„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Annette Raschner · 11. Nov 2019 · Literatur

„Heimatstern“ - Die neue „V“ von literatur:vorarlberg

Die 34. Ausgabe der einmal jährlich von literatur:vorarlberg herausgegebenen Literaturzeitschrift „V“ ist ein Konglomerat aus vergangenen und neuen Heimataufnahmen. Kuratiert von den beiden Vorstandsmitgliedern Ulrich Gabriel und Wolfgang Mörth versammelt sie insgesamt 26 Textbeiträge: klassische und zeitgenössische, lyrische und erzählende, von toten und lebenden, von österreichischen und Vorarlberger Autorinnen und Autoren. Darüber hinaus lässt Fotograf Gerhard Klocker Grillparzers berühmtes Trauerspiel „König Ottokars Glück und Ende“ auf neun Bildern erscheinen.

Den Beginn machen H. C. Artmanns „Eintragungen eines bizarren Liebhabers“ aus dem 1964 erschienenen Text „Das suchen nach dem gestrigen tag oder schnee auf einem heißen brotwecken“. Darin heißt es unter anderem: „Meine heimat ist österreich, mein vaterland Europa, mein wohnort Malmö, meine hautfarbe weiß, meine augen blau, mein mut verschieden…“
Der 1978 in Feldkirch geborene Daniel Nachbaur erinnert sich in „Heimat, deine Sterne“ an einen fluchenden Schreiner: „Er sagt Heimatstern und dem Missgeschick, das ihm gerade unterlaufen ist, ist schon die Absolution erteilt. Heimatstern zu sagen, heißt für ihn, dass er sich nicht unterkriegen lässt und sich nicht unterkriegen lassen das heißt nichts anderes als: funktionieren, sich den Tatsachen fügen.“
Nachbaur erwähnt auch das wehmütige Lied „Heimat deine Sterne“, dessen Text von Erich Knauf stammt, der 1895 in einer sächsischen Kleinstadt geboren wurde: „Heimat deine Sterne, sie strahlen mir auch am fernen Ort. Was sie sagen, deute ich ja so gerne, als der Liebe zärtliches Losungswort.“

Vielstimmigkeit statt Kitsch

Für Kitsch haben Ulrich Gabriel und Wolfgang Mörth zwar keinen Platz in der neuen „V“ geschaffen, aber die Anthologie zeichnet sich durch maximale Vielstimmigkeit aus. Über persönliche Himmelssternzeiten schreibt etwa die Bludenzerin Martina Mittelberger; Maria Kopf, 1990 in Feldkirch geboren, lässt Heimatgefühle in der wohligen Wärme des Bettes aufleben und in einem Nachruf sinniert Alfred Polgar über die Natur des Österreichers: „Der Österreicher ist so deutsch, wie seine Donau blau ist. Dies ist sie bekanntlich, obschon das Walzerlied es obstinat behauptet, keineswegs.“ Ihr ambivalentes Verhältnis zu ihrer Heimat Kärnten offenbart die große österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann in dem Gedicht „Heimweg“, während Josef Weinheber zu einem Lob der Heimat anhebt. „Herbstsüß und duftig und fern, wie überm Strome der Stern, wie unter Sternen dein Feld, sei mir gegrüßt, stille Welt!“ Natürlich kommen in diesem bunten Texte-Blumenstrauß auch Helmut Qualtinger bzw. Travnicek und Peter Turrini zu Wort. „In der Zweiten österreichischen Republik wurde aus dem Völkischen das Volkstümliche, verlogen bleibt es trotzdem.“

