Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Anita Grüneis · 29. Mär 2022 · Literatur

Spannung pur

Was wäre wenn – das ist eine beliebte Ausgangslage für Horror-Szenarien. Was wäre, wenn ein Dritter Weltkrieg ausbrechen würde? Was wäre, wenn ein großer Meteorit auf der Erde einschlüge? Oder was wäre, wenn kriminelle Hacker oder Terroristen das Transport- und Kommunikationswesen sowie die netzbasierten Zugverbindungen und die Trinkwasserversorgung – kurz: die ganze Infrastruktur – eines Landes lahmlegten? Genau diese letzte Frage hat den Liechtensteiner Schriftsteller Armin Öhri beschäftigt. Seine Folgerungen verpackte er in den Thriller „Schweizer Logout“, der am 9. März im Gmeiner-Verlag erscheint. So viel gleich zu Beginn: Wer anfängt, darin zu lesen, hört nicht mehr auf.

Dabei beginnt alles so harmlos. Der junge Hacker Maxi Winter spielt gerade ein paar Runden „Slither.io“ (hier wird der unkundige Leser das erste Mal googeln und entdecken, dass es sich um ein Browserspiel handelt), als er von seinem Fenster aus einen Polizeieinsatz beobachtet. Er schließt daraus, dass die Aktion seinem Nachbarn gelten muss. Über den Chemielehrer Peter Sommerhalder wurde in allen Medien berichtet; er soll Fotos mit pornografischem Inhalt über den WhatsApp-Klassenchat geteilt haben und wurde in der Folge fristlos entlassen. Maxi beginnt seine eigenen Nachforschungen.
Übrigens wird die Leserschaft im Verlaufe des Buches über einige Begriffe stolpern, die so manchem nicht geläufig sein dürften. Macht nichts! Denn sie tun der Spannung nicht den geringsten Abbruch – im Gegenteil: Diese unvertrauten Wörter ziehen uns immer tiefer in diese ebenso unbekannte, schöne neue digitale Welt hinein, welche die meisten von uns wohl nur oberflächlich kennen.

Schöne digitale Welt?

Doch zurück zur Geschichte: Maxi beginnt das digitale Leben von Peter Sommerhalder zu entschlüsseln und kreuzt dabei zufällig den Weg der Online-Journalistin Mia Abderhalden. Mia ihrerseits versucht eine Erklärung für die zunehmenden mysteriösen Vorfälle im Internet zu finden: unautorisierte PayPal-Abbuchungen, Klarnamennennungen bei Pornoseiten, gelöschte Webseiten … Gravierende Sicherheitslücken, die nicht nur einen einzelnen Menschen ins Verderben stürzen, sondern auch eine ganze Nation ins Wanken bringen können.
Maxi und Mia spannen sich zusammen und nehmen die Leser dabei auf eine Reise in die Abgründe des Internets mit. Seite für Seite entfaltet sich in diesem Buch unsere vernetzte Welt und öffnet uns die Augen für die realen Gefahren, die überall lauern, wenn wir arglos unsere Personalien im Netz preisgeben. Datenschutz ade …
Bei ihren Recherchen wird Maxi und Mia schnell klar, dass die Internetstörungen durch einen digitalen Virus ausgelöst werden: Jemand versucht, die Kontrolle über das digitale Herzstück der schweizerischen Gesellschaft zu erlangen. Ein intelligenter Algorithmus frisst sich gnadenlos durch die Eingeweide des Internets und führt etwa zu Totalausfällen des Mobilnetzes oder zu schweren Unfällen im Zugverkehr.

Viren – biologisch und digital

Für die beiden Protagonist:innen beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, um den Programmierer des Virus zu finden und noch größeres Unheil zu verhindern. Geschickt flicht der Autor dabei aktuelle Themen wie den biologischen (Corona-)Virus oder die Klimadiskussion in seinen Erzählstrang mit ein. „Ein Virus schafft, was die Fridays-for-Future-Bewegung bisher nicht geschafft hat“, spielt ein befreundeter Hacker von Maxi auf die positiven Auswirkungen von Corona auf die Umwelt an. Ein Umstand, der zur Entwicklung der App UMM „Unsocial Media Matters“ führt, die letztlich auch die Schweizer Regierung auf den Plan ruft. Mehr sei an dieser Stelle jedoch nicht verraten …

Fazit: Unbedingt lesen!

Der neue Roman von Armin Öhri lässt einen farbenprächtigen Film vor den inneren Augen der Leserinnen und Leser ablaufen. Temporeich und spannend bietet der Thriller nicht nur beste Unterhaltung, sondern ganz nebenbei auch eine lehrreiche, den Horizont erweiternde Einführung in das digitale Universum. Ein Universum, das zwar nicht sichtbar ist, unser aller Dasein dennoch mitbestimmt und täglich – oder gar stündlich (!) – von uns genutzt wird. Dennoch kennen sich die wenigstens von uns in den Tiefen dieses Universum aus, entsprechend erkennen auch die wenigstens von uns, dass die Annehmlichkeiten des Internets pechschwarze Schattenseiten mit sich bringen.

Denkanstöße für alle

Drum: „Schweizer Logout“ ist in dreifacher Hinsicht absolut empfehlens- und lesenswert: Nicht nur sensibilisiert das Buch seine Leserschaft und gibt ihr grundlegende Denkanstöße mit, das eigene Tun und Handeln im Internet genauer unter die Lupe zu nehmen, sondern hilft ihr auch, sich in der digitalen Nomenklatur zurechtzufinden. Denn wer weiß schon, dass „MELANI“ die „Melde- und Analysestelle Informationssicherung“, also quasi das Nationale Zentrum für Cybersicherheit in der Schweiz ist oder was „Urbexing“ oder „Pareidolie“ bedeutet? Drittens ist „Schweizer Logout“ von Armin Öhri ganz einfach beste Schreibkunst – kurzweilig, süffig und dennoch fundiert und mit viel Sachverstand getextet, werden wir auf Maxis und Mias Jagd nach dem Ursprung des Virus mitgenommen. Der Buchautor unterrichtet nicht umsonst seit vielen Jahren Kommunikationstheorie an einer Höheren Fachschule und weiß entsprechend genau, wovon er schreibt.
Zu guter Letzt bleibt wirklich nur zu hoffen, dass, wie Armin Öhri selbst in seinem Buch schreibt, „ein globaler Internet Outage, wie in diesem Roman beschrieben, nur ein Produkt der Fiktion bleiben wird“.

Armin Öhri: Schweizer Logout.
Gmeiner-Verlag, Meßkirch 2022, Paperback, 280 Seiten
ISBN: 978-3-8392-0192-3, € 14 (erscheint am 9. März)