Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Ingrid Bertel · 17. Mär 2011 · Literatur

Segon nenemoscha schagskihare – Christian Futschers zweites Venedig-Buch „Nur Mut, kleiner Liebling“

„Segon nenemoscha schagskihare“ - das ist „indianisch“ und bedeutet so viel wie der Titel von Christian Futschers zweitem Venedig-Buch: „Nur Mut, kleiner Liebling“. Futscher denkt darin über Väter, Dichter und Zwerge nach. Das Ergebnis kleidet er in die Gestalt zahlloser Fragen und ebenso vieler Zitate und in das Vorhaben, die eine oder andere Hymne zu dichten.

Warum Venedig? Gibt es darüber nicht schon allzu viel Literarisches und Triviales? Christian Futscher kleidet seine Liebe zu dieser Stadt in ein ziemlich böses Zitat. Der Finne Hannu Raittila schreibe in seinem Buch „Canal Grande“, Venedig habe seine Dynamik und seine ursprüngliche Idee längst verloren. „Genau darum versammeln sich alle in ihrer Entwicklung stehen gebliebenen, vom Gang des Lebens losgelösten Menschen wie Touristen und Alte in dieser Stadt.“

Vom Gang des Lebens losgelöst? Bittere Einsichten ziehen sich unter der vor Lebendigkeit und Phantasie sprudelnden Oberfläche durch dieses Buch, vielleicht so wie hinter der ewigen Patisserie Venedigs eine Tropfen für Tropfen das Leben verlierende Stadt sich verbirgt.

„Stolz wie ein Schweizer, sensibel wie ein Serbe, heißblütig wie ein Finne.“

Futscher bezieht als Stipendiat das gleiche Quartier wie in „Pfeil im Auge“, dem ersten Venedig-Buch, in der festen Absicht, eine Fortsetzung davon zu schreiben. Auch der Titel steht schon fest: „Zwerg im Auge“. Die literarischen Hausgötter stehen bereit: Sabine Gruber und Marjana Gaponenko, Anita Pichler, Michael Köhlmeier, Franzobel, Anne Marie und Freund Peter (zumindest per SMS). Dazu gesellt sich Gabriele Gemeiner, eine Maßschuhmacherin aus Vorarlberg, die rasch zu einer Vertrauten wird, weil es ihr gefällt, „ein bisschen aus der Zeit zu fallen“.

„Seid umschlungen, Erinnerungen!“

Doch in die fröhliche Aufbruchsstimmung mischt sich von Beginn an Wehmut: Leon, der über alles geliebte Sohn, ist kein kleiner Junge mehr – und er wird so wenig wie Ehefrau Maria zu Besuch kommen: „Ich muss Gedanken in diese Richtung abbrechen, vermeiden, die Erinnerungen an den kleinen Jungen, den es nicht mehr gibt, tun weh – schön sind sie schon auch, aber weh tun sie.“

Dagegen hilft das Kramen in alten Tagebüchern. Und ein fester Karrierevorsatz: berühmt werden! Und gleichzeitig: „Ich will ein ernsthafter Mann sein. Stolz wie ein Schweizer, sensibel wie ein Serbe, heißblütig wie ein Finne. (Das viell. besser weglassen)“

Die verspielte Ironie Futschers ist durchtränkt von einer alles überragenden Liebe zur Literatur. Am liebsten würde er alles, was er in sich aufgenommen hat, teilen mit den LeserInnen, teilen in einer endlosen, berauschenden, unverstellten Begeisterung über das Glück des Lesers.

Bezaubernd in seiner lakonischen Frechheit ist etwa der Anfang von Robert Walsers Räuberroman: „Edith liebt ihn. Hievon nachher mehr.“ Und die Formel „darüber später mehr“ pulsiert als Beat durch den ersten Teil von „Nur Mut, kleiner Liebling“. Dazu kommt ein Geständnis, natürlich in Form eines Zitats (von Qualtinger, d.h. von Friedell): „Der Dichter ist ein Mensch, der sieht und sehen kann, weiter nichts. Und er freut sich, wenn er einmal ganz ohne Einschränkungen seinem eigentlichen Beruf obliegen kann: dem des Abschreibens.“ Vermutlich wissen nicht viele Autoren so genau wie Christian Futscher, dass Schreiben immer ein Weiter-Schreiben ist, und vermutlich sind auch wenige so bescheiden und unverstellt wie Futscher. Und auch so leicht im Hinnehmen des Nicht-Berühmtseins und der damit verbundenen Mittellosigkeit: „Was meine Kochkunst anbelangt: Mir graust schon vor dem, was ich gleich essen werde…“

Zwerg im Auge

Was als Absicht, täglich einen Zwerg zu zeichnen begann, sich in Erinnerungen an das Zusammensein mit dem kleinen Sohn verlor, entwickelt sich zum Nachdenken über den eigenen Vater. „So sehr wie ich hat mein Vater nie versagt, denke ich manchmal.“ Und das Nachdenken endet in einer wüst vertippten Suada, in der sich Zorn und Sehnsucht, Angst und Zärtlichkeit auf eine erschütternd ehrliche Art mischen. „Scheiße, wir hätten so schöne abende in wien, venedig, rom und anderswo verleben können … o.k., ist nicht deine schuld, von schuld kann keine rede sein bei frühem tod durch herzinfarkt…“

Fragen über Fragen

„Leicht, unterhaltsam u. spannend muss es sein, immer und überall. – Das ist doch widerlich.“ Nein, mit Spaß ist dem lustigen Autor nicht beizukommen, auch wenn er ständig verdächtigt wird, ein Bruder Leichtfuß zu sein. Da verfällt er auf die boshafte Idee, den nicht eben leichtfüßigen Heimito von Doderer zu zitieren: Schöpferischer Leichtsinn, so habe der geschrieben, hieße „auf die Chemie des Lebens, auf sein immer neues Koagulieren, volens et fatibus ducentibus eingehen“. Und Christian Futscher: „So was Gescheites möchte ich auch mal zustande bringen. Kindisch wie ich bin, hätte ich dem Ganzen gern das schöne Wort OMNIBUS angehängt, zum einen, weil ich ein leidenschaftlicher Anhänger des schöpferischen Leichtsinns und Kopulierens volens et fatibus ducentibus bin, zum andern ein begeisterter Benützer der öffentlichen Verkehrsmittel.“

Ansonsten: nichts als Fragen – eine wahre Flut von Fragen. Etwa: „Glauben Sie, es wird einmal ein Buch geschrieben werden, das, um in etwa mit Dante zu sprechen, die Menschen aus dem Zustand des Elends in den der Glückseligkeit katapultieren wird?“ So heißt’s am Schluss: Wir sehn betroffen, den Vorhang zu und die Fassaden offen.

Christian Futscher, Nur Mut, kleiner Liebling, Czernin Verlag, Wien 2011, 200 S., ISBN 978-3-7076-0349-1, 19,80 Euro