spammer geführt, um den wahren Inhalt der E-Mails zu verschleiern. In dieser versuchten Umgehung von Spam-Filtern liegt der Grund für die absurd-akrobatische Codierung von Spam-Texten. Die Filter müssen ständig durch verbesserte Methoden an die einfallsreichen, hochkreativen Verschleierungstaktiken der Spammer angepasst werden, um uns vor dem Info-Müll zu bewahren. Ein ähnliches Wettrennen findet bei der Tour de France zwischen den Fahrern und den Doping Fahndern statt.

Skurrile Fundstücke als Gegenstand künstlerischer Arbeit

Während sich alle irgendwie vor Spam schützen wollen, liest einer diesen akribisch – nämlich Kurt Dornig – und macht die skurrilen Fundstücke somit zum Gegenstand und Werkstoff seiner künstlerischen Arbeit. Im „Book of Spams“ sind Text-Ebenen und unterschiedliche Bildquellen zusammengeführt. Zuerst einmal möchte ich auf die typografisch-sprachliche Bedeutungsebene eingehen. Dornig hat die typografischen Eigenarten und sprachlichen Ausdrucksformen von Spam genauer in Augenschein genommen und ist auf Stilblüten gestoßen, wie „Want Pills? Vi$it n()w! Th@nk you!“
Diese Fragmente aus der elektronischen Post dienen ihm als Bildzuschriften. Er verwendet sie nicht eins zu eins, wie am Monitor, sondern er überträgt sie in eine andere Technik: den Linolschnitt. So hat Kurt Dornig aus lästigem Werbe-Trash, betrügerischen Massenangeboten und virtuellen Tretminen in mühevoller handwerklicher Arbeit, Buchstabe für Buchstabe, Zeichen für Zeichen in ein sehr langsames Medium übersetzt. Frei nach den Gedanken von Huffmann und Röper „schnelle Zeiten brauchen langsame Medien“. Beschleunigte Kommunikation wird durch den medialen Transfer entschleunigt und plötzlich im neuen Kontext anders wahrgenommen. Kurt Dornig setzt der schnellen Fast-Food-Befriedigung die entschleunigte Genügsamkeit des traditionellen Handwerks entgegen:

aus Maschinellem wird Menschliches
aus Massensendungen werden Unikate, in kleiner Auflage
aus kalt wird warm
aus etwas, dem man sich verweigert, wird ein Sammlerstück
aus anonym wird persönlich
aus Automatik wird Handwerk
aus HTML wird Kunst
aus Konservenfleisch wird gehobene Haubenküche
aus Pixeln am Screen wird Linoldruck
...ich will es eigentlich gar nicht sagen: Aus Mist wird Gold.

Umsetzung in handwerklich perfekter Buchform

Bei Spray und Razorfish haben wir digitale Medien als Liquid Communication bezeichnet. Kurt Dornig hat diesen permanenten Fluss elektronischer Meldungen fixiert, eingefroren, in einen festen materiellen Zustand überführt und die Umsetzung gemeinsam mit Markus Gell nach allen Regeln der Druckkunst, in handwerklich perfekter Buch-Form konfektioniert.Die entschleunigten Spam-Fragmente hat er mit zeitlosen, nur aus Linie und Fläche herausgearbeiteten, fast archaisch wirkenden Zeichnungen auf der Bildebene kombiniert. So findet seine ab 2003 entstandene, bekannte Holzschnitt-Serie ihre Fortsetzung in der aktuellen Edition „Book of Spams“.

Schnappschüsse auf dem Zeichenblock dienen als Bildmotive

Dass Kurt Dornig nicht nur seinen elektronischen Müll nach Besonderheiten durchsucht, sondern mit scharfem Auge und sicherem Strich auch ein richtig guter Zeichner ist, sehen wir den Bildmotiven, die er in der gleichen Linolschnitttechnik wie die Texttafeln herausgearbeitet hat, an. Diese Motive sind einerseits auf weltweiten Reisen (das hat er mit dem Spam gemein) entstanden, bei denen er stets auf der Suche nach interessanten Szenarien ist, die er in Skizzenbüchern festhält und ihm als Fundus dienen. Statt Fotokamera skizziert er vor Ort: Momentaufnahmen, spontane Begebenheiten, quasi „Schnappschüsse auf dem Zeichenblock“. „Mit einer Kamera macht man sich oft verdächtig“, sagt Kurt Dornig und steht als Tourist sofort außen vor, denn nach dem Foto wird die Hand aufgehalten: Mister – money please!!!“

„Durch den Akt des Live-Zeichnens gewinne ich die Neugier der Menschen um mich herum, komme ins Gespräch, ohne mich als Bilder- oder Identitätsdieb zu outen. Das fördert persönliche Kontakte und aufschlussreiche Gespräche“, sagt Kurt Dornig. Die Reiseskizzen erfassen plakativ persönliche Momente und weltweit unmittelbar erlebte Begebenheiten.

