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Annette Raschner · 18. Feb 2020 · Literatur

Neue Literaturreihe im Theater am Saumarkt: „Biographie – erforschen, erinnern, erfinden?“

Mit einer besonderen Matinee-Reihe möchte das Theater am Saumarkt in Feldkirch möglichst viele Literaturliebhaber und -liebhaberinnen ansprechen. Für das Projekt „Biographie - erforschen, erinnern, erfinden?“ hat Marie-Rose Rodewald-Cerha, langjähriges Mitglied der Literaturgruppe des TaS, Autorinnen und Autoren eingeladen, die spannende Biographien geschrieben haben. Bis Sommer soll an jedem ersten Sonntag im Monat eine Veranstaltung im Theater am Saumarkt stattfinden.

In seiner „Poetik“ etablierte Aristoteles um 335 v. Chr. eine neue Disziplin, die gleichberechtigt neben der Rhetorik stand. Er schrieb darin unter anderem: „Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter (…) unterscheiden sich (…) dadurch, dass der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere hingegen, was geschehen könnte.“ Die rigorose Trennung zwischen Historie und Dichtung zweifelte allerdings schon Plutarch, der bekannteste Biograph der Antike, an: „Ich schreibe nicht Geschichte, sondern zeichne Lebensbilder.“
Wie viel Autobiographie steckt in jeder Biographie? Erzählt die Biographie mehr von der Gegenwart als von der Vergangenheit? Und – wer erfindet mehr: der Biograph beim Schreiben oder die Biographierte schon im Leben?

Auftakt mit Angela Steidele

In der neuen Literaturreihe „Biographie - erforschen, erinnern, erfinden?“ widmet sich das Theater am Saumarkt Fragen wie diesen. Den Auftakt gestaltete die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Angela Steidele, deren „Poetik der Biographie“ letztes Jahr bei Matthes & Seitz Berlin erschienen ist. Sie skizziert darin sieben Thesen, die die durchaus strittige Natur der Biographie, der „Urzelle der Geschichte“ (Dilthey) verdeutlichen. – „Biographien suchen, sammeln, ordnen, interpretieren und veröffentlichen Quellen nicht nur, sie wählen auch aus, datieren neu, adressieren um und lassen Unliebsames verschwinden.“
Angela Steidele ist selbst Biographin. 2017 hat sie eine erotische Biographie über Anne Lister geschrieben; Angela Steidele bezeichnet sie als „eine Art Don Juan der lesbischen Liebe“. 2018 wurde ihr biographischer Werkstattbericht „Zeitreisen. Vier Frauen, zwei Jahrhunderte, ein Weg“ veröffentlicht. Mit dem Essay „Poetik der Biographie“ hat sie ihre Trilogie zu biographischem Schreiben abgeschlossen.

Poetik der Biographie

Die Idee für die neue Reihe hatte Marie-Rose Rodewald-Cerha aus mehreren Gründen. Zum einen erfreuen sich Biographien wachsender Beliebtheit. Zum anderen seien in der Vergangenheit Biographien vorwiegend von Männern über Männer geschrieben worden; dieses Bild gelte es zurechtzurücken.
Unter anderem wird dies Monika Helfer am ersten März tun. Von der Vorarlberger Schriftstellerin ist soeben der Roman „Die Bagage“ bei Hanser erschienen. Darin erzählt die in Au im Bregenzerwald geborene Autorin die Geschichte ihrer eigenen Vorfahren und setzt im Ersten Weltkrieg an, als Josef und Maria Moosbrugger mit ihren Kindern am Rand eines Bergdorfes gelebt haben. Im Falle von Monika Helfer ist es offenkundig, doch auch sonst, schreibt Angela Steidele, stehen die Autobiographie der Schreibenden und die Biographie der Beschriebenen „in engster Wechselwirkung, ob heimlich, unfreiwillig oder bewusst“. Jede Biographie sei immer auch eine Autobiographie.
Wie ein hochspannender Roman des 20. Jahrhunderts liest sich Michael Martens im vergangenen Herbst erschienene Biographie „Im Brand der Welten“ über den jugoslawischen Diplomaten und Literaturnobelpreisträger von 1961, Ivo Andrić. Martens zeichnet darin einen außergewöhnlichen Lebensweg nach: von der Kindheit in Bosnien über das Attentat von Sarajevo 1914 bis zu Andrićs Zeit als Diplomat des Königreichs Jugoslawien in Hitlers Berlin. Den bewegten Zeiten folgen Jahre im von den Deutschen okkupierten Belgrad, als Andrić jene Romane schreibt, die ihm Weltruhm einbringen sollten. Dass Biographien jedoch nicht nur von Vergangenem erzählen, hält Angela Steidele in der dritten These ihrer „Poetik der Biographie“ fest: „Biographien spielen in der Zeit und Gesellschaft ihrer Entstehung, nicht in der Zeit des Biographierten.“

„... denn wenn die Sprache verkümmert, kann man den Menschen alles erzählen“

Bis Sommer plant Marie-Rose Rodewald-Cerha, die mittlerweile seit über dreißig Jahren in der Literaturgruppe des Theater am Saumarkt Akzente setzt, weitere Veranstaltungen im Rahmen der neuen Reihe „Biographie – erforschen, erinnern, erfinden?“. Gerade die Literatur war und ist dem TaS ein Herzensanliegen, obwohl es immer wieder eine Herausforderung darstelle, das Interesse der Besucherinnen und Besucher zu gewinnen. Jährlich werden etwa auch die Feldkircher Literaturtage und der Feldkircher Lyrikpreis organisiert. Literaturveranstaltungen auszurichten, sei heute wichtiger denn je, meint Marie-Rose Rodewald-Cerha, denn wenn die Sprache verkümmere, könne man den Menschen alles erzählen.
Alle Veranstaltungen im Rahmen der Reihe werden von einem AutorInnengespräch begleitet. 

Monika Helfer: „Die Bagage“, Lesung und Gespräch
So, 1.3., 10.30 Uhr
Michael Martens: „Im Brand der Welten“, Lesung und Gespräch
So, 5.4., 10.30 Uhr
Theater am Saumarkt, Feldkirch
www.saumarkt.at