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Annette Raschner · 08. Jun 2022 · Literatur

The ever-living ghost

Die neue literatur.haltestelle. von literatur:vorarlberg netzwerk in Zusammenarbeit mit der Stadt Hohenems macht nun einen Text multimedial erlebbar, dessen Autor mit dem 7. Hohenemser Literaturpreis 2021 deutschsprachiger Autor:innen nichtdeutscher Muttersprache ausgezeichnet wurde. Der in Klagenfurt/Celovec geborene, zweisprachig aufgewachsene Schriftsteller, Übersetzer und Philosoph Stefan Feinig erhielt die Auszeichnung für seinen vielschichtigen, sprachphilosophischen Essay „The ever-living ghost – a new kind of landscape“. Heute Abend (8.6.) liest er daraus im Salomon-Sulzer-Saal.

Ein Vater ist angesichts des Wunders eines neugeborenen Wesens „sprachlos gerührt“. Gleichzeitig ringt er mit sich, weil er selbst seinen eigenen Anfang beinahe vergessen hat. Er konstatiert: „Es ist mir so schwer mit diesen Worten“.

Annette Raschner: Sprache und Identität: Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Ihr autobiografisch gefärbter Essay. Was hat das beinahe Vergessen Ihres Anfangs mit der slowenischen Muttersprache, mit Ihnen, mit Ihrer Identität gemacht? Sie schreiben immerhin: „Meine Seele ist eine Ruine, weil meine Muttersprache mir nur lückenhaft erhalten ist.
Stefan Feinig: Der Text hat viel mit der Geburt meiner Tochter zu tun. Ich wollte ihr meine Muttersprache so perfekt wie möglich weitergeben. Aber viele slowenische Wörter sind mir nicht mehr eingefallen. Das war ein großes Problem für mich, und diese Leerstelle ist mir da erst bewusst geworden. Ich habe mich plötzlich fragmentiert gefühlt. Davon handelt dieser Essay.
Raschner: Sie leben in den „Worten verschiedener Sprachen“. In Ihrem Essay heißt es dazu: „Ich bin viele, viele, viele, eine Vielzahl an Worten." Was hat dieses „Viele“ mit Ihrem literarischen Schreiben gemacht? Immerhin veröffentlichen Sie seit 2014 Ihre Texte mehr oder weniger konsequent in Slowenisch und Deutsch?
Feinig: Sprachen haben mich immer sehr interessiert. Eine Zeit lang habe ich versucht, so viele Sprachen wie möglich zu erlernen. Heute fasziniert mich gerade als Reisender die Verwandtschaft von Wörtern. Das kommt auch im Text zum Tragen. Beispielsweise erwähne ich darin das arabische Wort für Stille: „huduh“. Dieses Wort hat mich zurück in meine Kindheit versetzt, denn „Heiliger Geist“ heißt im Slowenischen „sveti duh“; „duh“ heißt Geist. Also da steckt auch die Stille drin. Die Vielsprachigkeit eröffnet neue Landschaften, deshalb auch der Titel des Essays. Es bereichert ungemein. Mein Anspruch ist es jedenfalls, dass mindestens einmal im Jahr ein slowenischer Text entsteht.
Raschner: Im Falle Ihres Kindes kommt eine weitere Sprache hinzu, denn die Mutter ist Schwedin. Wie lösen Sie als Familie dieses wunderbare „Dilemma“?
Feinig: Mittlerweile haben wir zwei Kinder, unsere Tochter ist knapp über zwei Jahre alt, unser Sohn ist vier Monate alt. Ich spreche mit ihnen ausschließlich slowenisch, meine Partnerin ausschließlich schwedisch, wir beide kommunizieren miteinander deutsch, und wir können nur beobachten, wie sich das entwickelt. Aber es sieht gut aus, und wir versuchen unser Bestes. Das ist die Erkenntnis, die ich persönlich aus dem Text gewonnen habe.
Raschner: Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach der Hohenemser Literaturpreis deutschsprachiger Autor:innen nichtdeutscher Muttersprache, zumal beispielsweise der Adelbert-von-Chamisso-Preis seit 2017 nicht mehr verliehen wird?
Feinig: Ein solcher Preis ist extrem wichtig, vor allem weil die Welt immer mehrsprachiger wird. Und das wird als Thema nach wie vor vernachlässigt und unterschätzt. Und dieser Literaturpreis legt den Fokus darauf.

Stefang Feinig: Preisträgerlesung
8.6., 19.30 Uhr
Salomon-Sulzer-Saal, Hohenems
www.literatur.ist

Stefan Feinigs preisgekrönter Essay ist in der jüngsten Ausgabe der Literaturzeitschrift miromente erschienen.