Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Ingrid Bertel · 29. Mär 2022 · Literatur

Aus dem Leben eines Waffenhändlers

Der „Noricum-Skandal“ ging nicht mehr auf seine Kappe. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Witwe Fritz Mandls sein Unternehmen, die Hirtenberger Patronenfabrik, an die VOEST verkauft. Zu Lebzeiten Mandls aber fehlte es weder an Skandalen noch an klandestinen Rüstungsdeals und politischen Verbrechen. Wer war dieser Mann? Eine seiner Ehen, nämlich die mit dem Filmstar Hedy Lamarr, die als schönste Frau der Welt galt und bisweilen als Erfinderin von Bluetooth gefeiert wird, hat das Interesse an Fritz Mandl wieder geweckt. Nun zeichnet Ursula Prutsch in ihrer Biografie „Wer war Fritz Mandl“ ein Portrait des Patronenkönigs.

Er trug Maßanzüge von Knize und steckte sich täglich eine frische, bordeauxrote Nelke ans Revers. Darin lag möglicherweise eine Verhöhnung der Sozialdemokraten, die er hasste. Er hielt sie für unpatriotisch und arbeiterfeindlich – sich selbst für einen fürsorglichen Patriarchen.
Er stammte aus einer großbürgerlichen Familie und erhielt Privatunterricht von Oskar Kreisky, einem Onkel des späteren Bundeskanzlers. Der Vater hatte mit seiner Hirtenberger Patronenfabrik während des Ersten Weltkriegs Millionen verdient und in Kriegsanleihen wieder verloren. 1924 machte er den Sohn zu seinem Nachfolger. Es war ein schwieriges Jahr für den jungen Fritz Mandl. Seine Mutter war soeben verstorben, und nur wenige Wochen später nahm sich seine Geliebte, Eva May, das Leben. Die Schauspielerin war erst 22 Jahre alt, hatte in drei Filmen gespielt und drei Ehemänner gehabt, allesamt Regisseure. Fritz Mandl, bis an sein Lebensende notorisch untreu, ließ sich nach dem Tod Eva Mays auch von seiner Frau scheiden und hegte Selbstmordgedanken.

Der Mann, der die Heimwehr mit Waffen belieferte

Die Geschäfte allerdings liefen glänzend. Er gründete eine Patronenfabrik in der Schweiz und eine in den Niederlanden, erwarb weitere Firmen in Österreich und fand seine politische Heimat in der Heimwehr. Sein bester Freund war der Adelige Ernst Rüdiger Starhemberg, sein Idol Benito Mussolini. Mandl hing an der Aristokratie – und Italien war sowohl Königreich als auch faschistische Diktatur. Diese Mischung hielt Mandl für ideal. 1929 trat er der Heimwehr bei, einem rechtsradikalen paramilitärischen Verband, der von Starhemberg großzügig finanziert wurde.
„Die Geschichte der Hirtenberger Patronenfabrik ist eng mit der Geschichte der Heimwehr verbunden“, konstatiert Ursula Prutsch. „Fritz Mandl und das faschistische Italien unterstützten sie über Jahre hinweg. Die Machenschaften, die damit verbunden waren, schadeten dem Ansehen Österreichs sehr.“ Bundeskanzler Dollfuß schien das nicht zu stören. Mit seinem Wissen und in der Absicht, die österreichische Demokratie zu zerstören, verschob Mandl illegal Waffen, was den Friedensvertrag verletzte und als „Hirtenberger Waffenaffaire“ für internationale Schlagzeilen sorgte.

