Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Ingrid Bertel · 12. Dez 2013 · Literatur

Salz- und Pfefferbüchsle - Thomas Klagian erzählt die Stadtentwicklung von Bregenz

Als im Sommer der neugestaltete Kornmarktplatz mit einer kleinen Feier eröffnet wurde, da war es einer Privatinitiative zu verdanken, dass sich die BregenzerInnen ein Bild von den Veränderungen ihres Stadtzentrums im Lauf der Jahrhunderte machen konnten. Die Autorin und Grafikerin Rita Bertolini hatte zusammen mit Stadtarchivar Thomas Klagian eine kleine, feine Ausstellung erarbeitet. Es liegt auch an Rita Bertolini, wenn im Martinsturm, dem Wahrzeichen der Stadt, immer wieder Ansätze einer Stadtgeschichte ins Bewusstsein gerückt werden. Denn seitens der Stadt wird ein Ausstellungskonzept Turm zwar seit Jahren versprochen; realisiert ist aber nichts. Rita Bertolini indes hört nicht auf zu recherchieren und hat in Thomas Klagian einen engagierten Partner gefunden. Die Sommer-Ausstellung im Martinsturm ist denn auch Ausgangspunkt für das Buch „Aus der Tiefe des Raumes und der Zeit“.

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Wenn wie geplant 2016 Seestadt und Seeareal wirklich gebaut sind, dann ist Bregenz baugeschichtlich wohl am Ziel: am See. Seit römischer Zeit wuchs die Stadt von Ölrain und Oberstadt aus beständig Richtung Seeufer. Bis ins 17. Jahrhundert war sie allerdings ein ziemlich unbedeutendes Nest, das nicht einmal einen richtigen Marktplatz hatte. Vor der Burg in der Oberstadt wurde wöchentlich ein Wein verkauft, dessen Qualität stark schwankte. Richtig Geld verdienen ließ sich eher im Holzhandel. Er machte etwa die Familie Deuring reich – und einflussreich. „Sie reüssierten in österreichischen Diensten, leiteten als Stadtammänner die Geschicke der Stadt und scharten als wichtige Geldgeber eine ansehnliche Zahl von Klienten um sich.“ 1605 erhielten sie ein Wappen; 1621 wurden sie in den Ritterstand erhoben; 1660 ließen sie sich das Schlössle in der Oberstadt errichten.

Kornmarkt


Mit dem Beginn des 30-jährigen Krieges verlagert sich das Leben von der Oberstadt in die Vorstadt (Kirchstraße, Kaiserstraße). Denn der aufblühende Kornhandel verschafft der Stadt wirtschaftlichen Aufschwung und ein neues Zentrum: den Kornmarktplatz. Dort steht auch das älteste Gasthaus, das Messmer. „Das Wirtshaus lag inmitten von Gewerken, bei denen die Männer hart zu arbeiten hatten und dadurch leicht ins Schwitzen kamen“, formuliert Klagian lakonisch. Die Oberstadt dagegen wird zur frühen Industriezone: hier entsteht die erste Baumwollfabrik Vorarlbergs.

1805 musste Österreich Vorarlberg an das mit Napoleon verbündete Königreich Bayern abtreten. Ein Glücksfall, brachte er dem Land doch einen enormen Modernisierungsschub - eine Steuerreform, einen Kataster, ein Edikt zur Schaffung von Gemeinden. „Als Vorarlberg 1814 wieder österreichisch wurde, war die Regierung klug genug, die bayerischen Reformen weitgehend zu belassen“, meint Klagian. Die Reformen bringen offenbar so viel Schwung, dass jetzt gleich die ganze Stadt verschönert werden soll. „Den Eigentümern der Häuser der Innenstadt wurde vorgeschrieben, wie sie die Fassaden zu gestalten hatten. Die Pfänderbäche, die bis dato offen durch die Stadt geflossen waren, wurden mit Steinplatten zugedeckt.“ Schade eigentlich! Das muss schon ein Anblick gewesen sein, als der Weißenreutebach durch die Rathausstraße, der Thalbach zwischen den Häusern der Kaiserstraße dem See zufloss.

Industrie und Tourismus


1870 bis 1884 wurden die Vorarlberg- und die Arlbergbahn gebaut. Das bedeutete das Aus für den Kornmarkt und gleichzeitig den Start der Industrialisierung und des Tourismus. Die Fabrikanten kamen aus Baden, aus Württemberg und der Schweiz, denn die österreichische Schutzzollpolitik, die gute Anbindung an das europäische Schienennetz und der grenznahe Standort boten wirtschaftliche Vorteile.

Seidenbänder, Lederwaren, Strümpfe und Uhren wurden in den Bregenzer Fabriken erzeugt. Die Zuckerlfabrik Kaiser siedelte sich an, die Wirkwarenfabrik Benger, die Firma Elektra Bregenz, die Wollgarnspinnerei Schoeller und die Nährmittelfabrik Maggi. 1866 entstand eine Seidenfoulard-Fabrik mit eigener Gaserzeugung. „1896 übernahm die Stadt das Areal und führte die Gaserzeugung weiter. Das war die Geburtsstunde der Stadtwerke.“

„Für einen Aufschwung des Fremdenverkehrs besaß Bregenz als Bergstadt am See beste natürliche Voraussetzungen. Zur Förderung des Fremdenverkehrs gründeten Bregenzer Bürger 1871 den Verein für gemeinnützige Zwecke, den ältesten Verkehrsverein Österreichs.“ Ein Foto aus dieser Zeit zeigt die Hafeneinfahrt noch flankiert von den 1883 abgerissenen Leuchttürmchen  – im Volksmund Salz- und Pfefferbüchsle genannt. Auch der „Schelmenturm“, der alte Bergfried der Grafenburg in der Oberstadt, steht noch.

Bregenz brennt


„Als ob der Bregenzer Bürgermeister Carl Solhardt geahnt hätte, was kommen würde, ließ er im Juli 1944 die Stadt straßenweise fotografieren.“ Am 1. Mai 1945 wird die Stadt von französischen Truppen bombardiert; 80 Häuser standen am Abend nicht mehr. „Bürgermeister Solhardt, der vollmundig angekündigt hatte, er werde noch’auf den Trümmern der Stadt für Deutschland kämpfen’, hatte schon längst das Weite gesucht.“
Erst in den 1970er-Jahren wurde das Stadtbild noch einmal zu fundamental verändert. Einerseits durch das bis dato größte Wohnbauvorhaben, die Siedlung an der Ach. Andererseits durch die Verlegung des Güterbahnhofs nach Wolfurt. Damit stand ein Teil des Bregenzer Bahnareals für stadtplanerische Vorhaben zur Verfügung. An die Stelle des unansehnlichen Ölumschlagplatzes traten Festspielhaus und Seebühne; wo der Schlachthof mit den Häutelagern stand, wurden Casino und Hotel Mercure gebaut. Dazu kamen ein Strandbad und ein Hallenbad. Bleibt abzuwarten, ob diese Freizeitzone in Zukunft an eine Shopping Mall grenzt oder doch an ein Viertel lebendige Stadt.

 

Thomas Klagian, Aus der Tiefe des Raumes und der Zeit. Die Stadtentwicklung von Bregenz, Edition Stadtgeschichte, gebunden, 156 Seiten, 109 Abbildungen mit DVD, 22 Euro, ISBN 978-3-9502706-5-5, Verlag Rita Bertolini, Bregenz 2013