Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Ingrid Bertel · 04. Jun 2014 · Literatur

Klappernder Robert am rauschenden Bach - Christian Futschers Roman „Der Mann, der den Anblick essender Frauen nicht ertragen konnte“

Wildtöter und Sirenen, ein verwilderter Friedhof, ein geheimnisvolles Dickicht und ziemlich viele Häuptlinge – Christian Futscher schreibt den ultimativen Abenteuerroman.

In einer Mondnacht greift Robert zum Telefon. Am anderen Ende der Leitung hört er andauerndes Husten. Da sagt er in die Dämmerung hinein: „Sie werden bald nach Rasierwasser stinken, Sie widerlicher Kerl!“ So beginnen Roberts Abenteuer, denn nach diesem Auftakt muss Robert fort von Oma Maria und ein wildes Leben beginnen. Als Zeugen dafür ruft er Mark Twain auf, Daniel Defoe, Jack London, James Fenimore Cooper und Robert Louis Stevenson.

Robert besitzt ein Foto von seinem verstorbenen Opa. Der sieht darauf schon sehr krank aus. Schläuche führen von seinen Armen weg, und unter dem Kehlkopf klebt ein Pflaster. In den Händen aber hält er eine Spritzpistole. „Das Gesicht von dem Priester hättest du sehen sollen, als ihn Otto mit der Spritzpistole beschossen hat“, erzählt die Oma. „Das war eine Letzte Ölung“!
Vom Geist Ottos beseelt, steht Robert an der Bushaltestelle, pöbelt versuchsweise ein paar alte Leute an und dann ein kleines Mädchen. „'Hau ab, du Minderjährige!' fuhr Robert sie an und knirschte mit den Zähnen. Das Mädchen dachte nicht daran, abzuhauen. 'Sei doch nicht so bös zu mir. Ich bin erst fünf Jahre alt.'“Im Wald überfallen Robert „schlimme Bilder“, Leichen liegen herum, als wär der Wald die „Schatzinsel“ oder der Unterschlupf vom „Lederstrumpf“. Im obligaten Knusperhäuschen haben sich seltsame eingefunden, die reden schoschonisch oder so. Einer von ihnen ist Hugo, der schließt Robert in sein finsteres Herz, schon weil der Abenteurer alle seine Quizfragen beantworten kann.
„'Welcher große Häuptling erlangte die christliche Taufe…'
'Winnetou.'
'Falsch, das wäre zu billig. Außerdem war die Frage noch nicht zu Ende. Ich wiederhole: Welcher große Häuptling erlangte die christliche Taufe und wurde auf seine alten Tage zum Säufer?'“

Das Fiebern früher Lektüre


Wer je mit Huck Finn auf dem Floß gefahren ist oder mit Jim Hawkins nach dem Piratenschatz gesucht hat, der lässt sich auch von Robert ansatzlos verzaubern. Ein paar hingehauchte Spuren reichen Christian Futscher, um jenen Sog zu erzeugen, der wie ein Magnet das Fiebern früher Lektüre zurückholt und die Lust am Abenteuer aufflackern lässt. Allerdings ist Robert erwachsen geworden, und bisweilen steht ihm der Sinn durchaus nach Sex. Etwa mit den Sirenen, die in seinem Fall aus den Bäumen herunter locken. Hugo hält ihn achtsamerweise zurück, denn er kennt eine Bäuerin, „die über ihrem Bett eine Stickerei an der Wand hängen hat, auf der in altmodischer Schnörkelschrift steht: 'Hier brach ein einsames Herz kaputt.'“

Fragen über Fragen stellen sich Robert auf seinen abenteuerlichen Wegen: Warum kam ihm Hugo so bekannt vor? Warum wusste Hugo überhaupt etwas von Otto? Wer lag auf dem verwilderten Friedhof begraben? Und vor allem: Warum gingen ihm die Zigaretten nicht aus?

Christian Futscher hat ein wunderbar atmosphärisches Buch über die Wonnen des Lesens geschrieben, knallvoll mit Bildern und Atmosphäre, mit Witz und Leichtigkeit. Und da sein Abenteuerroman einige Mäander zu bewältigen hat, verwundert auch ein „langes und dunkles Kapitel“ nicht, das – bei seinen 12 Zeilen Länge – Robert das tiefste Geheimnis im Leben von Hugo enthüllt: Er kann „den Anblick essender Frauen nicht ertragen“.

 

Christian Futschers, Der Mann, der den Anblick essender Frauen nicht ertragen konnte. Ein Abenteuerroman, 208 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978-3-7076-0485-6, Verlag Czernin