Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Annette Raschner · 05. Jun 2021 · Literatur

Mit guter Literatur Krisen leichter ertragen

Im Sommer letzten Jahres haben Christina Walker und Andrea Gerster die Mitglieder von literatur:vorarlberg dazu eingeladen, an einer Krisenausgabe der Literaturzeitschrift "V" mitzuschreiben. Die beiden Herausgeberinnen hoffen, dass die nun vorliegende Anthologie unseren Blick für das Wesentliche schärft. Denn: Die nächste Krise kommt bestimmt!

Annette Raschner: 34 Vorarlberger Autorinnen und Autoren sind der Einladung von literatur:vorarlberg gefolgt. Waren Sie überrascht angesichts der doch beachtlichen Anzahl an Einsendungen?
Christina Walker: Nein, überhaupt nicht, wir haben eine große Resonanz erwartet. Schließlich scheinen Krisen allgegenwärtig und prägend für unsere Zeit und den Beginn des 21. Jahrhunderts zu sein. Man denke nur an die Flüchtlingskrise, die Klimakrise und natürlich an die Coronakrise. Mal abgesehen von all unseren privaten Krisen, von Krankheit über die Liebe bis zur Sinnkrise. Wir haben den Rahmen diesbezüglich sehr offen gelassen.

Krise als Inspiration

Raschner: Eine Krise kann alles erschüttern und ins Wanken bringen. Im besten Falle birgt eine Krise die Chance eines Neuanfangs in sich. Wie sehr hat das Thema die Autorenschaft und auch Sie persönlich inspiriert?
Walker: Krisen gehören zum Leben, persönliche und in globalisierten Zeiten eben auch immer mehr weltumspannende. Es ist gerade interessant – und nicht wirklich beruhigend – zu beobachten, wie schwer sich die Politik tut, auf große Krisen zu reagieren und nachhaltige Pläne zu fassen. Der Gedanke der gemeinsamen Lösung hat sich da noch nicht durchgesetzt, sondern eher die Machtmenschen. Auch das wird in einzelnen Texten in der Anthologie aufgegriffen. Für uns Schreibende sind Krisen ja, wie für andere Künstlerinnen und Künstler auch, stets Inspiration gewesen. Das Schreiben darüber interpretieren manche als eine Art Läuterung. Oder, wie mein Sohn es vor Kurzem treffend formulierte: Man muss das Problem doch verstehen, bevor man es lösen kann.

Cornona-Virus spielt Hauptrolle

Raschner: In den letzten Monaten mögen viele vergessen haben, dass es noch andere Krisen als Corona gibt. Welche Rolle spielt das Virus bei den eingereichten Texten?
Walker: Als wir im letzten Sommer zur V#36 einluden, schien Corona fast überwunden. Im Herbst kamen dann die Texte bei uns an, und es war klar: Das kleine Virus und seine Auswirkungen auf uns und die Gesellschaft werden eine Hauptrolle im Buch spielen, und leider noch lange eine in unser aller Leben. So schwer überhaupt noch zu fassen ist, was da mit uns passiert – die Texte dazu spiegeln ein Kaleidoskop an Reaktionen wider. Fassungslosigkeit, das Ringen um Verstehen, Aufbegehren, Hilflosigkeit, Mitgefühl, ...

... „ausufernde Buntheit“

Raschner: Stilistisch formal dominiert eine - wie Sie es formulieren - "ausufernde Buntheit". Von Mundartgedichten über Prosatexte bis zu visueller Poesie. War denn alles erlaubt?
Walker: Ja, alle Textgattungen waren gefragt und willkommen. Sogar zwei dramatische Texte sind neben Lyrik, Kurzgeschichten und Reportagehaftem dabei. So ist diese V#36 ein wunderbar vielfältiges Buch geworden. Mal sehr poetisch, mal nüchtern berichtend und mit einer wohltuenden Portion Ironie. Auch so lassen sich Krisen besser ertragen: mit guter Literatur und mit Humor.

V#36 – Krise, Hg. Christina Walker und Andrea Gerster für literatur:vorarlberg, 208 Seiten, illustriert; € 18, ISBN 978-3-9503808-5-9

Präsentation: 10.6.2021,19 Uhr 30, AK-Bibliothek, Feldkirch
Anmeldung zur Buchpräsentation
https://vbg.arbeiterkammer.at/service/veranstaltungen/AK-Bibliotheken/BibliothekFeldkirch/V-36_-_KRISE.html