Hedy Lamarr in Hollywood

Im Sommer 1933 urlaubten die Ehepaare Starhemberg und Mandl in Venedig. Fritz Mandl war frisch vermählt mit Hedwig Kiesler. Die 19-Jährige galt, nach ihrem skandalumwitterten Film „Ekstase“, als „schönste Frau der Welt“. Beide, sowohl Hedwig Kiesler als auch Fritz Mandl, waren zwecks Eheschließung zum Katholizismus übergetreten. Das NS-Regime verfolgte dennoch beide als Juden. Während dieses Sommers 1933 aber traf sich am nahen Strand von Riccione Dollfuß mit dem Duce. „Vielsagende Fotos zeigen den durchtrainierten Duce, wie er in Badehose vor einem Spalier von Schaulustigen die Strandpromenade entlangstolziert und dabei den im Sommeranzug schwitzenden Dollfuß genüsslich in den Schatten stellt.“
Mussolini verlangte von Dollfuß eine faschistische Einheitspartei in Österreich, und das war ganz im Sinne von Fritz Mandl. „Die Verfassung, die Dollfuß mit Dir zusammen Österreich gegeben hat, ist absolut demokratisch“, schrieb er an Starhemberg. Die skurrile Begründung: „… weil sie allen Ständen das Recht einräumt, ihre Interessen zu vertreten“. Mandl glaubte zeitlebens, dass nur ein österreichischer Faschismus den Nationalsozialismus hätte abwehren können.
Allerdings trennte er strikt zwischen Politik und Geschäft. Er verdiente Millionen an Mussolinis Abessinienkrieg, aber er lieferte auch an die spanische Republik (was ihn die Gunst Mussolinis kostete). Zwischen 1929 und 1936 stieg der Umsatz der Fabrik von 3,6 Millionen auf 32,5 Millionen Schilling. Auch Österreich rüstete auf, obwohl Bundeskanzler Schuschnigg nach der Ermordung von Dollfuß die Heimwehr aufgelöst hatte. Die Abhängigkeit von Mussolini war ihm zu stark. „Die Aufrüstung ist die einzige Möglichkeit, die Arbeitslosigkeit wirkungsvoll zu bekämpfen“, verkündete Fritz Mandl im niederösterreichischen Landtag. Immerhin gehörte die Hirtenberger Patronenfabrik zu den wichtigsten Arbeitgebern.
1937 verließ Hedy Mandl ihren Mann, um in Hollywood als Hedy Lamarr Karriere zu machen. Als Gegnerin des Nationalsozialismus war sie aber auch maßgeblich an der Entwicklung einer Funkfernsteuerung für Torpedos beteiligt. Dieses Frequenzsprungverfahren gehört zu den Grundlagen des Mobilfunks. Dass Hedy Lamarr, wie gelegentlich kolportiert wird, die technischen Details aus Gesprächen ihres Mannes extrahierte, ist allerdings ziemlich unwahrscheinlich. Erstens weil Fritz Mandl kein technischer Experte für Waffen, sondern ein Händler war, und zweitens: „In einer Branche, die Geheimhaltung zum Prinzip erhebt, hätte Fritz Mandl in Gesellschaft nie über die Entwicklung seiner Produkte gesprochen, und schon gar nicht vor Frauen.“

Emigration und Verhaftung

1937 wusste auch Fritz Mandl, dass es gefährlich für ihn wurde in Österreich. Er verlagerte die Aktien der Hirtenberger Patronenfabrik in die Schweiz und nach Argentinien. Er deponierte den größten Teil seines Privatvermögens beim Schweizerischen Bankverein in Zürich und bei der Bank Seligman in Paris. Dann reiste er nach Argentinien, und zwar mit einem Diplomatenpass, den er über einen Bestechungsdeal organisiert hatte. „In diesen Zeiten einen Diplomatenpass zu besitzen, war für einen Emigranten unschätzbar viel wert“, schreibt Ursula Prutsch. Und Mandl sollte für die nächsten zehn Jahre Emigrant bleiben.
Er erwarb in Argentinien eine Fahrradfabrik und Mehrheitsanteile an der Argentinischen Industrie für Metall und Plastik (IMPA) und er versuchte, ein Stahlwerk zu bauen. Das brachte ihn ins Visier der US-Behörden. Die Zeitschrift „Reader’s Digest“ bezeichnete ihn als eine der „finstersten Figuren der westlichen Hemisphäre“: „Er ist die Bedrohung Nummer eins für den Frieden in Amerika. Er nennt sich selbst Flüchtling vor der Gestapo, aber ganz Buenos Aires hat gesehen, wie er einen Nazi aus Deutschland herholte, damit er ihm helfe, in Argentinien eine Munitionsfabrik zu bauen.“
Das sind vermutlich lancierte Meldungen, Mandl holte aber tatsächlich den Chemiker Hermann Eger, einen glühenden Nationalsozialisten, nach Argentinien. Da schrieben ihm die Hirtenberger Arbeiter einen entsetzten Brief: „Vor 1938 waren Sie derjenige, über den er loszog, jetzt ist er froh, Ihnen wieder aus der Hand fressen zu können, dieser Verräter. Dass es gerade der Unwürdigste sein muss, den Sie sich als ersten von der Belegschaft holten, bedauern wir sehr, denn wir kämen gern und wären sicher würdiger. In Treue die Arbeiter“.
Evita Peron rät Mandls dritter Frau Hertha, sich scheiden zu lassen. Mandl selbst wird verhaftet, die IMPA als „feindliches Eigentum“ beschlagnahmt.

