Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Annette Raschner · 10. Mär 2011 · Literatur

Die kleinen, großen Dramen zwischenmenschlicher Beziehungen – Nadja Spiegels Debütband „manchmal lüge ich und manchmal nicht“

In den 1970er Jahren war es eine junge Vorarlberger Autorenriege, die durch einen neuen Ton in der Literatur auf sich aufmerksam machte. Zu ihr gehörten etwa Michael Köhlmeier, Elisabeth Wäger, Ingrid Puganigg und Monika Helfer. 1992 war es dann Robert Schneider, der mit seinem Debüt „Schlafes Bruder“ im Alter von 31 Jahren einen Welterfolg landete, 7 Jahre später sorgte Arno Geiger mit seinem Debüt „Kleine Schule des Karussellfahrens“ für literarische Furore. In den darauf folgenden Jahren wurde es peu à peu stiller um die junge Vorarlberger Literaturszene. Jetzt aber scheint langsam wieder eine neue Generation heranzureifen.

Gnadenlos schnörkellos

Die Dornbirnerin Nadja Spiegel wird heuer 19 Jahre alt, hat bereits mehrere literarische Auszeichnungen erhalten, und soeben ist bei Skarabaeus ihr Debütband „manchmal lüge ich und manchmal nicht“ mit Erzählungen erschienen.

Spiegel ist für ihr Alter verblüffend stilsicher, bewegt sich gerne im Grenzgebiet zwischen Lyrik und Prosa, liebt originelle Sprachbilder und schreibt dennoch geradezu gnadenlos schnörkellos.

20 – teils umfangreichere, teils gerade einmal drei Seiten lange Erzählungen umfasst Nadja Spiegels Debütband, und sie alle kreisen um das weite Land zwischenmenschlicher Beziehungen; um Liebesbeziehungen, Freundschaften, geschwisterliche Bande, sowie Beziehungen zwischen alt und jung.

Die Figuren werden mit wenigen Strichen skizziert, Orte und Zeiten spielen eine untergeordnete Rolle. Das Material Sprache steht im Brennpunkt von Nadja Spiegels literarischem Ehrgeiz.

Das Erzählmoment ist fast immer ein kreisendes, am Ende kehrt man als Leser zum Anfang zurück, im Dazwischen entfaltet sich die Geschichte, die großteils in der Schwebe bleibt. Nadja Spiegel scheint die Spannung des Ungewissen, Rätselhaften zu lieben, was häufig interessant, manchmal aber auch ärgerlich ist und zwar dann, wenn es allzu kalkuliert erscheint. Ähnlich ist es beim geradezu inflationären Gebrauch von Metaphern und Vergleichen. So berückend schön einzelne Formulierungen sind, so beliebig sind aber auch andere. Eine Musik klingt da „nach sommer und leder“, nach „schnee und zahncreme“; ein Lächeln sieht aus wie „frisch aus dem trockner gezogene wäsche“, und ein junges Mädchen möchte für ihren Angebeteten „eine variable oder eine zigarette“ sein. Weniger ist mehr, ist man des Öfteren versucht zu rufen - und doch: Es sind der Ton der Geschichten und deren Komposition, die das Ausnahmetalent der jungen Autorin verdeutlichen.

Feine Stimmungsnuancen, teils holprige Formulierungen

Es ist schön, dass Nadja Spiegel ihren Blick nicht auf große, spektakuläre Handlungsbögen, sondern auf feine Stimmungsnuancen richtet, die sich aus Beziehungen ergeben, in denen Nähe und Distanz, Sehnsucht, Verletzung und Abschied vorkommen. Eigentlich fast alles, außer Erfüllung. „(...)ich hätte mir gewünscht: ich auf der tanzfläche, wie hannes mir die hände auf die hüften legt und hallo ins ohr haucht und sagt, schönes fräulein sie. Aber da war es schon zu spät, da war ich schon du.“

In ihren Texten erzählt Nadja Spiegel von der Vergänglichkeit der Liebe, von Inzest, Mutterhass und dem Altern. Die bevorzugte Perspektive ist die Ich-Perspektive, die Erzählerin wechselt dabei nicht ungern die Geschlechter. Häufig kommen Dreierkonstellationen vor, etwa in „andernorts“, einer Geschichte über Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit rund um ein Mädchen namens Malika, das vom Icherzähler geliebt, aber auch benutzt wird. „ich hatte anfangs erwartet, dass malika irgendwann einen schlussstrich ziehen würde, von wegen eifersucht und so weiter, aber womöglich hätte ich mir nur gewünscht, dass ich ihr so wichtig gewesen wäre.“

Die vielleicht rätselhafteste Erzählung ist die letzte im Band. Sie trägt den Titel „wie wir verzeihen“ und handelt vom Begräbnis der alten Mutter der Icherzählerin, welche die trauernde Tochter spielen muss, obwohl sie ihre brutale Mutter nie geliebt hat. „die sätze, die ich sage, sind sätze, von denen ich gehört habe, dass man sie an solchen tagen sagt.“ Die Erzählung besteht aus acht kurzen Prosastücken. Im sechsten taucht plötzlich der Verdacht Muttermord auf, denn diese ist – wie man erfährt – bei einem Autounfall ums Leben gekommen. „bevor ich gas gab, öffnete ich die beifahrertür und ließ den tod hinein und mich hinaus.“ Ein Satz, der gut klingt, aber Fragezeichen mit sich bringt, wenn man länger darüber nachdenkt. Die Icherzählerin ist also gefahren, aber schließlich, bevor sie Gas gegeben hat, durch die Beifahrertür ausgestiegen. Dann ist die Mutter im Auto gestorben. Wie bitte geht das?

Es gibt im Buch immer wieder holprige und auch unlogische Formulierungen, die eine Überarbeitung erfordert hätten. Aber wer beim Lesen den Blick stärker auf die Perlen im Buch richtet, der freut sich auf hoffentlich viele weitere Bücher dieser neuen, hoch begabten literarischen Stimme.

Nadja Spiegel, Manchmal lüge ich und manchmal nicht. Erzählungen, Skarabäus Verlag, Innsbruck 2011, 136 S., ISBN 978-3-7082-3295-9, 16,90 Euro