Heimat Österreich – Heimat Vorarlberg

Sein Wunsch sei es gewesen, die Textbeiträge der Vorarlberger Autorinnen und Autoren nicht in einem separaten, elfenbeinernen Vorarlbergturm zu präsentieren, sondern sie in den Gesamtzusammenhang „Heimat Österreich“ zu stellen, sagt Kurator Ulrich Gabriel. „Der Begriff Heimat muss weit gezogen werden. Ein erster Kreis ist Österreich. Gerade ab 1950 sind Texte mit Weltformat geschrieben worden. Auch in Vorarlberg. Darüber hinaus wollte ich auch positive Beiträge in die Sammlung integrieren. Einen Satz wie „es ist ein gutes Land“ aus dem Ottokar kann ich heute ganz im Gegensatz zu früher unterschreiben. Das hat wohl mit meinem Alter zu tun.“
Welthaltig sind einige Texte in der neuen „V“, andere überzeugen gerade wegen ihrer unerbittlichen, persönlichen Note. Und auch Wut leuchtet da wie dort mal auf, schließlich ist sie manchmal ein wichtiger Antrieb beim Schreiben. – „Kannte Dante Alighieri 1310 noch zehn Höllenkreise, so lockt die Messe-Unterwelt 2019 mit 15 Konsumtempeln. Hölle heute: Selbstverfressung.“ (Ulrich Gabriel)
Die lebenden Vorarlberger Autorinnen und Autoren wurden von den beiden Kuratoren ausgewählt und angefragt (jeweils 6). Einer von ihnen ist der 97 Jahre alte Dornbirner Hubert Grabher mit dem Text „Der Soldat 5619“, der seine Uniform eine Woche nach abgelegter Matura am 2. April 1941 an- und erst am 12. April 1946 wieder auszieht. „Hubert Grabher beschreibt darin sein eigenes Leben und Erleben im Krieg. Ich fand, dass das in solch eine Anthologie Eingang finden sollte.“
Nachzulesen ist auch eine kurze Lebensgeschichte von Eva Ludwig, die 1920 in Mährisch Ostrau, in der ehemaligen Tschechoslowakei geboren wurde und als Geflüchtete nach Vorarlberg kam. „Es war keine Zeit mehr, etwas zu unternehmen, es hagelte Bomben von allen Seiten und der Russe marschierte ein. Um sich dieser vorhersehbaren Gefahr zu entziehen, machte ich mich auf zu meiner Großmutter in Dornbirn … bei 30 Grad Minus, mit kaputten Waggons ohne Fenster, so schlich der überfüllte Zug über zerschossene Geleise und bereits verlassene Bahnhöfe.“

Der Begriff Heimat

Den Begriff Heimat kann man nicht definieren, man kann sich ihm höchstens annähern, sagt Ulrich Gabriel. „Ich habe einmal gesagt: Heimat ist ein Flittchen. Weil sie etwas so Flüchtiges ist. Kaum willst du sie fassen, ist sie schon wieder weg. Heimat ist viele. Sie wurde in der Vergangenheit benützt und ausgenützt; gerade in der Nazizeit für die Ideologie. Sie ist dadurch in ein schlechtes Licht gerückt. Das sollte aber eine Autorenvereinigung nicht daran hindern, sich ihr zu widmen. Klar ist es schwierig, aber umso interessanter. Je mehr man sich mit Heimat beschäftigt, desto stärker atomisiert sich der Begriff. Er zerfällt in tausende Splitter.“
Der Ausruf „Heimatstern!“ ist bekanntlich ein verkappter Fluch. Man verkneift sich die Blasphemie und rettet sich gewissermaßen in die Beschönigung. Ihm sei es wichtig gewesen, einem an sich abgelutschten Begriff ein Leuchten, eine positive Färbung zu verleihen, sagt Gabriel. „Ich habe den Begriff ins Weltall gerückt. Von dort aus gesehen ist die Heimat die Erde. Je näher man kommt, desto enger ziehen sich die Kreise zusammen. Bis man schließlich im Privaten landet.“

Annette Raschner ist Redakteurin im ORF-Landesstudio Vorarlberg

Literaturzeitschrift V#34 „Heimatstern“
Hg. von Literatur Vorarlberg / Ulrich Gabriel, Wolfgang Mörth, ISBN 978-3-902989-41-3, € 24,90
www.literatur-vorarlberg.at