Als weitere Quelle für Bildmotive dienen Skizzen, die er schon seit langem in der Aktzeichengruppe um Edgar Leissing erstellt. Es sind Zeichenarbeiten entstanden, die durch die intensive Auseinandersetzung und genaue Beobachtung des menschlichen Körpers entstanden sind. Als Abbild der Wirklichkeit wird hier der Körper auf das Wesentliche reduziert: Schwarz und Weiß. Null und Eins stehen für die Reduktion des digitalen Zeitalters: für Spam. Linie und Fläche, bedruckte und unbedruckte Räume sind ein klassisches Mittel, um kompositorische Spannung aufs Papier zu bringen. Seine freien Arbeiten finden so in der Kombination mit den Spam-Texten ihre neue Bestimmung.

„Info-Müll“ als typografische Bildtafeln in Linoleum inszeniert

Spam-Texte sind bereits von Haus aus hochkreativ typografiert, da sie ja unerkannt am Spam-Filter vorbeischlüpfen sollen. Kurt Dornig reißt die Spam-Texte aus ihrem Kontext und inszeniert den „Info-Müll“ akribisch als typografische Bildtafeln in Linolelum. Im Gegensatz zu den ursprünglichen Spam-Nachrichten werden diese SO auf jeden Fall gelesen! Neben dem Interesse am zeitgenössischen Kulturgeschehen und der Verarbeitung von Spam-Botschaften hat Kurt Dornig stets seine große Leidenschaft für die jahrhundertealte Drucktechnik – als Gegengewicht zur digitalen Arbeit am Rechner – gepflegt. Er fordert das Material und schätzt den Körper. Hier kommen statt schnellen Sexversprechen, wie „viagra is the best thing that ever can happen to you“, die Sinnlichkeit von Papier, Zeichenstift, Linoleum, Druckfarbe und tonnenschwere Mechanik zum Tragen. Die formal-ästhetische Verschmelzung in Form von Aktzeichnungen, Straßenskizzen und Spam-Texten, vereint im traditionellen Linolschnitt, spiegelt das heutige Leben auf zeitgemäße Art und Weise. So finden moderne Gedanken ins Linol und Spam zu neuer Ausdruckskraft.
Die digitale und die reale Welt sind so weit miteinander verschmolzen, dass man heutzutage durchaus sagen kann: Erscheinung ist Wirklichkeit. Egal ob vor dem Screen oder im Screen. Wer diese neue Wirklichkeit begreifen und durch die Welt „traveln“ möchte, ohne zu „moven“ – kann das hier und heute einfach Durch-Blättern.

„Edition Markus Gell“

Kurt Dornig, der auch sonst in der Welt zwischen zwei Buchdeckeln zu Hause ist, ist nach Hugo Ender, Markus Gell und Christian Thanhäuser, der dritte Künstler, der in der „Edition Markus Gell“ veröffentlicht wird. Als entscheidenden Protagonisten möchte ich auf Markus Gell, der als couragierter Herausgeber, Betreiber dieses Museums und guter Freund der Druckmaschine zum Gelingen dieser Edition beigetragen hat, ganz besonders hinweisen. Dank seiner Erfahrung und Weitsicht durfte jedes einzelne Blatt des „Book of Spams“ zentnerweise exzellentes Gewicht spüren und hier, in diesen musealen Räumen, eine Trockenzeit von drei Wochen auf Wäscheleinen genießen. Für die in allerhöchster Qualität gefertigte Bindung von Hand in traditioneller Schweizer Broschur zeichnet Peter Köll aus Innsbruck verantwortlich. Schauen Sie nach der Begutachtung des Buches doch mal wieder in ihren Spam-Ordner. Sie werden ihn garantiert mit anderen Augen wahrnehmen."

 

Kurt Dornig, Book of Spams, Edition Gell, Rankweil 2011, Auflage: 20 Exemplare, signiert und nummeriert, Euro 550,-