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Annette Raschner · 28. Dez 2011 · Literatur

Testamentsaffäre – Ein Stück Vorarlberger Zeitgeschichte

Im November 2009 ist das „subare Ländle“ tief erschüttert worden. Damals wurde öffentlich, dass Justizmitarbeiter am Dornbirner Bezirksgericht jahrzehntelang Testamente gefälscht hatten, um Freunde, Angehörige und sich selbst zu beerben. Von der ersten Stunde an hat der ORF-Journalist Gernot Hämmerle über diesen Vorarlberger „Justiz-Supergau“ berichtet und akribische Nachforschungen angestellt. Jetzt ist sein Buch „Falsche Erben – Testamentsfälscher bei Gericht“ im Bucherverlag erschienen; ein Sachbuch, das sich wie ein Krimi liest. Jetzt ist sein Buch „Falsche Erben – Testamentsfälscher bei Gericht“ im Bucher-Verlag erschienen; ein Sachbuch, das sich wie ein Krimi liest.

Annette Raschner hat mit Gernot Hämmerle das folgende Interview geführt.

Kultur: Wie war die Situation, als Du erstmals von der Testamentsaffäre erfahren hast? War das Ausmaß dieses Justizverbrechens damals bereits abschätzbar?
Gernot Hämmerle: Nein. Ich kann mich noch gut an diesen Vormittag erinnern. Über die APA war eine lapidare Meldung gekommen: „Drei Leute sind festgenommen worden, zwei vom Bezirksgericht Dornbirn. Ihnen wird vorgeworfen, Testamente gefälscht zu haben.“ Ich und Christine Amon wurden beauftragt, uns um die Sache zu kümmern. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich nie gedacht, dass die Affäre mich die kommenden zwei Jahre beschäftigen würde.

Unregelmäßigkeiten gehen weiter zurück


Im Buch bezeichnest Du die Affäre als Supergau und zitierst den Rechtsanwalt Martin Mennel mit folgenden Worten: „Es ist nicht die Frage, ob am Bezirksgericht Dornbirn gefälscht wurde. Es ist nur die Frage, ob 30, 40 oder 50 Jahre systematisch gefälscht wurde.“ Wie lautet diesbezüglich Deine Einschätzung?

Es ist stets von den letzten zehn Jahren die Rede. Da gibt es Beweise und auch Geständnisse des Hauptverdächtigen Jürgen H. Seine Aussagen haben sich als wahrheitsgemäß herausgestellt. Er sagt aber auch glaubhaft, dass bereits vor seiner Zeit am Dornbirner Bezirksgericht Testamente gefälscht worden sind. Zudem sind hunderte Urkunden verschwunden. Nach Auffliegen der Testamentsaffäre sind gewisse Verdächtige am Bezirksgericht Dornbirn nach wie vor ein- und ausgegangen; so etwa der mittlerweile pensionierte Walter M. Ich weiß nicht, was er dort gemacht hat. Es ist davon auszugehen, dass schon lange Testamente gefälscht worden sind, das sagen auch Insider. Jürgen H. hat auch ausgesagt, dass er in seinen Anfängen am Dornbirner Bezirksgericht quasi genötigt worden sei, gewisse Unterschriften zu fälschen. Ganz grundsätzlich haben sich die Dornbirner immer schon gewundert, wie das am Bezirksgericht so läuft. Dass etwa keine Unterschriften gefordert wurden oder dass man schneller drangekommen ist, wenn man Geld hingelegt hat.

Das Motiv Gier


Du hast das Buch primär aus der Intention heraus geschrieben, Mechanismen aufzuzeigen, wie sie überall funktionieren könnten. Welche Mechanismen meinst Du konkret?

Im weitesten Sinne geht es darum, dass eine Korruption im Kleinen immer größere Ausmaße angenommen hat. Das fängt damit an, zehn Euro zuzustecken, damit ein Anliegen schneller behandelt wird. Beim zweiten Mal verzichtet man auf eine Unterschrift. Dann geht es plötzlich um ein Grundstück, das niemand vermisst, weil es nach dem Tod des Besitzers dem Staat zufallen würde. Wie in der Politik spielt auch in der Justiz Gier eine Rolle. Es gibt in Österreich über hundert Bezirksgerichte, die im Prinzip genauso funktionieren wie jenes in Dornbirn. Mich würde es sehr wundern, wenn das nur in Dornbirn passiert wäre. Ich spreche nicht vom Fälschen im großen Stil, sondern von kleinen Korruptionen. Wenn es ums Erben geht, wenn viel Geld im Spiel ist und keine Kinder da sind, ist die Verlockung groß. Dieser Verlockung ist man in Dornbirn erlegen.