Unerwünschte Rückkehr

Während Fritz Mandl in Buenos Aires im Gefängnis sitzt, beginnt in Nürnberg der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Der Angeklagte Franz von Papen nennt Mandl einen Feind des NS-Regimes. Mandl kommt frei und will zurück nach Österreich. Willkommen ist er nicht. „Der Heimwehr-Mandl an der Grenze“, titelt die kommunistische „Volksstimme“, die ihn irrtümlich in Vaduz vermutet. Und der Abgeordnete Ernst Fischer erklärt mit deutlich antisemitischem Unterton, bei der Restitution der Güter gehe es „um die Heimwehr-Fürsten und -Grafen, um die Heimwehr-Männer und Heimwehr-Mandln, es geht, um es offen zu sagen, um den Fürsten Starhemberg, um den Baron Rothschild und den Mussolini-Waffenlieferanten Mandl.“
Mandl sitzt also in Argentinien fest und die Scheidung von seiner dritten Frau, Hertha, entwickelt sich zu einer veritablen Telenovela, in der auch Juan und Evita Peron mitspielen. Der Präsident sorgt dafür, dass die 4,5 Millionen Pesos Entschädigungssumme für die IMPA so lange nicht ausbezahlt werden, bis Fritz Mandl seiner Noch-Ehefrau entgegenkommt.
Ende August 1949 kann Mandl endlich nach Europa zurückkehren, an seiner Seite eine neue Gattin, die Argentinierin Gloria Vinelli. Nach Österreich einreisen darf er nach wie vor nicht. Er lebt in Italien und begegnet dort Orson Welles. Der schaut ihm in die Augen und ist beeindruckt: „Es sind die Augen eines gerissenen Jägers, aber in ihnen überrascht auch eine seltsam fahle Leere – ein toter Fleck.“

Im Geschäft mit Diktatoren

Schlussendlich bekommt Mandl die zerstörte Patronenfabrik Hirtenberger zurück. Er beliefert das Bundesheer (was eine Verletzung des Staatsvertrags bedeutet), er verkauft an Nigeria und Biafra, an Bolivien, das vom Diktator Hugo Banzer regiert wird. Banzer hat keinen Geringeren als den Kriegsverbrecher Klaus Barbie als Sicherheitsberater engagiert. Mandl verkauft auch an den chilenischen Diktator Augusto Pinochet. Schützend hält Verteidigungsminister Karl Lütgendorf seine Hand über ihn.
Ein letztes großes Geschäft zieht Fritz Mandl noch kurz vor seinem Tod an Land: Er beliefert das Apartheid-Regime in Südafrika mit Waffen um 62 Millionen Schilling. Das Außenministerium hatte am 24. Mai 1976 entschieden, dass er liefern dürfe. Drei Wochen später erhoben sich schwarze Schülerinnen und Schüler in einer Township von Soweto gegen die rassistische Unterdrückung, wohl wissend, dass die Polizei brutal gegen sie vorgehen würde. Im Sommer waren bereits 600 tote Kinder und viele gefolterte Verhaftete zu beklagen. Nach diesem Ereignis musste Österreich seine Rüstungsexporte nach Südafrika einstellen, wollte es nicht völlig sein Gesicht verlieren.

Ursula Prutsch: Wer war Fritz Mandl. Waffen, Nazis und Geheimdienste.
Molden Verlag, Wien 2022, 304 Seiten, Hardcover, ISBN 9783222150715, € 30