Falsche Strategie


Du zitierst einen weiteren Juristen. Er spricht im Zusammenhang mit dem Verhalten von Justiz und Staatsanwaltschaft schlicht von einem Skandal. Wie ist Deine Meinung dazu?

Der Umgang der Staatsanwaltschaft in dieser Angelegenheit scheint mir zumindest fragwürdig gewesen zu sein. Meiner Ansicht nach hätte die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit besser informieren müssen. Ich hatte das Gefühl, dass man versucht hat, die Sache möglichst klein zu halten. Diese Strategie hat sich als falsch erwiesen. Ich zum Beispiel habe mich geradezu herausgefordert gefühlt, mehr herauszufinden.

Regisseur Zufall


Wie hat sich Deine Arbeit gestaltet? Wie bist Du an wichtige Informationen rangekommen?

Es war schwierig. Ich habe viele wertvolle Informationen von Leuten aus dem Justizbereich bekommen, die nicht genannt werden möchten, um nicht als Nestbeschmutzer bezeichnet zu werden. Die Staatsanwaltschaft war – wie gesagt – nicht auskunftsfreudig. Ich habe mit geprellten Erben gesprochen. Der Fall Anna Isele hat mich besonders interessiert, weil die Anna meine Nachbarin war.

Bei der Aufdeckung der Testamentsaffäre hat auch der Zufall Regie geführt. Die junge Richterin Isabelle Amann brachte, nachdem sie unter anderem den immergleichen Beistrichfehler auf den Dokumenten entdeckte, den Stein ins Rollen.
Sie hat wirklich Akribie und Hartnäckigkeit walten lassen. Graphologische Gutachten hatten ja zunächst keine Klärung ergeben. Hochachtung vor der Richterin!

Der Fall Kornelia Ratz


Besondere Brisanz besitzt der Fall der suspendierten Vizepräsidentin des Landesgerichts Feldkirch, Kornelia Ratz, die beschuldigt wird, eine Testamentsfälschung in Auftrag gegeben zu haben. Du hast sie einmal zu einem Zeitpunkt interviewt, als viele Details noch nicht bekannt waren. Fühlt man sich da nicht auch ein wenig als Psychologe, der versucht, mittels Einfühlung und Beobachtung die Wahrheit zu eruieren?

Man wird zwangsläufig zum Psychologen. Man überlegt sich, ob die Person glaubhaft ist oder nicht. Mein Interview mit Kornelia Ratz hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Ich habe auch Beschimpfungen und Drohungen aus dem Umfeld von Frau Ratz erlebt. Das hat erst aufgehört, als nach und nach klar wurde, was ihr alles vorgeworfen wird und als zusätzlich belastendes Material, wie von ihr geschriebene Mails und Briefe, aufgetaucht ist.

Gerichtsprozess im Frühjahr


Der Prozess ist für das Frühjahr 2012 anberaumt. Welche Urteile sind zu erwarten?

Der Hauptverdächtige Jürgen H. ist geständig. Da ist klar, dass sich das Strafausmaß zwischen einem und zehn Jahren Haft abspielen wird. Eine genaue Prognose möchte ich nicht abgeben. Bei den nicht Geständigen wird es spannend; konkret im Falle von Kornelia Ratz, in dem drei Personen sie beschuldigen. Und es gibt die Aktenlage; das Faktum, dass die Verwandtschaft von Ratz aufgrund eines gefälschten Testaments eine halbe Million Euro geerbt hat.

Weitere Untersuchungen


Werden weitere Dinge ans Tageslicht kommen?

Wie die Fälschungen gelaufen sind, ist auf dem Tisch. Hier werden beim Prozess nur noch wenige neue Details hinzukommen. Deshalb habe ich auch das Buch geschrieben, weil man das jetzt dokumentieren kann. Es ist ein Stück Vorarlberger Zeitgeschichte – leider! Die Frage ist, ob es weitere Angeklagte geben wird. Das wäre durchaus möglich. Und wenn der Prozess beendet ist, müsste die Staatsanwaltschaft meiner Ansicht nach beginnen, die Jahrzehnte davor zu erforschen. Da wünsche ich übrigens viel Spaß. Das wird ein unglaublicher Aufwand! 

 

Gernot Hämmerle, Falsche Erben. Testamentsfälscher bei Gericht, Bucher Verlag, Hohenems 2011, 168 Seiten, € 19,90, ISBN 978-3-99018-093-8